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Marc Henrichmann: Der Staat hat auch den Anspruch und das Recht, seine staatlichen Interessen zu wahren

Redebeitrag zum Transsexuellengesetz

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren! Ja, das TSG ist überarbeitungsbedürftig; das haben wir nach den Beratungen zum dritten Geschlecht auch einvernehmlich so festgestellt. Ich glaube aber, dass in den beiden Gesetzentwürfen, die zur Beratung vorliegen, der Begriff der Selbstbestimmung in weiten Teilen überdehnt wird.

Das ist nicht allein meine persönliche Meinung, sondern das Bundesverfassungsgericht sieht es ganz ähnlich; denn das Geschlecht ist für den Gesetzgeber nicht irgendwas. Das sagt das Bundesverfassungsgericht: Das Geschlecht sei maßgeblich für die Zuweisung von Rechten und Pflichten und für die familiäre Zuordnung. Es sei ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, das Auseinanderfallen von rechtlichem und empfundenem Geschlecht zu vermeiden. Es sagt auch, dass der Gesetzgeber das Recht habe, objektivierte Kriterien für den Nachweis festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht legt Wert auf die Validität und die Beweiskraft der Personenstandsregister, der einzigen derartigen Register in Deutschland, die Beweiskraft haben. Es sieht eben keine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts allein deswegen.

Auch die Atteste und Gutachten sind per se – über die Ausgestaltung sollten wir reden – keine Verletzung der Würde; sie regeln nur, wer Zugang zu einem bestimmten Recht, zu einem Anspruch hat. Den Grundsatz der Selbstbestimmung beispielsweise haben wir in den Beratungen zum dritten Geschlecht so umgesetzt, dass wir sagen: Wenn jemand Zugang hat und das entsprechend belegt hat, kann er frei entscheiden, ohne Einschränkung, für welches Geschlecht – männlich, weiblich, divers – er sich entscheidet. Der BGH hat das kürzlich für die transsexuellen Menschen wohl ähnlich gesehen.

Die Gesetzentwürfe sind deswegen für mich fahrlässig, vielleicht sogar in Teilen gefährlich. Jedermann soll zu jeder Zeit das Recht haben, sein Geschlecht frei wählen bzw. wechseln zu können.

(Zuruf von der SPD: Jede Frau auch!)

Die Grünen sagen: Eine Frist von einem Jahr für den Wechsel zurück sei erforderlich. – Da sagen beispielsweise Mediziner: Wir haben eine hohe Fallquote von sogenannten Reueentscheidungen, wo Menschen sagen: Mensch, das war doch nicht der richtige Weg.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht! Wo kommen denn die Zahlen her? – Zuruf des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Den Weg zurück versperren Sie.

Auch schreiben Sie ein Recht auf Durchführung medizinischer Maßnahmen schon nach vorheriger Aufklärung fest. Manche Ärzte sagen mir im Gespräch, dass sie auf die gerichtlichen Gutachten gar nicht verzichten wollten, weil die Frage eben so sensibel ist und weil medizinische Maßnahmen, nicht nur Operationen, im Zweifel irreversibel sind. Auch Hormongaben können schon Unfruchtbarkeit oder Ähnliches nach sich ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zumindest im Grünenentwurf haben wir ein ganz straffes OWi-, Ordnungswidrigkeitenregime. Beispielsweise soll haften, wer sich fahrlässig auf die vorherige Geschlechtszuordnung bezieht. Wenn also jemand vielleicht aus Nachlässigkeit, obwohl er es besser weiß, oder aus alter Gewohnheit den früheren Namen verwendet, wollen Sie ihn mit einem Bußgeld belegen. Ich weiß nicht, ob das der Toleranz gegenüber transsexuellen Menschen dient.

Was mich aber viel mehr umtreibt: In der „FAZ“ ist am 8. Dezember 2019 von einer Professorin der Universität Bochum zu lesen, die sagt, dass im Jahre 2019 die Quote von insbesondere jungen Menschen, die sich geschlechtlich nicht recht einzuordnen wissen, im Vergleich zu 2006 deutlich gestiegen ist.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die trauen sich, das endlich zu sagen! Die trauen sich einfach, zu sich selbst zu stehen!)

Die „FAZ“ schreibt auch: Das Tavistock Centre in London habe bei den Mädchen, die sich dort vorstellen, innerhalb von zehn Jahren einen Anstieg von über 5 000 Prozent auf 1 740. Menschen würden ihre Probleme und Gefühle vermehrt falsch deuten, und der Irrtum würde erst zu spät bemerkt.

Zitiert wird auch ein transsexueller Mensch – Patrick, 41, aus Berlin –, der vorher als Homosexueller gelebt hat. Er sagt, er habe nach 45 Minuten eine Bescheinigung seiner Transsexualität bekommen. Er sagt auch, er habe „Freiheit und Selbstverwirklichung“ erwartet, aber „institutionalisierte Fahrlässigkeit“ bekommen.

Ich glaube, der Staat hat eine Schutzfunktion. Ja, er muss Diskriminierung abbauen, und darüber müssen wir reden. Aber der Staat hat auch den Anspruch und das Recht, seine staatlichen Interessen zu wahren.

(Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht über die persönliche Freiheit zu stellen!)

Er kann nicht zusehen, wenn staatlicher Schutz auf null heruntergefahren wird. Deswegen werden wir beraten; wir werden das weiter tun. Der Gesetzentwurf ist im Gespräch, und diesen Dialog werden wir weiterführen. Aber diese Gesetzentwürfe sind leider nicht mehr als eine Beratungshilfe.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann freuen wir uns auf das Urteil des Verfassungsgerichts!)