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Dr. Jan-Marco Luczak: Die AfD will sich auf Kosten von Schwulen und Lesben in unserem Land profilieren

Rede zur geforderten Aufhebung der gleichgeschlechtlichen Ehe

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meine Rede beginnen mit einer Gratulation, und zwar möchte ich den 20 000 Menschen in Deutschland gratulieren, die seit der Öffnung der Ehe vor gut einem Jahr in unserem Land geheiratet haben,

(Beifall bei der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Dr. Nina Scheer [SPD] und Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] erheben sich)

die vor den Traualtar getreten sind, die Ja gesagt haben, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander einzustehen, bis dass der Tod sie scheidet. Diese Menschen haben Ja gesagt, Verantwortung füreinander zu übernehmen, einander treu zu sein. Und darüber freue ich mich. Ich freue mich auch und gerade als Christdemokrat darüber, weil diese Menschen zutiefst bürgerliche, zutiefst konservative Werte leben. Ich finde, das verdient Anerkennung und Respekt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Der Weg dahin war auch und gerade bei uns in Deutschland kein leichter. Auch in meiner eigenen Partei und in meiner Fraktion haben sich viele Kollegen damit schwergetan,

(Stephan Brandner [AfD]: 75 Prozent!)

und manche konnten am Ende der Öffnung der Ehe auch nicht zustimmen. Aber am Ende hat der Deutsche Bundestag mit einer überwältigenden Mehrheit das Gesetz beschlossen. Die Abgeordneten hier im Hohen Haus haben aufgrund ihrer ureigensten Überzeugung frei nach ihrem Gewissen entschieden. Die Debatten, die wir hier im Deutschen Bundestag mit einer Gewissensentscheidung abschließen, sind oftmals die schwierigsten. Sie sind oftmals aber auch die besten. Sie werden als Sternstunden des Parlaments bezeichnet, weil allein die Kraft des Argumentes zählt. Sie berühren oft fundamentale Fragen von Staat und Gesellschaft, von Leben und Tod, von Moral und Ethik. Durch Gewissensentscheidungen werden gesellschaftliche Kontroversen befriedet. Daher sind diese Entscheidungen, sind diese Gewissensentscheidungen von besonderer Bestandsfestigkeit und oftmals auch durch eine besondere Akzeptanz gefestigt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Aber nicht verfassungswidrige!)

Ich finde, es ist ein guter und auch ein notwendiger parlamentarischer Brauch, dass, selbst wenn sich nach einer Wahl die Mehrheiten hier im Hohen Hause ändern sollten, solche Entscheidungen nicht geschleift und nicht rückgängig gemacht werden. Das gebietet der Respekt vor der Institution Bundestag, das gebietet der Respekt vor der Gewissensentscheidung der Abgeordneten, und das gebietet auch der Respekt vor der gesellschaftlichen Befriedung, die damit erreicht wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotzdem will nun die AfD alles zurückabwickeln. Ich akzeptiere, dass Sie diese Entscheidung ablehnen. Aber als Demokraten hätten Sie die verdammte Pflicht, diese Entscheidung zu akzeptieren. Dass Sie nun dagegen vorgehen, zeigt nur einmal mehr, dass Sie mit Demokratie nichts am Hut haben, dass Sie keinen Respekt haben vor der Gewissensentscheidung, die hier im Hohen Haus getroffen wurde.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie wollen einen gesellschaftlichen Rollback. Sie wollen die Gesellschaft spalten. Sie wollen sich auf Kosten von Schwulen und Lesben in unserem Land profilieren. Das ist verantwortungslos, und das ist reaktionär, meine lieben Damen und Herren von der AfD.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und jetzt versuchen Sie auch noch, Ihre reaktionäre Politik verfassungsrechtlich zu bemänteln. Sie sagen, Sie wollen verfassungsgemäße Zustände wiederherstellen.

(Karsten Hilse [AfD]: Richtig! Ganz genau!)

Die Ehe sei durch das Bundesverfassungsgericht klar als Bund von Mann und Frau definiert. So schreiben Sie es in Ihrem Antrag. Das ist jetzt entweder vorgeschoben,

(Stephan Brandner [AfD]: Sie widersprechen dem Bundesverfassungsgericht?)

oder Sie haben eine sehr mäßige staatsrechtliche Ausbildung erhalten und im ersten Semester Jura nicht richtig aufgepasst; denn wenn wir uns den verfassungsrechtlichen Ehebegriff in Artikel 6 unseres Grundgesetzes anschauen, dann stellen wir fest, dass dieser Begriff – und zwar in der Diktion der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf das Sie sich beziehen – offen ist. Er muss in den jeweiligen zeitgeschichtlichen Kontext eingebettet werden. Er muss mit Blick auf einfachgesetzliche Regelungen und mit Blick auf die gesellschaftlichen Anschauungen interpretiert werden.

(Lars Herrmann [AfD]: Und das steht im Grundgesetz?)

Unsere Verfassung lebt, sie atmet, sie verändert sich genauso, wie unsere Gesellschaft sich verändert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP])

Das Verständnis von der Ehe hat sich in den letzten Jahren fundamental gewandelt, meine Damen und Herren. Früher durfte es keine Ehe zwischen Adligen und Bürgerlichen geben. Früher durfte es auch keine Ehe zwischen Katholiken und Protestanten geben.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU):

Nein. Ich möchte hier im Zusammenhang vortragen. – Früher konnte sogar ein Ehemann seiner Ehefrau das Arbeitsverhältnis kündigen, ohne diese zu fragen. Heute ist all das von gestern. Heute sind diese diskriminierenden Regelungen abgeschafft. Heute sind gleichgeschlechtliche Paare selbstverständlicher Teil unserer gesellschaftlichen Realität. Heute wird auch sprachlich nicht mehr differenziert, ob jemand verpartnert oder verheiratet ist. Heute dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Und wir hier im Bundestag als einfacher Gesetzgeber haben durch unsere Entscheidung selbst dazu beigetragen,

(Tino Chrupalla [AfD]: Schlimm genug!)

dem verfassungsrechtlichen Ehebegriff eine andere Bedeutung zukommen zu lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Bundesverfassungsgericht betont, dass wir als Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit haben, und wir haben diese Gestaltungsfreiheit genutzt, um die Öffnung der Ehe zuzulassen.

(Stephan Brandner [AfD]: Die Verfassung haben Sie gebrochen! Nichts anderes! – Lars Herrmann [AfD]: Und Sie reden über erstes Semester Staatsrecht? Ernsthaft?)

Deswegen bin ich überzeugt: Dass gleichgeschlechtliche Paare heute heiraten dürfen, steht in bestem Einklang mit unserem Grundgesetz, mit unserer Verfassung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Weil Herr Brandner gesagt hat, es gibt hier keine ernstzunehmenden Stimmen neben ihm – das ist ja schon eine bemerkenswerte Selbstüberschätzung, was wir da gehört haben –, sage ich:

(Stephan Brandner [AfD]: Sie bestätigen das doch gerade!)

Nicht nur die Anhörung im Rechtsausschuss, sondern auch verschiedene Gutachten von Staatsrechtsprofessoren haben gezeigt, dass die Verschiedengeschlechtlichkeit heute kein exklusives und damit kein prägendes Strukturmerkmal der Ehe ist. Sie beziehen sich in Ihrem Antrag ja nun auf den Wortlaut von Artikel 6. Ich weiß nicht, ob Sie eine andere Ausgabe des Grundgesetzes haben als ich; aber ich habe darin nichts von Mann und Frau gelesen, sondern von Ehe und Familie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wenn Sie sich die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts einmal genau anschauten und diese Rechtsprechung vielleicht auch noch verstünden, dann wüssten Sie, dass laut Verfassungsgericht auch gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern unter den grundgesetzlichen Schutz von Artikel 6, also unter den Familienbegriff fallen. Wenn aber jetzt der Familienbegriff auch gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern umfasst, dann hat das natürlich Auswirkungen auf die Auslegung des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs. Das nennt man systematische Auslegung. Das lernt man eigentlich im ersten Semester Jura. Da haben Sie wahrscheinlich gefehlt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

All das, was Sie hier vorlegen, ist keine überzeugende verfassungsrechtliche Argumentation. Der Antrag, den Sie uns hier vorlegen, ist Murks, liebe Damen von der AfD.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Antrag ist demokratietheoretisch verfehlt. Sie versuchen, damit die Gesellschaft zu spalten. Ihr Antrag steht verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen. Man kann nur eines machen: diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)