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Dr. André Berghegger: "Wir dürfen uns nicht zu einem Wohlfühlföderalismus weiterentwickeln"

Nachtragshaushaltsgesetz 2021

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lieber Dennis Rohde, da ich dir ja sonst auch nicht widerspreche, werde ich das jetzt auch nicht tun; aber in guter koalitionärer Zusammenarbeit möchte ich deinen Beitrag ergänzen – das gehört zur Vollständigkeit des Bildes dazu –: Wir haben in 2020 im Vollzug dennoch Rekordschulden aufgenommen. Wir haben nichts eingespart.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Sehr richtig! – Otto Fricke [FDP]: Sehr ehrlich!)

Denn Schuldenmachen ist immer der leichtere Weg, als auf andere Art und Weise einen Ausgleich hinzubekommen.

(Dennis Rohde [SPD]: Das ist falsch, André!)

Ich denke, das gehört zur Vollständigkeit des Bildes dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Peter Boehringer [AfD])

Meine Damen und Herren, besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Wenn wir ein – in Anführungszeichen – „normales“ Haushaltsjahr hätten, würden wir nicht fünf Monate nach der Bereinigungssitzung hier stehen und über einen Nachtragshaushalt sprechen. Das wäre nicht realistisch. Jetzt, in dieser Situation, ist das aber, denke ich, nachvollziehbar. Wir haben 2021 – das haben wir mehrfach gehört – ein verändertes Pandemiegeschehen, eine veränderte Virusvariante und nach wie vor erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb ist es haushalterisch richtig, frühzeitig zu handeln, zu reagieren, um das gesamte Jahr über handlungsfähig zu sein.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk [SPD])

Haushalt ist bekanntermaßen in Zahlen gegossene Politik. Und das gilt, glaube ich, jetzt mehr denn je. Wir stemmen uns als Bund mit aller Kraft finanzpolitisch gegen diese Pandemie. Die Ausgaben der Pandemiebewältigung werden wir finanzieren, wenn sie absehbar sind und eine gewisse Haushaltsreife erreicht haben. Aber ich würde auch Wert darauf legen, diesen Nachtrag auf die Pandemiebewältigung zu beschränken, das heißt, wenn möglich, auf die Einzelpläne 15, 32 und 60; das sind Gesundheit, Bundesschuld und Allgemeine Finanzverwaltung. Alle anderen Einzelpläne haben wir vor gerade mal fünf Monaten ausführlich debattiert, diskutiert und entschieden.

Zu Kennzahlen des Nachtrages. Wir haben das Haushaltsvolumen um 50 Milliarden auf jetzt 550 Milliarden Euro erhöht. Wir haben die Nettokreditaufnahme um 60 Milliarden auf 240 Milliarden Euro erhöht. Das sind die nackten Zahlen. Aber was ist das denn eigentlich für eine Dimension? Das will ich an zwei Beispielen noch mal deutlich machen: Die Nettokreditaufnahme innerhalb von zwei Jahren – 2020, 2021 – beträgt 370 Milliarden Euro. Das ist die Summe, die einem Haushaltsvolumen des Bundes von vor wenigen Jahren entspricht, um die Größenordnung einmal festzustellen. Und die Kreditaufnahme in zwei Jahren – 2020 und 2021 – entspricht der Summe der Kreditaufnahme in den 20 Jahren zuvor. Das waren auch keine einfachen Zeiten; es sei nur an die Finanz- und Wirtschaftskrise vor zehn Jahren erinnert.

Zu den inhaltlichen Schwerpunkten dieses Nachtrages. Wir werden natürlich die Unternehmenshilfen ausweiten. Unternehmer, die besonders schwer und lange betroffen sind, erhalten zusätzlich zu den Hilfen einen Eigenkapitalzuschuss; das Stichwort fiel auch schon. Das ist, denke ich, ganz wichtig, um den Unternehmen in dieser Situation eine Hilfeleistung zu gewähren. Wir werden nach den Erfahrungen aus der Praxis die Überbrückungshilfe III weiter ausbauen. Ich hoffe einfach, dass diese Hilfen schnell ankommen, schneller als vielleicht in der Anfangsphase der Pandemie.

An dieser Stelle möchte ich gern die Gelegenheit nutzen, um mit einer Mär aufzuräumen – auch das ist schon in dieser Debatte angeklungen –: Manche Vertreter der Länder behaupten immer wieder, der Bund leiste seine Hilfen nicht. Aber ehrlicherweise wird diese Behauptung auch durch ständige Wiederholung nicht besser. Ein Blick auf Dashboard Deutschland hilft. Es beschreibt tagesaktuell, wie die unterschiedlichen Zuschussvarianten und Hilfsprogramme bearbeitet und abgerufen worden sind. Jedes Programm hat mindestens einen Auszahlungsstand von über 80 Prozent, Stand gestern. Eine Ausnahme gibt es: die aktuell zu bearbeitende Überbrückungshilfe III. Aber das ist auch logisch; da gehen jeden Tag neue Anträge ein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen bitte ich – anders formuliert – die Vertreter der Länder: Suchen Sie den Schwarzen Peter nicht immer beim Bund.

Zweitens. Wir werden Maßnahmen im Gesundheitsbereich anheben. Über die Impfstoffbeschaffung haben wir oft und lange geredet; aber fest steht nach wie vor: Fast jeder Beschaffungspreis ist bei schnellem Einsatz volkswirtschaftlich günstig. Ziel muss es doch sein, die Beschränkungen in dieser Gesellschaft so lange wie nötig, aber vor allen Dingen so kurz wie möglich aufrechtzuerhalten. Deswegen werden wir als Bund da auch noch mal eine zusätzliche Finanzierung unterstützen.

Zu guter Letzt wollen und müssen wir natürlich die Mindereinnahmen im steuerlichen Bereich darstellen. Dies bietet mir die Gelegenheit, noch mal auf das Verhältnis von Bund und Ländern im Allgemeinen zu sprechen zu kommen. Der Föderalismus hat sich bei uns über Jahrzehnte bewährt, und er hat uns stark gemacht. Aber ich beobachte seit Jahren eine Entwicklung mit Sorge, und zwar unabhängig von der Couleur der Landesregierungen: Wir dürfen uns nicht zu einer Art Wohlfühlföderalismus weiterentwickeln nach dem Motto: Die Länder können und wollen sich bei bestimmten schwierigen Fragen nicht einigen oder verständigen, obwohl notwendige Entscheidungen zu treffen sind, Stichwort „Flickenteppich an Regelungen“. Dann muss der Bund eingreifen, soll sich aber bitte sonst nicht zu sehr einmischen, und darüber hinaus soll er noch großzügig finanzieren. – Ich halte diese Entwicklung, höflich formuliert, für unglücklich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Maßstab unseres Handelns muss doch die Zuständigkeitsregelung und die daraus folgende Finanzverantwortung aus dem Grundgesetz sein. Und wenn wir hoffentlich zügig die Pandemie in den Griff bekommen haben, danach einen Strich darunter machen und dabei feststellen, dass die Zuständigkeitsregelungen nicht mehr zeitgemäß sind, dann müssen wir – aber später – sachlich und in Ruhe darüber reden.

Zu den Zahlen im Besonderen: Natürlich hatten Bund, Länder und Kommunen im letzten Jahr geringere Steuereinnahmen. Aber mit den Hilfen des Bundes hatten Länder und Kommunen Mehreinnahmen und der Bund noch größere Mindereinnahmen. Und wenn man sich jetzt die Haushalte der Kommunen genauer anguckt und Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellt, stellt man fest, dass die Kommunen in dieser schwierigen Situation im letzten Jahr sogar finanzielle Überschüsse in den Kernhaushalten aufgewiesen haben. Das wird viel zu wenig erwähnt; wir sollten es aber immer mal wieder betonen und in Erinnerung rufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bund, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird in Zukunft die reguläre Schuldenbremse nur dann so schnell wie möglich wieder einhalten können, wenn er deutliche Prioritäten bei den Ausgaben setzt. Da sehe ich keine großen Spielräume für weitere großräumige Entlastungen von Bund und Ländern. Darin fühle ich mich auch immer wieder durch die Position des Bundesrechnungshofes bestätigt.

Ich komme zum Schluss. Wir können nur immer wieder betonen: Erst die solide Haushaltsführung über Jahre hinweg hat uns die finanziellen Möglichkeiten eröffnet, um in Deutschland jetzt so helfen zu können. Das zeichnet uns auch im Vergleich zu anderen Ländern international aus. Deswegen danke ich an dieser Stelle dem Vater dieser Politik, Wolfgang Schäuble, der nach langer Zeit diese Kehrtwende eingeleitet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu dieser finanziellen Solidität müssen wir so schnell wie möglich zurückkehren, um für die Zukunft gewappnet zu sein; denn es werden auch wieder schwierige Phasen folgen. Das sollte und muss unser Anspruch sein.

Meine Damen und Herren, die Menschen in diesem Land haben es verdient, dass nach so vielen schweren Monaten endlich Besserung in Sicht kommt. Das ist nicht nur, aber auch unsere Verantwortung. Der Nachtrag wird dazu einen Beitrag leisten.

Vielen Dank fürs freundliche Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU)