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Jürgen Hardt

Jürgen Hardt: Deutschland ist einer der wichtigsten humanitären Akteure in Syrien

Redebeitrag zur Syrienpolitik

Es ist gut, dass wir uns hier im Hohen Haus wieder einmal mit der Situation in Syrien befassen, trotz – oder sagen wir – gerade wegen der Coronakrise. Denn die humanitäre Tragödie setzt sich tagtäglich fort.

Assad drangsaliert seine eigene Bevölkerung und unterdrückt jedwede andere Meinung. Er setzt unverhohlen Massenvernichtungswaffen gegen die eigene Bevölkerung ein. Und Corona hat angesichts des desolaten Gesundheitssystems leichtes Spiel und bahnt sich seinen Weg in die notleidende Gesellschaft.

Wie Sie dieses Thema auf die Tagesordnung setzen, liebe Kollegen der AfD, ist allerdings einfach nur perfide! Sie suggerieren eine Normalität, die es nicht gibt. Sie machen sich einmal mehr zum Steigbügelhalter Putins und seiner kühlen, menschenverachtenden Politik in der Region. Sie definieren den Krieg als beendet. Sie sprechen Assad und seinem Regime den Sieg zu, sie wollen ihm mit deutschen Steuermitteln den Wiederaufbau finanzieren und Normalität vorgaukeln.

Das machen wir nicht mit, und zwar keine der anständigen Fraktionen im Deutschen Bundestag. Ihre verantwortungslose Politik können Sie gerne in immer neue Anträge gießen, auf immer mehr Papier verewigen, aber dort wird sie bleiben.

Das Thema Syrien und die tragische Lage ist zu wichtig, als sich in Heuchelei zu ergießen.

Seit Beginn des Bürgerkriegs  in  2011  sind  über  400 000 Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Viele haben bei uns Zuflucht gesucht und gefunden.

Der Krieg in Syrien ist längst zu einem Vielfrontenkrieg geworden. Nur dürfen wir eines nicht vergessen: Russland hat seinem Schützling Assad eine zweite Luft eingehaucht und es erst ermöglicht, dass er seinen brutalen Feldzug gegen die eigene Bevölkerung fortsetzen konnte. Hätte Assad nicht die tatkräftige Unterstützung Moskaus erhalten – und aus Teheran, um das auch hier noch einmal zu unterstreichen –, dann wären die Geschi cke in Syrien viel früher ganz anders gelaufen: sicherlich ohne so viel Blutvergießen, und möglicherweise ohne dass so viele Kinder schutzlos und elend am Gas von Giftbomben erstickt wären.

Die Bilder erschüttern einen noch immer – aber das lässt Sie sicherlich kalt. Andernfalls würden Sie nicht  so verachtende Vorschläge in Anträgen unterbreiten.

Die Notwendigkeit, den Krieg in Syrien einer nachhaltigen politischen Lösung zuzuführen, ist größer denn je. Europa hat sich in der Vergangenheit durch eine zu passive Rolle nicht mit Ruhm bekleckert. Das muss sich ändern.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gute, zielführende Vorschläge, die vieles Blutvergießen verhindert hätten – wie die von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer vorgeschlagene Schutzzone für Nordsyrien –, hier im Hohen Hause zunichte debattiert wurden.

Doch Deutschland setzt sich weiter zur Befriedung und vor allem zur Linderung des menschlichen Leids ein. Deutschland unterstützt maßgeblich die Dialogprozesse unter VN-Ägide, so schwer diese auch sein mögen. Und Deutschland ist einer der wichtigsten humanitären Akteure in Syrien. Das haben mir Gesprächspartner  bei den Vereinten Nationen in New York, die ich noch vor der Coronakrise getroffen habe, sehr anerkennend zum Ausdruck gebracht.

Eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat war es, dass es uns nach harten Verhandlungen gelungen ist, den humanitären Zugang zu ldlib über zwei Grenzübergänge von der Türkei aus zu sichern. Dies rettet Menschenleben. Es ist der große Verdienst von Botschafter Christoph Heusgen  und seinem Team, dass Resolution 2504 zu Beginn des Jahres verabschiedet werden konnte. Dafür gebührt ihm und seinem Team der Dank dieses Hohen Hauses!

Doch die Arbeit daran muss weitergehen. In nur wenigen Tagen steht die Debatte über den fortgesetzten humanitären Zugang erneut an. Wir können nur hoffen, dass Vernunft und Menschlichkeit erneut obsiegen werden.

Aber dies sind nur die kleinen Schritte. Interessierte Dritte, allen voran Russland und der Iran, müssen sich endlich auf einen echten politischen Prozess einlassen, der das Land in eine bessere Zukunft weist. Wenn solch ein Prozess greift, dann können wir über Wiederaufbau und Schritte hin zur Normalisierung reden, aber erst dann.

Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, weil er mich sehr beschäftigt: Bei allen bereits bestehenden Konfliktlinien in Syrien hat sich in den letzten Monaten auch der IS wieder neu gruppiert und seine Aktivitäten ausgeweitet. Dies sollte uns alle alarmieren. Wir dürfen trotz der Coronakrise nicht die Augen vor dieser Sicherheitsgefahr verschließen, die schnell auch wieder Europa treffen kann.

Ich frage mich kritisch, ob es richtig war, dass wir im Frühjahr sehr vorschnell wichtige Fähigkeiten für den Einsatz gegen den IS wie die Luftaufklärung abgezogen haben.

Mit Blick auf die anstehende Mandatsverlängerung im Herbst sollten wir den Diskurs noch einmal sehr kritisch führen. Denn ein effektiver Kampf gegen den IS ist Grundvoraussetzung für eine langfristige Stabilisierung Syriens und der gesamten Region.