Roderich Kiesewetter: Wir wollen keine kaiserliche Abschottungspolitik betreiben
Rede in der Aktuellen Stunde zur Lage im Mittleren- und Nahen Osten
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind soeben wieder Zeugen einer kaiserlichen Pulverfassrhetorik und nationaler Verklärung geworden. Ich warne davor; denn der heutige Tag bietet Anlass genug, nach vorne zu blicken und auch ein paar innovative Ansätze vorzubringen.
Heute ist der 74. Jahrestag der Unabhängigkeit des Libanon. Einige von uns werden sich heute Abend sicherlich in der libanesischen Botschaft wiedersehen. Einige Kollegen haben heute den Blick nach vorne gerichtet. Ich möchte ausdrücklich Norbert Röttgen, Alexander Radwan und Omid Nouripour ansprechen. Der Blick nach vorne heißt doch: Libanon und Irak sind Spielball schiitischer und auch sunnitischer Interessenpolitik geworden. Der Libanon ist kurz davor, zusammenzubrechen. Wir müssen alles tun, dass der Libanon nicht nur erhalten bleibt, sondern dass dieses fragile Gebilde auch im nächsten Jahr, im Mai, die vorgesehenen Parlamentswahlen durchführt. Das ist die Politik, die wir brauchen. Da ist es ein ganz großer Fehler, wenn von der rechten Seite dieses Hauses gesagt wird – gestern vom Fraktionsvorsitzenden und heute von einigen anderen wieder –, dass deutsche Außenpolitik auf die Grenzen Deutschlands, bestenfalls vielleicht der Europäischen Union begrenzt sein soll. Ich will ganz deutlich machen: Wer von uns in den Flüchtlingslagern in Saatari, Jordanien, war oder in Zahlé in der Bekaa-Ebene oder in Gaziantep in der Türkei oder in Dohuk und Sharia im Irak war, so wie ich und andere, weiß, was die Menschen dort bewegt: politische Verfolgung, ethnische Verfolgung, religiöse Verfolgung. Unsere Aufgabe ist es, dort zu helfen. Das geht nur mit einer europäisch abgestimmten Initiative.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Was haben wir in der Hand? Wir beraten die Mission Counter Daesh. Wir haben unsere Ausbildungsmission beraten. Demnächst werden wir UNIFIL beraten. Das sind drei Missionen, die sich um den Libanon, Irak und teilweise Syrien kümmern. Wir müssen diese Einsätze zusammenfügen und strategischer betrachten.
Unsere Verteidigungsministerin hat in dieser und in der letzten Woche europäische Instrumente vorangebracht. Wir stärken die europäische Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in den Bereichen Ausbildung, Logistik, medizinische Versorgung. Wir tun dies bewusst zunächst bei weichen Themen.
Wir müssen alles tun, damit Eltern die Aussicht haben, dass ihre Kinder in den Flüchtlingslagern die Schule besuchen und schreiben und lesen lernen;
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
wir müssen eine gesunde Ernährung gewährleisten und eine Bleibeperspektive schaffen. Das tun wir nicht, indem wir unsere Grenzen schließen, sondern, indem wir herausgehen und uns dort mit unseren Missionen engagieren;
(Beifall bei der CDU/CSU)
indem wir zeigen, dass Europa die Region nicht im Stich lässt. Deswegen müssen der Bundesaußenminister und die Verteidigungsministerin in dieser Übergangszeit intensiv zusammenarbeiten, damit wir in Europa handlungsfähig bleiben; denn es geht hier um etwas.
Im Libanon sind rund 100 000 Raketen, hochmodern ausgerüstet vom Iran, auf Israel gerichtet. Viele von uns hier im Hause bauen auf das Nuklearabkommen mit dem Iran und denken: Das führt zur Entspannung und zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Prosperität. Leider wurde heute auch eine Äquidistanz zwischen Iran und Saudi-Arabien gefordert. Meine Damen und Herren, es gibt einen Riesenunterschied zwischen Iran und Saudi-Arabien: Saudi-Arabien beteiligt sich am Friedensprozess mit Israel – nach zähem Ringen und harten Jahren –,
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und finanziert Salafisten in unseren Fußgängerzonen!)
es verhindert ihn nicht. Aber der Iran ist nicht mal in der Lage, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das sollten wir sehr deutlich unterscheiden.
Es wäre wirklich einen Versuch wert, uns zusammenzusetzen – die Europäische Union und diejenigen, die in der Kontaktgruppe zum Thema Libanon auch das Sagen haben, wie Russland und China – und eine Abrüstungsinitiative in der Region auf den Weg zu bringen, also von europäischer Seite eine Initiative zu starten, damit der Iran einsieht, dass die ballistische Bedrohung Israels durch die Hisbollah einzustellen ist. Das wäre die größte Abrüstungsinitiative, die der Nahe und Mittlere Osten je gesehen hat. Lasst uns dafür kämpfen. Das wäre eine deutsche Außenpolitik und eine Politik der Europäischen Union, bei der wir nicht immer nur reagieren und in hohem Maße Hilfsgelder zur Verfügung stellen müssten – 10 Milliarden Euro für Syrien, 3,6 Milliarden Euro von Deutschland –, sondern in der Region prägend wirken könnten. Es wäre ein Zeichen, dass wir nach vorne schauen und keine kaiserliche Abschottungspolitik betreiben und auch kein Tor in Jerusalem zerstören, damit der Kaiser durchreiten kann.
(Zuruf des Abg. Armin-Paulus Hampel [AfD])
Entscheidend ist, dass wir verlässlicher Partner Israels bleiben und alle Partner in der Region, auch Saudi-Arabien, ermutigen, den Friedensprozess mit Israel fortzusetzen. Deshalb müssen wir auf der einen Seite Saudi-Arabien massiv kritisieren
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Aha! Hört! Hört!)
und auch viele Rüstungsexporte überdenken. Wir dürfen aber auf der anderen Seite Saudi-Arabien nicht China und Pakistan überlassen, sondern müssen die Rechtsstaatlichkeit und den Aufbau einer vernünftigen Zivilgesellschaft in Saudi-Arabien stärken. Wenn uns das gelänge, dann wäre der heutige Tag nicht umsonst. Wir sollten in diesem Parlament konstruktiv in die Zukunft denken.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)