
Antje Lezius: "Über 2.000 deutsche Unternehmen sind in Großbritannien"
Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Viele von uns – ja, ich glaube, die große Mehrheit – bedauern den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zutiefst. Wir bedauern den Austritt, da wir uns mit Großbritannien und den Briten verbunden fühlen. Schon die emotionalen Reaktionen auf das Brexitreferendum haben doch wieder gezeigt: Es gibt eine Verbindung zu Großbritannien, die über wirtschaftliche Interessen hinaus- geht, die auf einer gemeinsamen Kultur, gemeinsamen Werten und einer miteinander verwobenen Geschichte beruht.
Und: Die vielen Vorteile der EU können auch sehr schnell ganz konkret werden. Ich denke da, stellvertretend für viele jüngere Menschen, an meine älteste Tochter, die ihre Ausbildung in Stuttgart begonnen und in London abgeschlossen hat. Wie selbstverständlich profitierte sie von den Errungenschaften der EU, die es ihr ermöglichten, sich auf das Wichtige zu konzentrieren: auf das Erlernen von Neuem und darauf, in einer fremden Umgebung Freunde zu finden, Kontakte zu knüpfen. Alles andere war durch die Verträge zwischen den EU- Mitgliedstaaten, die so gerne als überbordende Bürokratie beschimpft werden, für sie bereits geregelt.
Ja, die Gemeinschaft der Staaten ist nicht nur ein Friedens-, sondern auch ein Fortschrittsprojekt für Ausbildung, Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Es ist der freie Ver- kehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Durch die Beseitigung technischer, rechtlicher und bürokratischer Hindernisse erleichtert die Union den Bürgerinnen und Bürgern den Handel und die Geschäftstätigkeiten. Sie mehrt unseren Wohlstand. Gerade auch vor dem Hintergrund der globalen Machtverschiebungen und neu- er Wirtschaftszentren bin ich aus ökonomischer und arbeitsmarkttechnischer Sicht überzeugt, dass nur ein starker Zusammenschluss der europäischen Staaten unseren Wohlstand langfristig sichern kann.
Blicken wir auf die vergangenen Jahrzehnte. Bis 2015 hatte sich der Außenhandel mit Großbritannien sehr gut entwickelt. Seit 2016, dem Jahr des Brexitreferendums, gehen die Zahlen zurück. Innerhalb der vergangenen drei Jahre ist Großbritannien von Platz fünf auf Platz sieben unserer wichtigsten Handelspartner gerutscht. Der deutsch-britische Außenhandel hat bereits jetzt deutlich gelitten, und dabei ist der Brexit erst seit zwei Monaten vollzogen.
Und dennoch: Über 2 000 deutsche Unternehmen sind in Großbritannien präsent und beschäftigen dort 440 000 Mitarbeiter. 1 500 britische Unternehmen mit 300 000 Beschäftigen sind in Deutschland aktiv. Alleine die geografische Nähe und die Größe unserer Volkswirtschaften sprechen für eine weitere intensive Zusammenarbeit. Es ist also in beiderseitigem Interesse, die Regelungen für unsere Arbeitnehmer und Arbeitgeber weiterhin so gut wie möglich zu gestalten.
Durch das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich mussten zeitnah Regelungen zu Zuständigkeiten und zur Entsendung getroffen werden. Aus rechtsförmlichen Gründen sind zwei einzelne Gesetze erforderlich, deren Entwürfe wir hier parallel behandeln.
Zu den Regelungen der Entsendung von Arbeitnehmern und Selbstständigen. Für Mitgliedstaaten bestand die Möglichkeit, diese Regelungen im Rahmen des Handels- und Kooperationsabkommens mit Großbritannien durch eine Notifikation weiterhin anzuwenden. Diesen richtigen Schritt der Bundesregierung wollen wir als Gesetzgeber jetzt bestätigen. Damit stellen wir sicher, dass lediglich vorübergehend im anderen Staat eingesetzte Arbeitnehmer sowie Selbstständige nicht kurzzeitig in das Sozialversicherungssystem des anderen Staates und anschließend wieder zurück wechseln müssen – eine sinnvolle und notwendige Regelung.
Neben der Entscheidung über die Fortdauer der Entsenderegelungen müssen auch die Zuständigkeiten für die Umsetzung des Abkommens für die Bereiche der sozialen Sicherung gesetzlich geregelt werden. Dies betrifft insbesondere die notwendige Festlegung der Ver- bindungsstellen und der Zugangsstellen für den elektronischen Datenaustausch mit Großbritannien. Die Übernahme der bisherigen Zuständigkeiten ist auch hier sinnvoll.
Sosehr der Austritt des Vereinigten Königreichs zu bedauern ist, gilt es jetzt, mit der Realität umzugehen und sinnvolle Regelungen zu beschließen. Den Gesetz- entwürfen kann in diesem Sinne nur zugestimmt werden.