Alexander Dobrindt: "Fast 20.000 Neuinfektionen sind eindeutig zu viel"
Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 25. und 26. März 2021
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mangelnde Akzeptanz kann auch zu unkontrolliertem Infektionsgeschehen führen. Genau deswegen ist es so entscheidend, dass wir die Balance halten zwischen der Distanz auf der einen Seite und der Akzeptanz auf der anderen Seite. Deswegen war es auch richtig, dass die Regelung zur Osterruhe zurückgenommen wurde. Wir haben Respekt vor dieser Entscheidung. Es ist deutlich geworden, dass die Regelung schwer umsetzbar ist, weil sie die Balance zwischen Vorsicht und Perspektive nicht gehalten hat. Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, entbindet uns in keinster Weise davon, Entscheidungen zu treffen, die das Infektionsgeschehen nach unten drücken. Wir haben immer noch ein dynamisches Infektionsgeschehen. 20 000 Neuinfektionen, das ist alles andere als eine Pandemie unter Kontrolle. Deswegen sind Maßnahmen notwendig, um das Infektionsgeschehen nach unten zu drücken.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Fast 20 000 Neuinfektionen sind eindeutig zu viel. Wir haben ein dynamisches Inzidenzwachstum; das geht eindeutig zu schnell. Eine Virusvariante, die besonders in jüngeren Bevölkerungsgruppen aktiv ist, ist eindeutig die falsche Entwicklung. Wir können in unserer Nachbarschaft, in Österreich, sehr genau beobachten, wie die Entwicklung mit der Virusvariante voranschreitet: In Niederösterreich, in Salzburg, im Burgenland sind es inzwischen gerade junge Menschen, Schülerinnen und Schüler, die 5- bis 14-Jährigen, die eine Inzidenz von 500 vorweisen. Das Infektionsgeschehen wird aus der Schule heraus durch die jungen Menschen verbreitet. Deswegen gehen diese Bundesländer in Österreich jetzt in einen harten Lockdown: Der Unterricht wird auch nach Ostern digital fortgesetzt.
Wir haben jetzt die Chance, mit den Schulen in die Osterferien zu gehen. Aber für die Zeit nach Ostern, wenn die Schule wieder beginnt, brauchen wir entsprechende Konzepte; diese sind noch nicht ausreichend.
(Stephan Brandner [AfD]: Dann machen Sie es doch!)
Es geht um fehlende Luftfilter. Es geht um Tests, die noch nicht durchgeführt werden. Wer die Schulen nicht schließen will, der muss die Schüler besser schützen. Das ist für uns der Maßstab.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Natürlich ist das Aufgabe der Länder; das ist richtig, das wurde hier auch erwähnt. Aber es gibt die Möglichkeit, in den Bund-Länder-Konferenzen über den Fortgang des Unterrichts in den Schulen zu reden, wenn die Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichend stattfinden.
Wir brauchen natürlich, wenn wir in dieser Pandemie eine Perspektive für Öffnungen geben wollen, auch innovative Konzepte. Dazu gehört der digitale Testpass, dazu gehört der digitale Impfpass als Ticket zurück in die Normalität, und dazu gehört auch das digitale Zertifikat der EU. Ich finde es richtig, Frau Bundeskanzlerin, dass jetzt auch im Europäischen Rat über dieses Zertifikat gesprochen wird, dass entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.
Natürlich kann man sich, wenn man über die EU diskutiert, darüber auslassen, dass die Geschwindigkeit, mit der die EU arbeitet, nicht ausreichend ist. Natürlich kann man sich darüber unterhalten, dass wir in den letzten Monaten festgestellt haben, dass die EU im Zusammenhang mit den Impfstoffen und vielem anderen mehr zu langsam agiert hat. Aber, meine Damen und Herren, ich will auch sehr klar sagen: Eine Pandemie, wie wir sie erleben, hat die Qualität, die europäischen Länder auseinanderzutreiben. Ich bin froh und dankbar, dass es gelungen ist, in dieser Frage Europa zusammenzuhalten und dafür die richtigen Entscheidungen zu treffen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])
Sehr geehrter Herr Glaser, Sie haben jetzt sehr viel über die europäischen Verträge geredet und Interpretationen dazu gegeben, die ich nicht für richtig erachte, weil der oberste Grundsatz in der Europäischen Union die Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander ist.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch gar nicht mehr da!)
Und diese Solidarität leben wir hier. Sie haben einen Widerspruch zwischen Souveränität und Solidarität aufgemacht. Ich sage Ihnen: Nein, es gibt keinen Widerspruch zwischen Souveränität und Solidarität. Das sind zwei Seiten einer Medaille in Europa. Wir leben beide, und damit sind wir erfolgreich.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sehr geehrte Damen und Herren, im Nachgang zu der Bund-Länder-Konferenz gibt es zu Recht eine Debatte darüber, ob wir die Entscheidungsprozesse auf den Prüfstand stellen müssen. Ja, ich glaube, die Entscheidungsprozesse müssen sich verändern. Ich bin auch dankbar, dass die Ministerpräsidenten gestern und heute zum Teil genau das formuliert haben. Bund-Länder-Konferenzen – damit wir uns richtig verstehen – waren und sind ein notwendiges Instrument, gerade am Anfang der Pandemie, um einen breiten Konsens zu schaffen, einen Konsens zwischen den Ländern und auch den regierenden Parteien. Aber wenn es jetzt darum geht, eine Pandemie, die deutlich länger dauert, als wir alle das erwartet haben, zu bekämpfen, dann brauchen wir eine Einbindung der Parlamente bei diesen Entscheidungen, dann brauchen wir eine Einbindung des Deutschen Bundestages bei diesen Entscheidungen. Die Bund-Länder-Konferenz ist ein notwendiges Mittel, aber sie darf kein Notparlament werden, meine Damen und Herren. Der Deutsche Bundestag ist das Parlament.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, guten Morgen!)
Deswegen meine dringende Bitte: Wir brauchen bei den Entscheidungen, die in Zukunft anstehen werden, um diese Pandemie zu bekämpfen, einen neuen Stil, auch in der Abstimmung mit dem Deutschen Bundestag. Dann kann wieder Akzeptanz entstehen, die dazu führt, dass wir diese Pandemie gemeinsam erfolgreich bekämpfen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)