
Sebastian Brehm: "Wir müssen in den Unternehmen die Inklusionskompetenz erhöhen"
Jahresbericht 2019 - Menschenrechte
Heute diskutieren wir den Jahresbericht 2019 des Deutschen Instituts für Menschenrechte und den Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland im Zeitraum Juli 2019 bis Juni 2020.
Wie in jedem Jahr hat das Deutsche Institut für Menschenrechte sich zwei Schwerpunktthemen für diesen Berichtszeitraum vorgenommen: Das erste Thema ist das Thema „Abschiebung bei Krankheit“ – das wurde ja heute schon vielfach diskutiert –, und der zweite Themenbereich wird überschrieben mit „Junge Menschen mit Behinderung: anerkannte Berufsausbildung statt Sonderwege“. Auf diesen Bereich möchte ich mich konzentrieren.
Im Bericht wird beschrieben und gefordert, dass wir noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen, gerade jungen Menschen mit Behinderung eine anerkannte Berufsausbildung und damit einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Gleichzeitig müssen wir in den Unternehmen die Inklusionskompetenz erhöhen – durch Barrierefreiheit, durch Sensibilisierung und durch Schulung. Das ist richtig, und das unterstütze ich nachdrücklich.
Kritisiert werden in diesem Bericht die sogenannten Parallelsysteme für Schule und Ausbildung für Menschen mit Behinderung. Ich zitiere: „Werden dauerhaft zwei parallele Systeme – ein Regel-Ausbildungssystem und eine spezielles System für Menschen mit Behinderungen – aufrechterhalten, ist das mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands nicht vereinbar“. So steht es im Bericht. Diese pauschale Kritik kann ich aber leider nicht so stehen lassen. In Deutschland und auch in meinem Wahlkreis in Nürnberg gibt es zahlreiche
Bildungseinrichtungen und Werkstätten, die speziell für Menschen mit teilweise schweren Behinderungen ausgerichtet sind. Diese leisten eine hervorragende und liebevolle Arbeit und geben vielen Menschen Heimat, Stolz und Anerkennung. Ich besuche unsere Einrichtungen regelmäßig, und ich bin immer wieder begeistert von der großartigen Arbeit, die hier geleistet wird.
Denken wir zum Beispiel an eine Schule für Menschen mit starken Sehbehinderungen oder eine Werkstatt für Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen. Gerade die Förderschulen und Fachwerkstätten ermöglichen es, mit ihrer speziellen Fachkenntnis und Ausstattung hier enorm zu helfen. Deshalb muss man aus meiner Sicht aufpassen, dieses starke System nicht schlechtzureden oder gar menschenrechtsfeindlich zu titulieren.
Nach meinem christlichen Menschenbild ist jeder Mensch vor Gott und dem Gesetz gleich – ob mit oder ohne Einschränkungen. Aber jeder Mensch ist auch individuell und braucht individuelle Hilfe und Unterstützung, auf den unterschiedlichsten Stationen seines Lebenswegs. Deshalb kann es hier nicht heißen „entweder – oder“, sondern es muss heißen „sowohl – als auch“. Dort, wo eine Integration möglich ist, ist das gut und richtig. Dort, wo spezieller Förderbedarf besteht, sollten wir diesen auch unbedingt ermöglichen. Alles andere wäre aus meiner Sicht ein Rückschritt im Gedanken der Inklusion.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang immer an eine Rede anlässlich einer Jubiläumsveranstaltung einer Werkstatt in Nürnberg. Dort hieß es: Jeder von uns hat Einschränkungen, beim einen sieht man es mehr, beim anderen weniger. Unser menschenrechtliches Leitbild muss es sein, jeden Einzelnen zu sehen und jeden Einzelnen auf seinem individuellen Weg bestmöglich zu unter- stützen und zu fördern.