Jürgen Hardt: "Das Pro-Kopf-Einkommen der afghanischen Bevölkerung hat sich fast verdreifacht"
Verteidigungs- und Sicherheitskräfte in Afghanistan
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar dafür, dass die amerikanische Regierung ihre einseitigen Abzugspläne aufgegeben hat. Es wäre ein durch ein bloßes Datum getriebener Abzug ohne Berücksichtigung der wirklichen Verhältnisse in Afghanistan gewesen. Es wäre eine Abkehr von unserer bisherigen Strategie gewesen, die wir gemeinsam in der NATO und mit unseren Partnern in der Koalition vereinbart hatten, dass wir gemeinsam reingehen und gemeinsam rausgehen und dass wir dies „condition-based“, also abhängig von der Entwicklung im Land, gestalten.
Es ist in den letzten Jahren sicherlich Zeit verloren gegangen, was den Friedensprozess zwischen den Taliban und der Regierung angeht. Was jetzt in Doha passiert, ist ein zäher, aber durchaus aussichtsreicher Prozess, um zu einem Ergebnis zu kommen, insbesondere dann, wenn wir als RSM-Kräfte unseren Druck aufrechterhalten.
Die Taliban haben massiv Gewalt gegen die Regierungskräfte und gegen die Zivilbevölkerung Afghanistans entfaltet. Man redet von 30 bis 50 Toten am Tag unter den Sicherheitskräften Afghanistans. Glücklicherweise richten sich diese Angriffe im Augenblick nicht gegen Kräfte der Koalition, also auch nicht gegen deutsche Kräfte. Aber wenn wir jetzt entscheiden, über den 30. April hinaus dort zu bleiben, müssen wir gewahr sein, dass die Gefährdung für unsere Truppen vielleicht wieder steigt. Deswegen ist es gut, dass die Verteidigungsministerin entschieden hat, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen einzuleiten, die verhindern sollen, dass die Sicherheitslage für unsere Soldaten sich verschärft.
Mit dem Afghanistan-Einsatz hatten wir von Anfang an das Ziel, dass von Afghanistan keine internationale terroristische Bedrohung mehr ausgehen soll. Dieses Ziel haben wir durch Präsenz in Afghanistan erreicht. Aber wir haben noch nicht erreicht, dass es in Afghanistan einen nachhaltigen, sich selbst tragenden Stabilisierungsprozess gibt, der das verhindert. Und das muss unser Ziel sein.
Zum Schluss meiner kurzen Rede möchte ich noch einige Punkte nennen, die wir darüber hinaus erreicht haben. Es wird ja immer so getan, als sei das alles ein ganz großer Misserfolg. Ich glaube, dass der Afghanistan-Einsatz und auch die zivilen Bemühungen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, aber dass wir deutlich mehr erreicht haben, als manche glauben.
Ich will einige wichtige Aspekte hervorheben: Das Pro-Kopf-Einkommen der afghanischen Bevölkerung hat sich fast verdreifacht. Die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen, hat sich fast verzehnfacht. Die Zahl der Frauen, die nach einer Geburt sterben, hat sich mehr als halbiert. Die Lebenserwartung ist im Übrigen um neun Jahre, von 56 auf 65 Jahre, angestiegen. Dieses Land hat unter RSM und unter der afghanischen Regierung Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte wollen wir nicht gefährden, sondern schützen.
Ich erwarte, dass die Bundesregierung uns über alle Schritte, die jetzt in der NATO vereinbart werden, kurzfristig auf dem Laufenden hält, dass wir im Bundestag auch beraten und entscheiden können, wie es weitergeht, und dass wir vor dem 31. Januar 2022 in Ruhe entscheiden, wie wir mit dem Einsatz in Afghanistan weiter vorgehen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)