Ralph Brinkhaus: Verlängerung der Maßnahmen: Ja, das ist richtig, und das ist notwendig
Redebeitrag zur Regierungserklärung - Bewältigung der COVID-19-Pandemie
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fünf Anmerkungen zum gestrigen Gipfel. Lassen Sie mich als erste Anmerkung einfach noch mal Dank aussprechen – weil man das gar nicht oft genug sagen kann –: Viele Menschen in diesem Land kämpfen, viele Menschen in diesem Land kämpfen erfolgreich, und gerade in den letzten vier Wochen gab es eine besondere Belastung auch für viele Branchen. Das waren nicht nur die Gastronomen, das waren nicht nur die Hotelbesitzer, sondern – wir kriegen das hier als Abgeordnete täglich mit – das waren die Brauereien, das war der Einzelhandel, das waren viele, viele Zulieferer für diese Bereiche. Sie haben echt eine Last, wie die Bundeskanzlerin gesagt hat, auch für das ganze Land getragen, und dafür müssen wir einfach noch mal Danke sagen an dieser Stelle. Das ist nicht selbstverständlich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte auch noch mal Danke sagen an die Menschen, die im Ehrenamt tätig sind, im Sport und im Kulturbereich, die jetzt auch alles runterfahren mussten und die versuchen, irgendwie diese Zeit zu überbrücken und zu überwinden. Auch da ist Großartiges geleistet worden – wie übrigens auch vom Großteil der Bevölkerung, die unglaublich diszipliniert mit einem unglaublichen Beharrungsvermögen mitmacht.
Was ich sehr, sehr schade finde, meine Damen und Herren, ist, dass die kleine, aber laute Minderheit in der Öffentlichkeit mehr vorkommt als die übergroße Mehrheit der Menschen, die dieses Konzept mitträgt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Natürlich ist Widerspruch in einem demokratischen System notwendig; das ist klar. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass die Grenze zwischen Widerspruch, der notwendig ist, und dem politischen Geschäftsmodell, das daraus gemacht wird, ziemlich verschwommen ist.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Das finde ich sehr, sehr schade, und das finde ich sehr, sehr unangemessen, weil es der Situation überhaupt nicht angemessen ist und überhaupt nicht passt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zweite Bemerkung. Am Ende entscheiden die Zahlen, und die Zahlen sind immer noch schlecht. Ja, sie sind besser geworden. Ja, wir haben den Anstieg der Dynamik gestoppt. Aber trotzdem reicht es nicht. Wer sich heute Morgen die RKI-Zahlen und insbesondere die Zahl der Menschen, die gestorben sind, angeguckt hat, der weiß: Wir sind noch lange nicht am Ende beim Kampf gegen die Pandemie,
(Zuruf von der AfD: Wir haben Untersterblichkeit!)
auch wenn der eine oder andere da was anderes behauptet, meine Damen und Herren.
Dieser Kampf geht auch ins medizinische System hinein. Ich weiß nicht, wer von Ihnen Kontakte zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem medizinischen System gehabt hat. Die machen sich Sorgen, in den Hausarztpraxen, die Helferinnen, die Krankenpfleger, die Ärzte und insbesondere die Menschen, die jeden Tag diesen Dienst auf den Intensivstationen leisten. Auch dafür ein Dankeschön! Auch ihnen sind wir es schuldig, dass wir diese Pandemie bekämpfen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist es auch richtig, dass sich die Ministerpräsidenten gestern mit der Bundesregierung getroffen haben, um Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Ganz ehrlich – ich weiß, es lag nicht an der Bundesregierung –, ich hätte es mir zwei Wochen früher gewünscht. Hier haben wir zwei Wochen verloren; auch das gehört zur Wahrheit dazu. Aber gut, dass was geschehen ist.
Dritte Bemerkung. Was ist die Währung, die im Kampf gegen die Pandemie entscheidend ist? Das ist natürlich die Reduktion von Kontakten. Wenn wir uns darüber einig sind, dass die Reduktion von Kontakten Infektionen vermeidet, weil wir aufgrund der Zahlen nicht mehr jeden Einzelfall nachverfolgen können, weil wir nicht mehr bei jedem Einzelfall wissen, wo sich die Leute angesteckt haben, dann haben wir drei Bereiche, wo wir Kontakte reduzieren können:
Der erste Bereich ist die Wirtschaft, von der Fabrik bis zum Einzelhandel. Zu dem zweiten Bereich, Schule und Kita, sagen wir zu Recht: Wir wollen die Schulen und Kitas so lange wie möglich offen halten. Und der dritte Bereich ist der Freizeit- und Privatbereich. Wenn ich im ersten Bereich – Wirtschaft – und im zweiten Bereich – Schule und Kitas – so viel wie möglich offen halten möchte, dann muss ich im dritten Bereich die Kontakte reduzieren. Das ist eine sehr einfache Rechnung. Deswegen sind diese Maßnahmen, die beschlossen worden sind, auch richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bei der vierten Bemerkung geht es um die Bewertung der gestern beschlossenen Maßnahmen im Einzelnen.
Verlängerung der Maßnahmen: Ja, das ist richtig, und das ist notwendig. Ich habe schon Anfang November gesagt, dass wir keine Garantie haben, dass wir im Dezember die Maßnahmen nicht verlängern müssen. Das wurde nicht gerne gesehen. Es war aber leider wahr.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! „Wahr“ nicht!)
Was ich mir gewünscht hätte, wäre vielleicht, dass man nicht um jeden Quadratmeter – bei allem Verständnis für den Einzelhandel – gefeilscht hätte. Ich weiß nicht, ob das am Ende richtig war.
Was ich mir vor allen Dingen gewünscht hätte, wäre, dass wir die sogenannte Hotspot-Strategie ein bisschen einheitlicher organisiert hätten, als das gestern im Papier der Fall war. Denn eines ist auch richtig: Ein Landkreis, der ein Hotspot ist, trägt nicht nur die Verantwortung für die eigene Bevölkerung, sondern auch für die Nachbarlandkreise, für die Nachbarbundesländer. Insofern ist es eine überregionale Aufgabe, diese Hotspots einzudämmen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiterer Bereich – da sind zusätzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht worden – sind die Wintermaßnahmen. Darüber, ob die jetzt erst zum 1. Dezember kommen sollten oder nicht vielleicht schon früher hätten in Kraft treten müssen, kann man sich streiten. Es ist richtig, dass wir die Zahl der Kontakte noch mal reduzieren. Und es ist richtig, dass die Maskenpflicht noch mal erweitert wird. Insofern waren das gestern gute Beschlüsse.
Dann ist auch über Weihnachten gesprochen worden; ein unglaublich emotionales Thema: Weihnachten als Fest der Familie. Ich würde mir wünschen, dass auch mal mehr über Weihnachten als christliches Hochfest geredet würde; aber okay, das ist vielleicht schwierig. Das hat eine Bedeutung. Und natürlich ist es gut, dass gesagt wird: Ja, wir wollen da mehr Kontakte zulassen. – Ich finde es aber ambitioniert, das heute schon zu versprechen, weil wir nicht wissen, wie sich die Situation im Dezember entwickeln wird.
Und ob man Weihnachten und Silvester zusammen mit Lockerungen belegen muss, weiß ich nicht. Das ist ein doppeltes Risiko. Und ganz ehrlich, meine Damen und Herren: Wir sind in der schwersten Krise in dieser Republik seit 75 Jahren. Da ist es wohl auch mal zumutbar, dass man Silvester nicht böllert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der AfD)
Dementsprechend sollte man wirklich gucken, über was man sich an der einen oder anderen Stelle unterhält.
Jetzt kommen wir zu dem Bereich Schule. Wir alle wollen die Schulen und Kitas so weit wie möglich offen halten. Da sind wir uns auch, glaube ich, alle einig. Aber zwischen „offen halten“ und „ganz schließen“ gibt es Zwischenstufen. Dazu gehört Wechselunterricht. Dazu gehört ein vernünftiges Schulbusmanagement. Dazu gehören auch Konzepte für das Distanzlernen. Die Bundesländer – es tut mir leid, wenn ich das jetzt sagen muss – hatten monatelang Zeit und Geld dafür, das umzusetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dementsprechend würde ich mich wirklich freuen, wenn wir im Bereich Schule noch etwas differenzierter an die ganze Sache herangehen; denn ich glaube, da ist noch Potenzial.
Ich finde es gut, dass wir über vulnerable Gruppen, wie es so schön heißt, reden. Sie sind ja übrigens viel größer, als das hin und wieder dargestellt wird. Es ist gut, dass es Masken für diese vulnerablen Gruppen gibt. Trotzdem finde ich: Wir haben noch keine flächendeckende, überzeugende Strategie für Pflegeheime.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist einfach so. Wir haben keine flächendeckende, überzeugende Strategie für Schnelltests. Auch das ist einfach so. Und wir brauchen ganz schnell – der Bundesgesundheitsminister hat angekündigt, dass das jetzt erfolgt – eine Strategie, wer zuerst geimpft wird; denn das sind die Fragen, die die Menschen – mir zumindest – im Wahlkreis stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)
Kommen wir zu einem weiteren Bereich: die Rolle das Parlamentes. Ich glaube, in den Sachmaßnahmen ist die Rolle des Parlamentes angemessen. Wir haben die Gesetze beschlossen, im Rahmen derer die Bundesregierung und die Landesregierungen handeln können. Wir haben die Gesetze durch das Infektionsschutzgesetz noch mal geschärft. Wir debattieren darüber nicht nur heute hier, sondern wir haben mehr als 70-mal über dieses Thema debattiert. Insofern ist das auch alles in Ordnung.
Aber es gibt einen Bereich, Frau Bundeskanzlerin – das gilt auch für die Bundesratsbank bzw. die Länder –, der nicht in Ordnung ist: dass dort finanzielle Beschlüsse getroffen werden, ohne den Bundestag zu konsultieren. Das Haushalts- und Budgetrecht hat der Deutsche Bundestag. Ich frage mich, auf welcher Rechtsgrundlage dort entschieden wird, dass Hilfen verlängert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Ich will nicht in Zweifel stellen, dass Hilfen verlängert werden; das ist überhaupt keine Frage. Wir wollen diese Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern auch nicht auf Kosten der Gastwirte und Hoteliers austragen.
Aber ich finde es nicht in Ordnung, wie die Lastenteilung im Bereich Finanzen zwischen Bund und Ländern ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Die Länder und die Kommunen kriegen über die Hälfte der Steuereinnahmen. Ich erwarte von den Ländern, dass sie sich jetzt endlich mal finanziell in diese Sache einbringen und nicht immer nur Beschlüsse fassen und die Rechnung dann dem Bund präsentieren. Das ist schlichtweg nicht in Ordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Kommen wir zur letzten und fünften Anmerkung; das ist nämlich die entscheidende. Reicht das alles? Erst mal muss man eines sagen: Diejenigen, die da gestern gesessen haben, diejenigen, die auch in den letzten Wochen gerungen haben, tun das mit viel Verantwortung. Ich habe großen Respekt davor. Ich habe auch großen Respekt vor der föderalen Ordnung, und ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Ministerpräsidenten.
Es ist gestern mal das passiert – zumindest weitestgehend –, was wir immer angemahnt haben, nämlich dass es Einigkeit gab. Das ist gut, und das ist richtig. Aber trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, um diese Welle wirklich nachhaltig zu brechen und die Zahlen nach unten zu treiben. Ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren. Ich persönlich hätte mir konsequentere Maßnahmen gewünscht; denn eines ist nämlich auch richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Dieses scheibchenweise Immer-einen-Draufsetzen zermürbt uns doch alle.
Wir müssen jetzt eines hinkriegen: dass wir schnell aus dieser Krise herauskommen, dass wir konsequent herauskommen, dass wir das Licht am Horizont sehen und konsequent darauf zulaufen. Das ist natürlich schwierig, weil es Widerstände gibt. Das ist auch aus politischen Gründen schwierig. Es gibt die eine oder andere Landesregierung, die eine problematische Koalition hat.
(Christian Lindner [FDP]: War das jetzt ein Kompliment?)
Das ist alles richtig. Es ist schwierig, weil es Widerspruch gibt. Und es ist schwierig, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil man den Menschen was zumuten muss. Aber eines ist auch richtig: Führen in der Krise heißt eben auch, den Menschen was zuzumuten.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)