Dr. Georg Kippels: Die politische Entscheidungsführung war konsequent, sie war angepasst
Redebeitrag zur Parlamentsbeteiligung bei den Infektionsschutzmaßnahmen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger zu Hause an den Bildschirmen, die Sie mit Sicherheit mit großem Interesse die Debatte heute hier im Hause verfolgen! Seit nahezu acht Monaten beschäftigt und verfolgt uns die Coronapandemie, ein Virus, ein unsichtbarer Feind, der Leben und Existenzen, der Gesundheit bedroht und mit dem wir uns tagtäglich auseinandersetzen müssen. Ich denke, jeder, der hier als Abgeordneter oder aber auch in den Länderparlamenten politische Arbeit leistet, ist sich der Verantwortung bewusst, mit der wir uns mit diesem Thema auseinandersetzen müssen.
Der Antrag der FDP zeigt nun, dass es zumindest eine Partei gibt, die mit dem Verlauf bis jetzt unzufrieden ist, und auch wenn wir schon heute Morgen mehrfach von unserem Fraktionsvorsitzenden und eben auch sehr ausführlich vom Kollegen Henke gehört haben, dass wir diese Position nicht teilen, will auch ich es mir nicht nehmen lassen, mich inhaltlich damit auseinanderzusetzen.
Blicken wir zuerst auf die quantitative Komponente der Befassung des Deutschen Bundestages, so kommen wir doch eigentlich schon zu einer beachtlichen Liste von Befassungen: 70 Debatten, mehrere grundlegende Gesetze, die verändert worden sind. Sie selbst zitieren in Ihrem Antrag die grundlegende Entscheidung am 25. März dieses Jahres und auch Entscheidungen in der Folgezeit.
Ich kann mich an schon nahezu unzählige Runden im Gesundheitsausschuss mit dem Gesundheitsminister bzw. auch mit dem RKI-Präsidenten Professor Wieler erinnern, in denen wir inhaltlich äußerst intensiv diskutiert haben. Quantitativ sehe ich also kaum ein Defizit. Aber das scheint ja offensichtlich aus Ihrer Sicht nicht das entscheidende Kriterium zu sein. Also: Widmen wir uns der Qualität der Prozesse! Und auch da empfinde ich im Ergebnis kein Defizit, weil wir unter den besonderen Bedingungen, die uns die Coronapandemie beschert hat, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz durchaus Rechnung getragen haben.
Ich stehe hier als Jurist und Gesundheitspolitiker und insofern einerseits motiviert aus meiner Verpflichtung zum Grundgesetz und zu den demokratischen Rechten, aber auch aus meiner Verpflichtung für das Wohlergehen und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Diese beiden Komponenten stehen im Moment in einer dramatischen Konkurrenz. Wir sind gehalten, diesem von mir eben schon genannten unsichtbaren Feind die Stirn zu bieten, den Gesundheitsschutz zu gewährleisten, und dies unter gleichzeitiger Beachtung der demokratischen Rechte.
Natürlich hat das Grundgesetz das Parlament zum Souverän der Gesetze gemacht, aber – so zeigt uns der Blick in Artikel 80 – man hat schon bei den Vätern und Müttern des Grundgesetzes erkannt, dass es besondere Situationen geben kann, in denen sich das Zuständigkeitsverhältnis verschieben muss, um schnell, effektiv, zielgenau und auch mit der gebotenen Flexibilität in der Reaktion zu entscheiden.
Das haben wir bis jetzt konsequent angewendet, und ich will sicherlich nicht verhehlen, dass ich glaube, es richtig einzuschätzen, wenn ich davon ausgehe, dass wir alle am Ende des ersten Halbjahres der Sitzungsperiode so eine leise Hoffnung hatten, dass wir mit der Perspektive in die sitzungsfreie Zeit hineingehen, dass die Kontrolle umfassend wird, dass die Maßnahmen bei Corona greifen, dass die medizinischen Systeme Fortschritte machen, dass vielleicht irgendwann ein Impfstoff zur Verfügung steht und vielleicht auch die therapeutischen Maßnahmen zur einer schnellen Heilung der infizierten Menschen führen. Alle diese Hoffnungen sind bedauerlicherweise enttäuscht worden. Das ist aber keine Folge davon, dass es Versäumnisse gegeben hat, sondern dass eben diese immense Herausforderung des Coronavirus die bisherigen Befassungen nicht zum Erfolg führen ließ.
Liebe Kolleginnen der FDP, wenn Sie hier etwas zu kritisieren haben, dann könnte es allenfalls die Tatsache sein, dass es noch keinen besonders intelligenten Wissenschaftler gegeben hat, der die wissenschaftliche Fragestellung der Bekämpfung des Coronavirus lösen konnte. Die politische Entscheidungsführung dazu war konsequent, sie war angepasst, sie war unter Berücksichtigung dessen, wer an dieser Stelle zu handeln hat, immer ausgewogen, und sie ist auch nachvollziehbar begründet. „Nachvollziehbar begründet“ hat allerdings die Schwäche, dass nicht alle dieses Ergebnis teilen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist aber kein Defizit der Demokratie, sondern das ist vielleicht ein Defizit der persönlichen Selbsteinschätzung im Umgang mit dem Thema.
Zum Schluss noch zwei kurze Bemerkungen. Einheitlichkeit und Umfang der Beratungen sind ein wichtiges und hohes Gut. Aber ich kenne im Moment keinen renommierten Wissenschaftler in der Bundesrepublik, der zu diesem Thema und den Vorgehensweisen keinen Kommentar abgesetzt hätte. Man wird nicht über quantitative Fragestellungen dazu kommen, wer denn jetzt recht hat und wer den richtigen Weg beschreitet, sondern es ist immer ein sehr schwieriger Gewichtungsprozess. Insofern wird uns – entsprechend dem letzten Satz Ihres Antrags – ein Expertenrat die Entscheidung, egal auf welcher Ebene, nicht abnehmen.
Wir sind jetzt in der Notwendigkeit befangen, neue Wege zu beschreiten, auch in Fragen des Beratungsformates. Das ist an dieser Stelle schon mehrfach benannt worden, und das werden wir in den nächsten Wochen intensiv tun müssen. Ich befürchte leider nur, –
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Kippels.
Dr. Georg Kippels (CDU/CSU):
– dass die Anzahl der Beratungen das Finden des richtigen Weges nicht ersetzt.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Schulz [AfD])