
Dr. Mathias Middelberg: Wir haben längst gehandelt
Rede zur Wiedergutmachung im Staatsangehörigkeitsrecht
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir teilen in ganz weiten Punkten Ihre Einschätzungen, Ihre Darlegungen, die Sie eben hier geäußert haben, Frau Göring-Eckardt. Es darf ja nicht umsonst sein, dass wir wie auch gestern hier Gedenktage veranstalten, dass wir des großen Unrechts gedenken, das wir Deutsche vor allem gegenüber dem jüdischen Volk verübt haben. Dann muss es auch so sein, dass wir die konkreten Konsequenzen ziehen.
Ich bin ganz ausdrücklich damit einverstanden, wenn Sie sagen, dass der Begriff „Wiedergutmachung“ in diesem Zusammenhang kein geeigneter Begriff sei. Über alle diese Dinge sind wir, glaube ich, einig; da wird es zwischen uns keinen Streit geben. Trotzdem kommt mir das, was wir so machen – ich sage das ganz ehrlich –, ein wenig wie eine Scheindebatte vor.
Sie haben eben davon gesprochen, es gehe darum, ein Recht einzuräumen oder einen Anspruch auf gesetzlicher Basis einzuräumen, und das sei nun das Entscheidende. Da sind wir tatsächlich anderer Meinung. Sie haben eben gesagt, es müsse jetzt gehandelt werden. Ich kann nur feststellen: Es wird längst gehandelt, nämlich seit August letzten Jahres. Da hat die Bundesregierung – das haben Sie in einem Nebensatz auch erwähnt – tatsächlich gehandelt, nämlich zwei Erlasse verkündet, die genau die Problemfelder behandeln, die bisher bei der Anwendung des Artikel 116 Absatz 2 unzureichend behandelt wurden, für die keine konkreten Regelungen getroffen waren.
Das waren vor allen Dingen Fälle, in denen insbesondere Juden nicht formell ausgebürgert worden sind, sondern aus Deutschland geflohen sind, was sie damals tun mussten. Sie sind in andere Länder gegangen und haben durch den Erwerb der dortigen Staatsangehörigkeit beispielsweise die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Das hat es ihnen schwer gemacht und macht es ihnen auch heute schwer, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben.
Dafür aber – darin sind wir uns auch einig – muss es eine Lösung geben; sie gibt es auch schon. Die Aufforderung, jetzt müsse einer handeln, jetzt müsse die Bundesregierung etwas tun, Frau Göring-Eckardt, geht, ehrlich gesagt, ins Leere; denn die Bundesregierung handelt schon seit August letzten Jahres, und das will ich hier noch einmal ausdrücklich feststellen.
Allen, die so betroffen sind, wie Sie es beschrieben haben, wird geholfen. Da sind eine Menge von Sondergruppen zu nennen und zu behandeln. All die sind in diesen Erlassen erfasst. Mit diesen Erlassen haben wir auf dem verwaltungsrechtlichen Wege jetzt viel schneller handeln können, und wir können auf dem verwaltungsrechtlichen Wege auch sehr viel flexibler handeln.
Das erkennen wir an dem einen oder anderen besonderen Fall. Es gab zum Beispiel eine Einbürgerung von Danzigern in das Deutsche Reich. Dabei hat man aber jüdische Mitbürger in Danzig nicht eingebürgert. Das ist eine Spezialgruppe, die quasi nicht ausgebürgert wurde, die ihre Staatsangehörigkeit nicht verloren hat. Sie wurden gar nicht eingebürgert, obwohl sie damals eigentlich einen Einbürgerungsanspruch gehabt hätten.
Auch diese Sondergruppen sind jetzt durch die Regelungen erfasst, die wir getroffen haben. Da gibt es überhaupt keine Beschränkungen. Es hätte auch auf die Verfahren überhaupt keinen Einfluss, wenn wir das jetzt durch ein Gesetz regeln würden. Es würde überhaupt keinen Unterschied machen.
Auch Sie haben in Ihrem Gesetzesvorschlag formuliert, dass ein Wiedergutmachungsinteresse gegeben sein muss, und haben dafür Regelbeispiele genannt. Den unbestimmten Rechtsbegriff des Wiedergutmachungsinteresses müssten wir auch durch Verwaltungsvorschriften oder durch Verwaltungspraxis auslegen. Das heißt, wir wären dann genau an dem Punkt, an dem wir jetzt schon sind, und bei dem, was wir jetzt schon abgearbeitet haben: Wir müssten nämlich dazu Verwaltungsvorschriften und Erlasse entwickeln. Das heißt, wir wären mit Ihrem Gesetz am Ende keinen Schritt weiter. Wir wären kein Jota weiter. Es würde überhaupt keinen Unterschied machen.
Ich würde von keinem verlangen, dass er Jura studiert; das will ich auch keinem zumuten.
(Marianne Schieder [SPD]: Es ist nicht schlecht!)
– Finde ich auch. Ich habe es auch genossen. – Aber Sie lernen im Jurastudium relativ bald, dass es so etwas wie eine Ermessensbindung der Verwaltung gibt. Die entsteht entweder dadurch, dass die Verwaltung bestimmte Fälle immer wieder in gleicher Weise behandelt, oder die besteht durch eine – ich sage mal: vorweggenommene – Verwaltungspraxis, die man in Verwaltungsvorschriften oder beispielsweise in Erlassen festlegt. Wenn die Verwaltung dann aber so gebunden ist – Stichwort: Ermessensreduzierung auf null –, dann entwickelt sich dadurch für den Betroffenen ein Rechtsanspruch. Das heißt, wir haben materiell hier die gleiche Rechtslage geschaffen, die wir hätten, wenn wir jetzt Ihr Gesetz beschließen würden.
Ich sage es einmal ganz offen: Die Aufforderung „Ihr müsst handeln!“ ist völlig richtig. Ich sage dazu nur: Wir haben längst gehandelt. Deswegen brauchen wir auch nichts mehr zu ändern.
(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre gut, wenn es auch jeder sieht!)
Genau das ist die Situation. Alle Sonderfälle – ich könnte noch auf alle möglichen Fälle eingehen – sind behandelt.
Was noch ein großes Problem ist – das ist jetzt der eigentliche Haken an der Sache –: Die Verfahren dauern relativ lange; die dauern ziemlich lange. Das ist das eigentliche Problem. Ich habe die Information leider nicht im Detail, aber das Auswärtige Amt stockt in den Auslandsvertretungen meines Wissens personell auf, um die Fälle besser und schneller behandeln zu können. Vor allen Dingen haben wir im Parlament mit dem letzten Haushalt festgelegt, dass das Bundesverwaltungsamt gerade im Bereich der Prüfungen in Staatsangehörigkeitsverfahren 50 zusätzliche Stellen bekommt. 50 zusätzliche Stellen! Davon werden die meisten, jedenfalls ein großer Teil, in genau den Verfahren eingesetzt, um die es jetzt geht.
Also, ich sage Ihnen ganz offen: Diesem sehr konkreten und auch wichtigen Problem – das haben Sie zu Recht, Frau Göring-Eckardt, geschrieben: das ist ein wirklich wichtiges Thema – stellen wir uns mit den angemessenen gesetzgeberischen Möglichkeiten und mit dem angemessenen und aufgestockten Personal. Ich glaube, das ist eine gute Lösung. Das sollten wir den Menschen auch so erzählen und es auch so vermitteln. Wir sollten nicht immer den Eindruck vermitteln, als wäre die Rechtslage schlecht und als hätten sie keinen Anspruch. Sie haben einen Anspruch. Die Verwaltungspraxis ist gefestigt, und die Verwaltung ist an die Anwendung der gesetzlichen Regelungen gebunden.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dann können Sie dem Antrag zustimmen!)