Dr. Mathias Middelberg: "Es darf keine Scheuklappen geben"
Rede zum Vorgehen gegen kriminelle Clans
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist, glaube ich, doch schon zu Anfang der Debatte der Zeitpunkt gekommen, um einige Dinge richtigzustellen und geradezurücken,
(Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
die Sie übersehen haben, Herr Kollege Baumann. Wir haben hier vor wenigen Wochen über den letzten Stand der Kriminalitätsstatistik diskutiert, und vielleicht ist Ihnen das entgangen: Wir haben den niedrigsten Stand der Kriminalität in Deutschland seit 1992,
(Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! Es ist alles super in unserem Land! Natürlich!)
den niedrigsten Stand der Kriminalität seit 27 Jahren. Das zeigt, dass auch unterschiedliche Bundesregierungen, unterschiedliche Bundesinnenminister insgesamt eine erfolgreiche Arbeit abgeliefert haben, auch die Polizeien vor Ort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben im Übrigen auch die beste Aufklärungsquote seit 2005, also seit 14 Jahren.
Aber – und das wollen wir auch gar nicht wegdiskutieren; insofern ist es gut, dass wir heute über das Thema sprechen –: Wir haben Probleme in ganz spezifischen Bereichen, auch in spezifischen Bereichen der organisierten Kriminalität, und dazu zählt die Clankriminalität. Diese Probleme mögen an dem einen oder anderen Punkt – das sage ich auch ganz offen – eine Zeit lang nicht angemessen beachtet worden sein, vielleicht auch übersehen worden sein und möglicherweise – da hat der Kollege Reul recht – auch „verpennt“ worden sein. Das liegt allerdings nicht in der Verantwortung des Kollegen Reul und der jetzt in Nordrhein-Westfalen amtierenden Regierung, sondern es hat Vorgängerregierungen gegeben,
(Zuruf von der SPD: Vorsicht!)
die vielleicht das eine oder andere Phänomen geflissentlich, aus welchen Gründen auch immer, übersehen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Kollege Jäger, der Vorgänger von Herrn Reul, hat seinerzeit ausgeführt, dass es sich aus polizeilicher Sicht verbiete, eine solche Kategorisierung, also etwa nach Clans, nach Familienstrukturen, vorzunehmen. Solche Scheuklappen dürfen wir uns in Zukunft nicht mehr leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das hat auch nichts mit Toleranz oder Rücksichtnahme auf Familienzugehörigkeiten zu tun. Da darf es keine Scheuklappen geben. Wir werden demnächst klare Lagebilder entwickeln, die diese Clanstrukturen offenlegen. Nordrhein-Westfalen – das sage ich sehr lobend in Richtung des Kollegen Reul – ist hier mit bestem Beispiel vorangegangen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Konstantin Kuhle [FDP]: Dank auch an den Koalitionspartner!)
Die Innenminister haben jetzt zu Recht beschlossen, dass sich alle Bundesländer daran beteiligen, sodass wir zügig einen bundesweiten Überblick über die Clankriminalität erhalten.
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Herr Kollege Middelberg, der Kollege Peterka, AfD, würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU):
Nein, die lasse ich nicht zu. Ich würde gerne im Zusammenhang vortragen.
Es ist richtig, dass der Umfang der Straftaten erheblich ist. Allein in Nordrhein-Westfalen gab es 14 000 Straftaten in den letzten drei Jahren,
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Zwei Jahre!)
mit 6 500 Tatverdächtigen und über 100 beteiligten Großfamilien. Auch die Art und Intensität dieser Straftaten macht uns große Sorgen. Ich will auf die Details aber gar nicht weiter eingehen, weil wir uns in der Analyse wahrscheinlich relativ einig sind. Entscheidend ist, was wir jetzt machen. Es kommt darauf an, eine wirklich umfassende Strategie durchzuziehen. Dabei geht es darum, ein bundesweites Lagebild zu erstellen. Es geht darum, die Kooperation zwischen Bund und Ländern, aber auch zwischen den beteiligten Behörden – nicht nur den Sicherheitsbehörden, sondern auch den Sozialbehörden und den Bildungseinrichtungen – deutlich zu intensivieren.
Ich will die Maßnahmen nennen, die bereits in die Wege geleitet worden sind, vor allem die auf Bundesebene. Der entscheidende Schritt war das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, also die Einziehung von aus Straftaten erlangten Vermögenswerten. Hier haben wir im Jahr 2017 eine entscheidende Änderung vorgenommen, die auch schon zu erkennbaren Ergebnissen führt. Das können Sie hier in Berlin und auch in Nordrhein-Westfalen sehen, wenn Nobelkarossen oder ganze Immobilienbestände beschlagnahmt werden. In Berlin ging es um einen Immobilienbestand im Wert von 77 Millionen Euro. Das sind wirkliche Schläge gegen organisierte Clanstrukturen. Das muss man deutlich machen und lobend erwähnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Bisher war es so, dass wir den Leuten nachweisen mussten, dass sie die Gegenstände aus Straftaten – in Anführungszeichen – „erworben“ haben. Nach jetziger Gesetzeslage ist es ausreichend, dass ein Missverhältnis zwischen dem Wert der Gegenstände und den legalen Einkünften der Betroffenen gegeben ist. Das ist ein wirksamer, wahrscheinlich der wirksamste Hebel zur Bekämpfung von Clanstrukturen.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, unser Vorschlag!)
In Zukunft muss noch entschiedener vorgegangen werden. Nordrhein-Westfalen tut das jetzt. Die Aktionen von Herrn Reul sind keine Spielerei und auch kein Vorgaukeln von Handlungsfähigkeit, sondern das sind Maßnahmen, die real Wirkung haben. Auch schon bei kleinsten Verstößen muss die Devise sein: Null Toleranz gegenüber den Clans von Anfang an. Das ist ein wesentlicher Punkt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Haben Sie nie gemacht! Seit 30 Jahren!)
– Sie übersehen vieles, Herr Baumann. Sie nehmen an den Beratungen einigermaßen regelmäßig teil, aber irgendwie kriegen Sie das meiste nicht mit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Sie haben auch nicht mitgekriegt, dass wir vor zwei Wochen das Geordnete-Rückkehr-Gesetz beschlossen haben. Die Schwellen bei Strafbarkeit und Ausweisungsinteresse sind damit noch einmal abgesenkt worden. Wenn in Zukunft eine Verurteilung zu einem halben Jahr Freiheitsstrafe vorliegt, dann begründet das schon ein starkes Ausweisungsinteresse. Das ist ein ganz realer Hebel, um in Zukunft mit aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auch bei Mitgliedern solcher Clans anzusetzen. Das müssen wir entschieden umsetzen. Die Rechtsgrundlage dazu gibt es.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich könnte auch noch den Pakt für den Rechtsstaat erwähnen.
Ich sage: Die Zeit des Wegschauens, die Zeit mancher falsch verstandenen politischen Korrektheit ist vorbei. Der Machtdemonstration der Clans müssen wir eine Machtdemonstration unseres Rechtsstaats entgegensetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
In unserem Land gilt nicht das Recht der Clans, sondern es gilt das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Darauf müssen sich alle Bürgerinnen und Bürger in diesem Land verlassen können. Wir haben die wesentlichen Beiträge dazu auf Bundesebene geleistet. Jetzt müssen die Länder mit den Länderpolizeien und auch das Bundeskriminalamt die entsprechenden Maßnahmen umsetzen. Personell und sächlich sind sie dazu ausgestattet, und jetzt wird entschieden gearbeitet.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)