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Prof. Dr. Patrick Sensburg: Der IStGH ist erfolgreich und zwingend notwendig

Internationalen Strafgerichtshof stärken

Am 1. Juli 2002 trat das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs in Kraft. Es war wenige Jahre zuvor, am 17. Juli 1998, in Rom unterzeichnet worden. Das zwanzigjährige Jubiläum zwingt geradezu zu einem Rückblick auf Erfolge und Schwächen der bisherigen Tätigkeit des Gerichts, das mit seiner universellen Zuständigkeit einen äußerst ambitionierten Anspruch erhebt.

Nichts weniger soll der IStGH gewährleisten als die strafrechtliche Verfolgung derjenigen, die aus einer staatlichen Machtposition heraus schwere Verbrechen im Sinne des Völkerrechts begangen haben.

Erstens.

Der Grundgedanke einer weltweit operierenden Strafjustiz schien endlich den entscheidenden Durchbruch erzielt zu haben, nachdem der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg nur zur Aburteilung eines begrenzten Unrechtskomplexes – der von der Führung der nationalsozialistischen Regimes während des 2. Weltkrieges begangenen Verbrechen – eingesetzt worden war und eine ähnliche Zielsetzung auch für den Tokioter Militärgerichtshof gegolten hatte. Eine regional begrenzte Zuständigkeit erhielt der IStGH für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Mit dem Haager Gerichtshof entstand dann endlich ein Sanktionssystem, das nicht mit dem Vorwurf der Siegerjustiz in Verruf gebracht werden konnte. Damit schien auf Weltebene ein wichtiger Schritt zur Eindämmung, Bekämpfung und Sanktionierung menschenverachtenden Unrechts getan zu sein.

Und der IStGH ist auch erfolgreich und zwingend notwendig. Durch die Verfahren, zum Beispiel gegen Jean-Pierre Bemba aus der Zentralafrikanischen Republik, gegen Umar Hasan Ahmad al-Baschir aus der Region Darfur im Grenzgebiet des Sudan zum Süd-Sudan, gegen Saif al-Islam al-Gaddafi, den Sohn Muammar al-Gaddafis aus Libyen, oder durch die Untersuchung proprio motu in Georgien, zeigt sich die Reichweite des IStGH.

Zweitens.

Der IStGH verkörpert die Grundüberzeugung, dass schwere Verstöße gegen Frieden und elementare Menschenrechte nach Sanktionen in der Form herkömmlicher Strafen verlangen.

Der IStGH hat die Aufgabe, nach einem bestimmten Verfahren vier Arten von Verbrechen zu ahnden, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere Kriegsverbrechen, und seit Juli 2018 auch bei Verbrechen der Aggression tätig zu werden. Voraussetzung der Strafverfolgung ist, dass die Tat auf dem Gebiet eines Vertragsstaates oder von Staatsangehörigen eines Vertragsstaates begangen wurde oder der Staat die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs anerkannt hat. Dabei hat die innerstaatliche Gerichtsbarkeit stets Vorrang.

Er beruht auf einem multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, dem Römischen Statut des IStGH, der nur für diejenigen Staaten verbindlich ist, die sich ihm ausdrücklich angeschlossen haben. Derzeit sind dies 123 Staaten, worunter sich auch alle EU-Staaten befinden.

Keine Unterstützung erfährt der IStGH bedauerlicherweise durch die USA, Russland und China. Auf Dauer kann dies nicht hingenommen werden und wird auch diesen Ländern eher zum Nachteil als zum Vorteil gereichen. Ohne diese Staaten genießt der IStGH nicht die politische und finanzielle Unterstützung der gesamten Weltgemeinschaft. Nur wenn der Sicherheitsrat eine Situation an den IStGH überweist, aktivieren sich für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtungen. So lebt der Strafgerichtshof im Wesentlichen von der freiwilligen Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten, was eben für das Völkerrecht und seine Institutionen typisch ist.

Drittens.

Das System des Weltrechtsprinzips hat sich leider in vielen Staaten und zahlreichen Konflikten nicht bewährt. Nach diesem Prinzip können völkerrechtliche Verbrechen von jedem Gericht auf der Welt verfolgt werden, unabhängig vom Tatort und von der Staatsangehörigkeit des Täters. Aber die Gerichte eines Landes, das zu den in Rede stehenden Verbrechen keine inhaltliche Beziehung hat, sind in der Regel kaum bereit, ein Strafverfahren auf sich zu nehmen, das ihnen wegen der Fremdheit des Tathintergrundes unendliche Lasten aufbürden würde. So hat der Senegal die Anklageerhebung gegen den in sein Gebiet geflüchteten früheren tschadischen Diktator Hisséne Habré jahrelang herausgezögert. Zum einen lassen sich kaum die tatsächlichen Umstände verlässlich aufklären. Zum anderen würden sich die sprachlichen Hindernisse zu wahren Bergen türmen. Nur am Rande sei erwähnt, dass im Heimatland die strafrechtliche Verfolgung in der Regel an politischen Hindernissen scheitert.

Die Zentralisierung der Strafverfolgung hat insofern viele Vorzüge: Parteiliche Einflüsse werden zurückgedrängt, und auf Weltebene sind sachliche und persönliche Mittel vorhanden, wie sie der Justiz eines Staates niemals zur Verfügung stehen.

Der IStGH ist aufgrund der vielschichtigen Völkergemeinschaft ein unabdingbarer Mechanismus, der die individuelle Verantwortlichkeit der Urheber schwerer Straftaten gegen den Weltfrieden und die international verbürgten Menschenrechte garantiert. Es geht heute darum, den IStGH zu einem wahrhaft schlagkräftigen Instrumentarium fortzuentwickeln.

Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir den IStGH stärken. Der Bundesregierung kommt hier eine entscheidende Rolle zu: auf internationaler Ebene den Skeptikern immer wieder die genannten Vorzüge vor Augen zu führen und sich dafür einzusetzen, dass keine Staaten aus dem IStGH austreten, sowie mehr Staaten dazu zu bewegen, an dem römischen Statut festzuhalten. Deutschland muss immer wieder für eine gute finanzielle und personelle Unterstützung des IStGH werben.

Die von den Kritikern immer wieder monierten langen Verfahren sollen untersucht werden. Durch eine solche Untersuchung, beispielsweise durch das Max-Planck-Institut in Freiburg, sollen die Gründe für diese langen Verfahren eruiert und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Eine Untersuchung muss jedoch nicht auf dieser Ebene stehenbleiben. Eine derartige Untersuchung könnte auch die Fragen der Beweissicherung durch Private einbeziehen oder Fragen der präventiven Verbrechensverhinderung beleuchten.

Die internationale Strafgerichtsbarkeit ist eine der wertvollsten Errungenschaften des Völkerrechts, die sorgfältiger Pflege, aber auch kritischer Begleitung bedarf. Es ist eine Herausforderung an uns alle, nicht zuletzt an die politisch verantwortlichen Stellen, an der Bewältigung dieser Aufgabe mitzuwirken. Darum freue ich mich auf eine breite Unterstützung unseres Antrags. Wir alle werden den IStGH positiv begleiten.