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Ursula von der Leyen: Sicherheit kostet Geld

Haushaltsgesetz 2018 - Rede zum Einzelplan 14 - Verteidigung

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bringen den Haushalt 2018 ein und beraten jetzt den Einzelplan 14. Er ist in der Reihe vieler Haushalte natürlich eine Momentaufnahme. Ich möchte deshalb bei der Einbringung einige Punkte aufnehmen, die auch in der Debatte heute Morgen zur Sprache gekommen sind.

Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns noch einmal gemeinsam klarmachen, woher wir kommen. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, hat Deutschland 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung investiert. Niemand hat damals Angst vor Deutschland gehabt oder gesagt, es sei hoch militarisiert oder sonst etwas. Danach setzte, übrigens am Anfang völlig berechtigt, ein Prozess ein, in dem reformiert wurde, womit über viele Jahre eine Schrumpfung und Kürzung einherging, Stichwort „Friedensdividende“. Zu Recht haben wir alle gedacht, es werde immer ruhiger um uns herum.

Aber dann kamen 2010 die Finanzkrise und ihre Auswirkungen. Das geschah 20 Jahre nach der Wiedervereinigung. Andere Institutionen hatten viel Speck angesetzt; es war ihnen gut gegangen; sie hatten einen Aufwuchs erlebt. Das galt für die Bundeswehr nicht: Sie hatte bereits 20 Jahre Schrumpfung hinter sich.

Dann kam mit der Wirtschafts- und Finanzkrise eine zusätzliche Sparauflage, die dazu führte, dass es unter die Grasnarbe und an die Substanz ging: Es wurden Ersatzteilketten gekappt. Es wurden Materiallager aufgebraucht und nicht mehr aufgefüllt. Es wurden Obergrenzen eingezogen, unter die die Bundeswehr schrumpfen sollte. Wir haben von der Substanz gelebt. Ich möchte einfach vorweg sagen: Es ist ein langer Prozess gewesen von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben in 1990 bis zum Tiefpunkt 25 Jahre später: 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2015.

Es kam dann das Jahr 2014. Unser Bundespräsident hat es richtig zusammengefasst mit den Worten: Die Welt ist aus den Fugen geraten. – Sie kennen die Stichworte. Unsere Bundeswehr musste in den Einsätzen mehr leisten. Ganz neu war die Friedensmission MINUSMA der Vereinten Nationen. Wir mussten für Irak und Syrien neue Einsätze auf die Beine stellen. Hinzu kamen die Mission Sophia im Mittelmeer, die Flüchtlinge gerettet und Schlepper und Schleuser bekämpft hat, und die NATO-Aktivität in der Ägäis, um nur einige zu nennen.

Außerdem kam eine zweite Aufgabe hinzu, die zuvor lange vernachlässigt worden war: die Landes- und Bündnisverteidigung. Wir mussten im Baltikum Air Policing machen, und wir machen es bis heute. Wir waren die allererste Nation, die bereit war, den Testpiloten für die schnelle Speerspitze, die VJTF, auf die Beine zu stellen. Wir sind das einzige kontinentaleuropäische Land, das unsere östlichen Nachbarn in Litauen schützt. Sie wissen, dass die Briten in Estland sind, die Kanadier in Lettland. Wir sind in Litauen die Rahmennation und die Amerikaner in Polen. Hinzu kam, dass Übungen verdoppelt wurden.

Wenn Sie das alles addieren, sehen Sie, dass wir mit altem Material und weniger Ersatzteilen mehr leisten mussten. Daher muss man sich nicht wundern, wenn die Decke überall zu kurz ist und es immer wieder knirscht. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, das ist die Aufgabe der nächsten Jahre.

(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion der Linken?

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung:

Ich möchte gern im Fluss bleiben. Aber wir können gern nachher Kurzinterventionen machen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Ich muss Sie aber trotzdem fragen.

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung:

Das war der Punkt, an dem wir die Trendwenden begonnen haben. Die Bundeswehr wächst jetzt wieder. Man darf nicht vergessen: Beim zivilen Personal haben wir zehn Jahre lang einen Einstellungsstopp gehabt. Zehn Jahre keine jungen Menschen mehr! Die Obergrenzen sind abgeschafft. Ich danke dem Parlament noch einmal für das Vertrauen. Wir können endlich wieder atmen, der Situation angepasst.

Wir investieren wieder mehr in die Bundeswehr. Die Beschaffungsaufträge haben sich im Volumen in der letzten Legislaturperiode verfünffacht, um die Lücken zu füllen. Die Finanzlinie steigt. Aber wir sind gerade mal am Anfang. Das heißt, wir brauchen über mehrere Jahre eine nachhaltig, stetig steigende Finanzlinie.

Zu der Bemerkung, die ich manchmal hören muss: Ihr könnt euer Geld ja gar nicht ausgeben.

(Andrea Nahles [SPD]: Das ist ja auch so!)

Jedes Jahr seit dem Jahr 2014 haben wir den gesamten Etat des Einzelplans 14 ausgegeben.

(Andrea Nahles [SPD]: Durch Verschieben zwischen den verschiedenen Blöcken!)

2014 haben wir den gesamten Etat ausgegeben, so wie man zum Beispiel auch im Arbeitsministerium titelübergreifend arbeiten darf, was ich als ehemalige Arbeitsministerin weiß; Sie wissen das ebenfalls. Es gibt auch andere Ressorts, die titelübergreifend arbeiten können. Wir haben im Jahr 2014 den gesamten Etat ausgegeben;

(Andrea Nahles [SPD]: Bei militärischen Beschaffungen haben Sie es nicht geschafft!)

2015, 2016 ebenso. Die einzige Ausnahme war das Jahr 2017. Da sind 0,2 Prozent, also von 37 Milliarden Euro gerade mal 78 Millionen Euro, nicht ausgegeben worden – aus einem einzigen Grund: weil vor der Bundestagswahl die 25-Millionen-Vorlage für die Heron TP nicht mehr verabschiedet werden konnte; Sie alle kennen diese Geschichte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb ist es gut, dass wir die Heron TP im Koalitionsvertrag gemeinsam verankert haben.

Das sicherheitspolitische Konzept ist da. Das ist das Weißbuch der Bundesregierung 2016, das wir gemeinsam im Kabinett, in der Großen Koalition beschlossen haben, und das ist das im Koalitionsvertrag verankerte Prinzip der vernetzten Sicherheit, der Pakt für vernetzte Sicherheit.

Ja, Sicherheit kostet Geld. Allein mit Lippenbekenntnissen werden wir die Sicherheit für Europa nicht schaffen und werden wir – der Kollege Müller weiß das besser als ich – auch Sicherheit und Stabilität in Afrika nicht herstellen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten werden wir mit warmen Worten allein auch nicht bestmöglich und modern ausrüsten und ausstatten können.

Das Verteidigungskonzept ist da, das Weißbuch 2016. Ich habe vor 14 Tagen die Konzeption der Bundeswehr dem Parlament zugeleitet. Darin sind drei Prinzipien festgeschrieben: Gleichrangigkeit von Einsätzen und – neu – Landes- und Bündnisverteidigung – da müssen wir viel nachholen –; Multinationalität und Integration der Streitkräfte; Modernisierung, zum Beispiel Cyber. Wir haben Quantensprünge gemacht beim Thema Cyber. Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine sechste Dimension aufgestellt. Neben Luftwaffe, Heer, Marine, SKB und Sanität gibt es die sechste Dimension, nämlich die Cybertruppe. 14 000 Männer und Frauen sind in dieser Cybertruppe. Wir haben das Forschungszentrum CODE mit 13 Professuren auf den Weg gebracht. Wir haben an der UniBw München einen internationalen Masterstudiengang auf den Weg gebracht; er hat in diesem Jahr begonnen. Wir haben hier in Berlin den Cyber Innovation Hub gegründet, der hinausgeht und im Ökosystem der Start-ups die Technologien sucht, die uns interessieren. Wir haben in diesem Haushalt 2018 verankert, dass wir eine Agentur für disruptive innovative Cybertechnologien auf den Weg bringen, gemeinsam mit dem Innenministerium. Da hat DARPA gedanklich Pate gestanden. Meine Damen und Herren, das sind die Investitionen der Zukunft, die wir gemeinsam brauchen.

Multinationalität und Integration. Ja, wir wollen transatlantisch bleiben – gar keine Frage; die Bundeskanzlerin hat heute Morgen viel dazu gesagt –, aber wir wollen auch europäischer werden. Ich höre hier immer wieder: Antwort auf Macron. – In seiner Rede an der Sorbonne vom September letzten Jahres fordert er „une Europe qui protège“ – ein Europa, das schützt –, und dann führt er genau das an, was wir schon zu diesem Zeitpunkt deutsch-französisch als Initiative auf den Weg gebracht hatten. Das heißt, wir sind vorangegangen. Wir sind die Pioniere gewesen in der deutsch-französischen Initiative, um gemeinsam eine europäische Verteidigungsunion aus der Taufe zu heben. Wir haben geliefert. Wir haben im Dezember des letzten Jahres die europäische Verteidigungsunion – das ist die PESCO – geschaffen. 25 der bald 27 europäischen Staaten sind Mitglied in der PESCO. Wir haben eine Planungsprozesscharta auf den Weg gebracht, womit endlich dafür gesorgt wird, dass wir uns in Europa auch abstimmen.

Im Augenblick ist gerade der neue Europäische Verteidigungsfonds im Trilog. Die Kommission will ihn, das Europäische Parlament will ihn, Mitgliedstaaten wollen ihn. Der Europäische Verteidigungsfonds ist genau das richtige Instrument, um der Fragmentierung, die zu Recht immer wieder in Europa beklagt wird, ein Ende zu machen. Aber, meine Damen und Herren, der Fragmentierung werden wir kein Ende machen – es gibt ja derzeit 178 Waffensysteme in Europa, völlig zersplittert und überhaupt nicht aufeinander abgestimmt –, wenn wir nicht bereit sind, zunächst einmal in das Neue, in das Gemeinsame auch zu investieren. Das bekommt man nicht zum Nulltarif. Am Anfang müssen wir investieren. Später werden wir dann Skaleneffekte haben und höhere Wirtschaftlichkeit erzielen. Vor diesem Hintergrund sind diese Investitionen wichtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Eurodrohne, auf den Weg gebracht gemeinsam von Deutschland und Frankreich, jetzt auch von Spanien und Italien. Das wird das gemeinsame Pilotprojekt innerhalb der europäischen Verteidigungsunion sein. Das heißt, so kann man mit Bezug auf die Rede von Macron sagen: Das ist bereits ein Beispiel. So macht man ein Europa, das schützt.

Wir gehen auch voran bei der Armee der Europäer. Wir werden mit der deutsch-französischen Brigade die Trainingsmission in Mali ab November übernehmen. Ich bin morgen in Bergen und werde dort mit der niederländischen Kollegin die niederländische Brigade besuchen, die in eine deutsche Division integriert ist. Mit ihr gemeinsam werden wir die nächste schnelle Speerspitze der NATO stellen. Wir werden gemeinsam einen Letter of Intent für die Digitalisierung landbasierter Operationen der Zukunft unterschreiben. Das, meine Damen und Herren, ist ganz pragmatisch die gelebte europäische Verteidigungsunion.

Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal festhalten: Der Pakt für vernetzte Sicherheit, den wir gemeinsam im Koalitionsvertrag beschlossen haben, beinhaltet, dass weder ODA-Quote noch NATO-Quote sinken sollen, sondern sich in einem Zielkorridor nach oben bewegen sollen, dass also, wenn ein Ressort zusätzliche Mittel bekommt, das andere Ressort bzw. die jeweils anderen Ressorts, also AA und BMZ vice versa BMVg, dann auch eins zu eins zusätzliche Mittel bekommen. Das haben wir gemeinsam als Pakt für vernetzte Sicherheit im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Deshalb möchte ich mit Ihrer Erlaubnis, Frau Nahles, gerne den letzten Satz aus Ihrer Rede heute Morgen zitieren:

Fangen wir doch einfach an, das umzusetzen, was wir verabredet haben!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)