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Sebastian Brehm: Wir stehen wirtschaftspolitisch vor großen Herausforderungen

Rede zum Einkommensteuertarif

Sebastian Brehm (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute dürfen wir in der abschließenden Behandlung des Antrags der FDP erneut über die notwendige Abschmelzung des Mittelstandsbauchs diskutieren. Lieber Herr Kollege Dürr, Sie hatten am 14. Februar 2019 in der ersten Befassung aus dem gemeinsamen Wahlprogramm der CDU und CSU zur Bundestagswahl 2017 zitiert und uns vorgeworfen, wir seien nicht tätig.

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

In einem zweiten Satz hatten Sie gesagt, die Grünen hätten es im Wahlprogramm, die FDP habe es im Wahlprogramm gehabt. Sie haben uns sogar Wählertäuschung vorgeworfen; das kann man im Protokoll nachlesen.

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, Ihre Wählerinnen und Wähler hätten erwartet, dass Sie genau diese Themen mit uns gemeinsam umsetzen.

(Christian Dürr [FDP]: Das wollten wir auch! – Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ihr wolltet ja nicht!)

Wer hier Wählertäuschung betrieben hat, sollten Sie mal Ihren Vorsitzenden fragen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht passt da auch ein Zitat, das Thomas de Maizière gestern in der Debatte gesagt hat: Wer ein Problem hat – liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP –, sollte erst in den Spiegel schauen anstatt dann aus dem Fenster.

Wir bleiben selbstverständlich weiterhin unserem Ziel, den Mittelstandsbauch abzuflachen, mit Nachdruck verpflichtet. Das steht auch in unseren Wahlprogrammen. Das ist auch Gegenstand eines umfangreichen Leitantrages zur Wirtschaftspolitik der CDU beim Parteitag in Leipzig Ende November, auch vieler Anträge der CSU und der Mittelstandsunion in Bayern. Und wir konnten auf unseren Parteitagen zu diesem Thema Beschlüsse fassen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man seriöse Steuerpolitik in Deutschland machen will,

(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Fragen wir die FDP!)

dann reicht es nicht aus, dass man nur einen Teilaspekt herauspickt. Wenn man seriöse Steuerpolitik in Deutschland betreiben will – das ist unser täglicher Ansporn in unserer Arbeit –, dann sollte man ein Gesamtkonzept für die Besteuerung in Deutschland vorlegen.

(Christian Dürr [FDP]: Genau! – Markus Herbrand [FDP]: Wo bleibt es denn? Skandal!)

Wir als CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben ein solches Gesamtkonzept entwickelt – nicht die FDP und schon gar nicht die AfD. Wir leisten sozusagen Service für die Opposition. Sie können sich unserem Steuerkonzept gerne anschließen.

(Markus Herbrand [FDP]: Wir kennen es aber nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen wirtschaftspolitisch vor großen Herausforderungen. Der Strukturwandel und die Digitalisierung, die Anstrengungen rund um den Klimaschutz, der internationale Wettbewerb – übrigens auch der internationale Steuerwettbewerb – sollten uns gerade in diesen Tagen aufrütteln. Wenn wir jetzt nicht richtig abbiegen – das kann ich immer nur wiederholen –, dann wird das erhebliche Nachteile für unseren Standort haben.

Lieber Herr Kollege De Masi, mit einem Spitzensteuersatz von 70 Prozent, den Sie erwähnt haben, oder, Herr Strengmann-Kuhn, mit sozialistischen Ideen kommen wir nicht weiter.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den USA, in Großbritannien!)

Bitte lassen Sie den Zollstock dem Kollegen Binding; er kann das wirklich besser.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Kiziltepe, auch mit der Vermögensteuer kommen wir nicht weiter. Wir brauchen vielmehr ein steuerliches Gesamtkonzept.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie das Bürgergeld der FDP?)

Dazu gehört, dass wir sowohl die deutsche Industrie und den deutschen Mittelstand als auch die vielen fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fest in den Blick nehmen und nicht nur einzelne Aspekte herausgreifen.

Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wenn das so bleiben soll und wir gleichzeitig einen ausgeglichenen Haushalt beibehalten wollen – und das wollen wir –, dann müssen wir auf der einen Seite natürlich die Kosten im Rahmen halten, uns aber auf der anderen Seite auch die Einnahmeseite anschauen. Das geht nur über eine sinnvolle, ideologiefrei strukturierte Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland.

(Fabio De Masi [DIE LINKE]: Da bin ich mal gespannt!)

Die letzte große Steuerreform war vor zehn Jahren. Auch damals haben viele in diesem Hause gesagt, dass Mindereinnahmen kommen würden, und haben Horrorszenarien an die Wand gemalt. Das Gegenteil war der Fall. Die Steuereinnahmen sind jedes Jahr Stück für Stück gestiegen. Sinnvolle Steuerreformen führen unter dem Strich immer zu mehr Investitionen, zu mehr wirtschaftlichem Wachstum und damit auch zu mehr Steuereinnahmen für unseren Staat. Deswegen haben wir als CDU/CSU-Fraktion ein umfangreiches Konzept zur Modernisierung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland vorgelegt:

(Dr. Stefan Ruppert [FDP]: Ein Wolpertinger! Die gibt es gar nicht!)

mit einer Abschaffung des Solidaritätszuschlags, mit einer Deckelung der Steuerbelastung für mittelständische Betriebe oder insgesamt für Betriebe für nicht entnommene Gewinne auf 25 Prozent und mit vielen weiteren Maßnahmen auch zur Entlastung von Bürokratie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir liefern. Wir konnten im vorhergehenden Tagesordnungspunkt die Abschaffung des Solidaritätszuschlags

(Thomas L. Kemmerich [FDP]: Teilweise Abschaffung!)

bzw. den Einstieg in die Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschließen. Also hier liefern wir.

Wir konnten letzte Woche ein einfaches Grundsteuermodell mit dem Beschluss der Länderöffnungsklausel umsetzen; auch hier haben wir geliefert. Wir wollen weniger Bürokratie für den deutschen Mittelstand. Dieses Gesetz steht heute Abend in der zweiten und dritten Lesung zur Beschlussfassung an; auch hier liefern wir.

(Markus Herbrand [FDP]: Wir sind die Serviceopposition!)

Und wir wollen einen Klimaschutz, der Ökologie und Ökonomie nicht auseinanderbringt, sondern auf ausgewogenen und vernünftigen Vorschlägen basiert. Auch dieses Gesetz wird morgen früh im Deutschen Bundestag von uns vorgelegt und diskutiert werden; auch hier liefern wir.

Wir haben in den vergangenen Monaten – das wäre jetzt auch für die AfD interessant – die kalte Progression vollständig abgeschafft; Stichwort „Familienentlastungsgesetz“.

(Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])

Der Steuerprogressionsbericht wurde ja schon erwähnt. Übrigens: Die AfD hat damals dagegengestimmt. Heute beantragt sie es.

(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])

Das muss man sich mal durch den Kopf gehen lassen. Das zeigt die schizophrene Politik der AfD. Es tut mir leid, wenn ich das in diesem Zusammenhang so sagen muss.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dehm von der Linken?

 

Sebastian Brehm (CDU/CSU):

Nein, danke. – Wir stehen vor der Verabschiedung eines Jahressteuergesetzes, das weitere Entlastungen vorsieht. Ich hoffe, dass wir das in der nächsten Sitzungswoche zu Ende bringen. Auch hier liefern wir. So zu tun, als ob nichts geschehen würde, ist falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Aber natürlich reichen die bisher umgesetzten Gesetze noch lange nicht aus, um unseren Standort fit für die Zukunft zu machen. Zunächst: Die FDP und natürlich auch die AfD haben unsere Anträge ja zunächst immer wieder abgelehnt. Beide Fraktionen haben dann immer wieder eigene Anträge vorgelegt. Ich glaube, das ist auch kein seriöser Umgang miteinander. Wir sollten aber nicht lockerlassen, werden weiterhin liefern und unsere Wahlversprechen umsetzen.

Das betrifft auf der einen Seite die Umsetzung des Unternehmensteuerkonzepts der CDU/CSU. Wir werben hier beim Koalitionspartner, der SPD, dafür, dass wir bei der Unternehmensbesteuerung deutlich vorankommen. Auf der anderen Seite ist es aber natürlich dringend notwendig, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten.

Ja, mit unserem progressiven Steuertarif in der jetzigen Ausprägung nimmt die Steuerbelastung bei den unteren und mittleren Einkommen leider immer noch zu schnell zu. In der ersten Progressionszone, zwischen 9 000 Euro, Grundfreibetrag, und 14 000 Euro, schnellt der Grenzsteuersatz von 14 Prozent auf 24 Prozent hoch. Das ist der Mittelstandsbauch, von dem immer gesprochen wird. Der Tarifverlauf dieser Steuerprogressionskurve muss abgeflacht werden. Aber wie schaffen wir das?

Ich glaube, man kann es schaffen, indem wir zwei Maßnahmen, die allerdings begleitend angelegt sein müssen, ergreifen. Die erste Maßnahme ist natürlich die sukzessive Erhöhung des Grundfreibetrags. Das machen wir jedes Jahr. Die zweite Maßnahme ist die Rechtsverschiebung des Grenzsteuersatzes, also die Abflachung des Mittelstandsbauchs. Wenn man das aber erreichen will, muss man auch den Spitzensteuersatz Stück für Stück nach rechts verschieben. Dann flacht die Progressionskurve ab, und dann verschwindet der Mittelstandsbauch komplett.

Zur Wahrheit gehört aber natürlich auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Maßnahmen mit Geld verbunden sind. Wenn man den Mittelstandsbauch derzeit vollständig abschaffen würde, beliefe sich der Gesamtbetrag, ohne eine Gegenrechnung vorzunehmen, auf 35 Milliarden Euro. Wenn man seriöse Steuer- und Finanzpolitik macht, dann muss man den ausgeglichenen Haushalt und auch die Gegenfinanzierung im Blick behalten. Ich denke, das verstehen auch die Bürgerinnen und Bürger, das verstehen auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die nicht auf die Tricks hereinfallen und eine Abschaffung mit der Folge eines negativen Haushalts gutheißen.

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen trotzdem Schritt für Schritt und mit Vernunft und Sachverstand diesen Abbau des Mittelstandsbauchs angehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schritt für Schritt könnte auch die Gegenfinanzierung erfolgen, zum Beispiel durch das Wachstum der Einkommen. Durch das Wachstum der Einkommen, also die Steigerung der Löhne, kommt es jedes Jahr natürlich auch zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen. Wenn man diese Steuermehreinnahmen dafür verwenden würde, um vorher Erleichterungen zu finanzieren, dann hätte das für meine Begriffe durchaus Sinn.

Eine zweite Möglichkeit der Gegenfinanzierung wäre die Entlastung durch die Unternehmensbesteuerung. Wenn wir uns nämlich die Steuerreform von vor zehn Jahren anschauen, dann stellen wir fest – das habe ich ja gesagt –, dass sie zu Mehreinnahmen geführt hat. Also müssen wir die Mehreinnahmen aus diesem Bereich dafür verwenden, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere die kleineren und mittleren Einkommen, zu entlasten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will es noch mal sagen: Wenn wir jetzt falsch abbiegen, dann kommt es zu einer Verminderung der Steuereinnahmen, dann kommt es langfristig zu einer Verminderung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, dann kommt es zu einer Schädigung des Standorts Deutschland und langfristig auch zu einer Mehrbelastung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das kann nicht unser gemeinsames Ziel sein.

Also lassen Sie uns an einem Strang ziehen. Lassen Sie uns in den nächsten Wochen für die beiden Themen „Modernisierung der Unternehmensbesteuerung“ und „Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen“ miteinander ringen. Lassen Sie uns das Stück für Stück umsetzen, dass die Fleißigen im Land entlastet werden. Wir stehen bereit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)