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Sebastian Brehm: Wir sind ein starkes Land – trotz der Krise – und wir werden helfen

Rede zur weltweiten humanitäten Lage in der Corona-Krise

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Dies ist die dunkelste Stunde der Menschheit in meiner Lebenszeit“, so sagte es die Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgieva, im April dieses Jahres auf einer Pressekonferenz mit Vertretern der Weltgesundheitsorganisation, und sie blickte insbesondere auf die aktuelle humanitäre Lage in den Kriegsgebieten und in den Entwicklungs- und Schwellenländern.

Natürlich – das merken wir in unserer politischen Arbeit täglich – sind die Industriestaaten von der Krise hart betroffen. Aber wenn man in die Entwicklungsländer und in die Schwellenländer blickt, dann erkennt man, dass die Coronapandemie dort nicht nur zu einer Krise, sondern auch zu einer humanitären Katastrophe führt. Die Gesundheitssysteme sind in der Regel zu schwach, um mit den gesundheitlichen Folgen der Pandemie zurechtzukommen; sie kollabieren. Es gibt keine ausreichende Strom- oder Wasserversorgung, keine Möglichkeiten für Hygienemaßnahmen. Es gibt Hunger und Elend, es gibt kein Sozialsystem, keine staatlichen Hilfen wie bei uns im Land. Die Ärmsten der Armen sind betroffen, und die aktuelle Situation trifft sie mit voller Wucht, ohne große Chancen. Hinzu kommen verantwortungslose Staatschefs, die die Krise zu nutzen versuchen, um ihre Macht auszubauen. Menschenrechte spielen dabei keine Rolle.

Eines der traurigen Beispiele ist Venezuela. Laut Angaben der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR hat die humanitäre Katastrophe schon vor Corona einen der größten Flüchtlingsströme der letzten zehn Jahre ausgelöst. Im erdölreichsten Land der Welt sind seit 2015 rund 4,5 Millionen Menschen durch Hunger und Armut in die Flucht getrieben worden. Bis Ende 2020 wird deren Zahl nach UN-Schätzungen auf rund 6,5 Millionen Menschen ansteigen.

Gleich ob es vom Präsidenten ironisch oder ernst gemeint war, empfahl dieser seiner Bevölkerung, zu Hause zu bleiben und Netflix zu schauen, wohl wissend, dass große Teile des Landes überhaupt nicht über Strom verfügen, und wenn, dann nur über zwei oder drei Stunden pro Tag. Die regelmäßige Versorgung mit sauberem Wasser erreicht zum jetzigen Zeitpunkt 6 Prozent der Bevölkerung. 94 Prozent der Bevölkerung erhalten Trinkwasser nur ab und zu, in unregelmäßigen Abständen und in schlechter Qualität. Die Menschen stehen also vor der Frage, ob sie entweder zu Hause bleiben und verhungern oder ob sie zur Arbeit gehen und ungeschützt dem Coronavirus ausgeliefert sind, wenn sie überhaupt eine Arbeit haben.

Dazu kommt die aktuelle Krise, was die Versorgung mit Benzin und damit auch den Transport von Lebensmitteln angeht. Die Hyperinflation leistet ihren Beitrag, dass Lebensmittel überhaupt nicht mehr erschwinglich sind, und das Gesundheitssystem ist fast komplett zusammengebrochen. Präsident Maduro herrscht weiter und tritt die Bevölkerung mit Füßen: kein Zugang zu medizinischer Versorgung, kein Zugang zu Wasser, keine faire Berichterstattung, Einschränkung der Pressefreiheit.

Oder schauen wir nach Brasilien. Der brasilianische Präsident Bolsonaro lehnt entschlossen alle Warnungen der WHO ab. Brasilien wird zum Hotspot der Pandemie. Unvermindert geht in dieser Zeit aber die Abholzung des Regenwaldes weiter. Das ist nicht nur die Vernichtung eines lebensnotwendigen Ökosystems, sondern auch die Vertreibung der vielen indigenen Gruppen im Amazonas-Regenwaldgebiet. Übrigens, die Zahlen sind erschreckend: Im ersten Quartal 2020 wurden 800 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt; das sind über 100 000 Fußballfelder.

Aber auch in Ungarn, also bei uns vor der Haustür, in Europa, wird die Krise genutzt, um der Regierung von Viktor Orban unbegrenzte Macht zu verschaffen. Mit einem Gesetz wurde am 30. März 2020 in der ungarischen Nationalversammlung dem Präsidenten ermöglicht, ohne Zustimmung des Parlaments – bei uns undenkbar – per Dekret zu handeln, und die Pressefreiheit wurde eingeschränkt, indem jeder, der der Regierung nicht passende Meinungen darstellt, mit bis zu fünf Jahren Haft belegt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Auftrag ist es, auf diese Menschenrechtsverstöße und auf die prekäre humanitäre Situation in den Ländern immer wieder und unermüdlich hinzuweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und wir werden helfen. Wir sind ein starkes Land – trotz der Krise –, und wir müssen mit dieser Privilegierung und der damit verbundenen Verantwortung immer wieder umgehen und uns dieser auch bewusst werden. Deutschland kommt dieser Verantwortung nach.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: So ist es!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Brehm.

 

Sebastian Brehm (CDU/CSU):

Ja, bitte?

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?

 

Sebastian Brehm (CDU/CSU):

Bitte schön.

 

Thomas Ehrhorn (AfD):

Vielen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit, hier diese Frage zu stellen. – Herr Kollege, in den letzten Tagen habe ich viele Reden im Zusammenhang mit der Coronakrise gehört, und in vielen lief es eigentlich immer auf denselben Tenor hinaus, nämlich darauf, dass wir in dieser Situation verpflichtet sind, solidarisch zu handeln, das heißt im Klartext, auch einen Teil der Schulden, die in Europa entstanden sind, mit zu bezahlen. Das, was ich jetzt hier in dieser Debatte höre, geht noch einen Schritt weiter: dass wir auch bezüglich der ganzen restlichen Welt solidarisch sein müssen. Das ist natürlich auch immer mit Geldzahlungen verbunden.

Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Sie wissen ja, dass dem deutschen Steuerzahler von einem verdienten Euro nicht mal 48 Cent bleiben, weil wir nämlich Steuerzahlerweltmeister sind. Deswegen frage ich Sie, wo für Sie ganz persönlich vielleicht die Obergrenze der steuerlichen Belastung liegen würde, wo auch Sie sagen würden: Tut uns leid. Wir können unsere eigenen Leute nicht immer weiter belasten, auch wenn wir glauben, aus humanitären Gründen die Welt retten zu müssen.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Hat er doch gar nicht gesagt!)

Das ist eigentlich das Einzige, was ich von Ihnen gern wissen würde.

Danke sehr.

 

Sebastian Brehm (CDU/CSU):

Also, Herr Kollege, ich lade Sie gerne zu der nachmittäglichen Diskussion über das Corona-Steuerhilfegesetz ein, in deren Rahmen ich ja auch zu den steuerlichen Belastungen in unserem Land spreche.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das sind ja Fakten!)

Aber es ist schon ein Hohn, wenn Sie sagen, dass wir keine humanitäre Hilfe leisten sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Gyde Jensen [FDP])

Denken Sie wirklich an die vielen armen Menschen in Venezuela. Die haben nichts zu essen, die haben keinen Strom. Die haben keine Chance, zu überleben. Wenn wir hier nicht einschreiten und hier als starkes Land, als Industrienation – wir sind mit unserem Status als Industrienation und unserer Stärke in der Welt privilegiert – nicht helfen, kommen wir der Verantwortung unseres Staates nicht nach.

(Marianne Schieder [SPD], an die AfD gewandt: Wir reden da vom Christlichen!)

Sie haben heute wieder gezeigt, dass Sie im eigenen Land nur Kritik und Hass schüren, um zu destabilisieren. Übrigens: Wenn wir nicht helfen, wachsen auch die Flüchtlingsströme an. Aber vielleicht ist das auch Ihr Wunsch, weil das in Ihrer politischen DNA liegt; ansonsten ist Ihr Auftrag im Bundestag nicht erfüllt.

(Beifall der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen glaube ich: Wir müssen helfen, und wir werden helfen, und wir werden uns auch dafür einsetzen. Das ist unsere urchristliche Verantwortung in diesem Land, und der kommen wir auf jeden Fall nach.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir kommen dieser Verantwortung in einem ersten Schritt mit 300 Millionen Euro nach; davon sind allein 40 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm vorgesehen. Das ist dringend notwendig. Dass diese Hilfe aber auch dort ankommt, wo sie ankommt, haben wir zahlreichen Helferinnen und Helfern zu verdanken, übrigens auch vielen Organisationen, die vor Ort wirken. Deswegen ist es an dieser Stelle angezeigt, dass wir diesen vielen Helferinnen und Helfern und diesen Organisationen – es sind ganz besondere Menschen – auch mal von Herzen Danke sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland schaut nicht weg, Deutschland hilft. Und wir werden auch nicht wegschauen, wenn es zu Einschränkungen der Menschenrechte in der Welt kommt; denn die Menschenrechte sind Grundlage für Frieden, die Menschenrechte sind Grundlage für Wohlstand, für soziale und gesellschaftliche Teilhabe und für Gerechtigkeit. Wir müssen immer wieder darauf aufmerksam machen und daran mahnen. Deswegen danke ich dafür, dass es heute an dieser zentralen Stelle diese Diskussion gibt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)