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Rüdiger Kruse: "Einen Handlungsspielraum in der Politik haben"

Rede zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Peer Review beantwortet im Wesentlichen zwei Fragen: Erstens. Kann Deutschland seine Ziele erreichen? Ja. Zweitens. Wird Deutschland sein Nachhaltigkeitsziel erreichen? Nein. Das ist kein Widerspruch, sondern es ist die Bewertung von Leistungsfähigkeit und der Leistung, die wir erbringen. Das ist besser, als wenn die Situation anders wäre; das heißt, wenn man es zwar wollte, aber es einfach nicht könnte. Das wäre tragisch.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt einen großen Handlungsspielraum!)

– Es ist immer wichtig, einen Handlungsspielraum in der Politik zu haben. Man muss ihn sich auch selber zumessen.

Wir können in dieser Debatte sehen: Es reden hier die falschen Leute, inklusive meiner Person, weil wir alle für dieses Thema sind. Wir haben alle den Willen, dass wir das umsetzen. Wir haben sicher verschiedene Vorstellungen, wie wir es erreichen. Das heißt aber, dass verstärkt Leute reden müssten, die in den Bereichen, die zentral für die Nachhaltigkeit sind, auch die Verantwortung haben, zum Beispiel die wirtschaftspolitischen Sprecher,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

aber auch die sozialpolitischen Sprecher.

Wie wollen wir das umsetzen? Das fängt an der Spitze der Debatte an – nichts gegen die charmante Kollegin; es ist alles richtig, was sie gesagt hat –, aber das führt dazu, dass Nachhaltigkeit als Appendix der Umweltpolitik gesehen wird. Das ist vollkommen falsch. Auch da müssen wir umdenken. Glücklicherweise ist es so, dass die 17 SDGs konsensual sind, also zu 99 Prozent. Es gibt immer einige, die das nicht so sehen, das macht auch nichts. Es muss immer eine Kraft geben, die verneint, die Böses will und die uns dabei hilft, Gutes zu schaffen. Da hat jeder seine Aufgabe. Aber aus diesem Konsens heraus muss man es schaffen, dass die Umsetzung nicht zur Friktion führt. Hier sind wir an einem Beispiel, das Europa liefert: die klimapolitischen Ziele. Als Emmanuel Macron fossiles CO 2 verteuern wollte und dementsprechend die Spritpreise angehoben hat, war das nicht nachhaltig. Es war umweltpolitisch eine mögliche Variante, aber zur Nachhaltigkeit würde gehören, dass er zum Beispiel die sozialen Aspekte mitbewertet. Wenn man das nicht tut, dann hat man am Ende die Gelbwesten auf der Straße, und zwar zu Recht. Es kann nicht sein, dass die globalen Klimaziele, die erreicht werden müssen, zulasten der Leute erledigt werden – zumindest gefühlt –, die am wenigsten Verantwortung für den ganzen Mist haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darum ist es erforderlich, dass wir umweltpolitische Ziele immer mit den wirtschaftspolitischen und den sozialpolitischen Zielen verbinden. Das funktioniert nur darüber, dass wir die 17 SDGs, die wir mitentwickelt und mitunterschrieben haben und die Konsens sind, zur Leitlinie unserer Politik machen und uns jedes Mal dort abfragen. Da muss man sagen: Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung ist gar nicht so kraftlos, vor allen Dingen ist er eine informelle Macht. Er ist das zweite Gremium im Deutschen Bundestag, bei dem man nicht sofort erkennt, wer zu welcher Fraktion gehört. Das andere ist der Kulturausschuss.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage immer: Die werfen da nur mit Wattebäuschchen, aber die sind vergiftet. Kultur hat ja auch den Nachteil, dass sie immer als Luxus gesehen wird. Hier ist es so: Nachhaltigkeit ist kein Luxus. Aber dadurch, dass wir eine weite Übereinstimmung haben, haben wir zum Beispiel erreicht, dass alle Gesetze, die hier beschlossen werden, vorher durch einen Nachhaltigkeitscheck müssen. Das ist schon mal was. Wir müssen jetzt die Umsetzung schaffen und die Gesetzentwürfe, aber auch unser haushaltspolitisches Handeln müssen vorangeschrieben werden. Dabei geht es zum Beispiel um die Fragestellungen: Wo bunkern wir das Geld, das wir an Rücklagen haben? Wie investieren wir das? Gibt es bei Subventionen, die eine Sache befördern, vielleicht zwei, drei andere Ziele, die sie nicht befördern, sondern wo es kontrovers zu sehen ist? Das ist die Aufgabe.

Wir hatten heute Morgen eine Gedenkstunde, weil vor 100 Jahren etwas Bahnbrechendes erreicht worden ist: Frauenwahlrecht. Jetzt müssen wir uns fragen: Was wollen wir dieses Jahr tun, damit in 100 Jahren zumindest das Gedenken an uns positiv ist? Das ist unsere Aufgabe nicht nur gegenüber den anderen Generationen, sondern auch für uns selber. Ich glaube, es muss am Ende mehr sein, als zu sagen: Ich war dabei, aber ich habe nichts getan.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)