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Dr. Reinhard Brandl

Reinhard Brandl: Unser Land steht vor einer Richtungsentscheidung

Haushaltsgesetz 2018 - Rede zum Einzelplan 14 - Verteidigung

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht vor einer Richtungsentscheidung. Wollen wir für die Landes- und Bündnisverteidigung eine einsatzbereite Bundeswehr haben? Ja oder nein?

(Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Ja!)

Meine Damen und Herren, wir werden diese Entscheidung stellvertretend für unser Land treffen. Wir werden sie nicht heute treffen, aber wir werden sie voraussichtlich am 23. November 2018, 12.30 Uhr, treffen, wenn es nämlich um die Verabschiedung des Haushalts für 2019 geht.

Und wir können uns jetzt nicht bis zum 23. November zurücklehnen und sagen: „Wir warten jetzt einmal, bis es so weit ist“, sondern wir müssen die Diskussion über diese Frage bereits heute führen; denn in diesen Tagen werden die ersten entscheidenden Weichen gestellt.

Die erste Weiche ist vom Bundesfinanzminister mit der Vorlage der Eckwerte bis 2022 am 2. Mai 2018 gestellt worden. Und wenn die Richtung, die jetzt eingeschlagen worden ist, weiter beibehalten wird, dann lautet die Antwort am 23. November: Nein. Meine Damen und Herren, die Antwort lautet dann wieder Nein. Sie lautete auch in den vergangenen Jahren Nein. Wir haben uns in den vergangenen Jahren diese Frage in der Form nur nicht gestellt; sie ist uns auch nicht gestellt worden.

Deutschland war von Freunden umgeben; den Rest haben die Amerikaner erledigt. Wir haben die Amerikaner dafür zwar auch zu Recht ab und zu kritisiert; aber wir mussten uns zu Verteidigung und Sicherheit nicht die Fragen stellen, die wir uns heute stellen müssen. Ich würde mir natürlich wünschen, die Zeit von damals käme zurück. Ich würde mir wünschen, dass wir in Frieden und Sicherheit leben; aber, meine Damen und Herren, wir müssen halt auch feststellen, dass die sicherheitspolitische Situation heute eine andere ist, als sie es vor 10 oder 15 Jahren war.

Jetzt können wir die Augen verschließen und sagen: Gott sei Dank hat Deutschland damit nicht so viel zu tun. Das ist wie ein Gewitter; das zieht vorbei. Oder wir können auf diese Situation ernsthaft reagieren. Dazu gehört auch eine einsatzbereite Bundeswehr, meine Damen und Herren.

Um Europa herum hat sich in den letzten Jahren von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis zur Ukraine ein Krisenbogen gelegt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Auswirkungen dieser Krisen und Konflikte auch nicht an den Grenzen Europas halt machen, sondern dass auch wir in Europa davon unmittelbar betroffen sind – Stichwort Migration, Stichwort Terrorismus.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Cyberraum plötzlich ganz neue Bedrohungen entstanden sind, an die wir vor zehn Jahren noch gar nicht gedacht haben.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass im Rahmen der hybriden Kriegsführung Bedrohungen für unsere Demokratie weit unterhalb der Schwelle eines bewaffneten Angriffs entstehen können.

Genauso müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das traditionelle und bisher verlässliche Bündnis mit den Amerikanern nicht mehr die Kraft hat, wie es in den vergangenen Jahren die Kraft hatte, dass Europa mehr für seine Sicherheit und Verteidigung investieren muss und dass Europa auch auf Deutschland blickt, ob wir als wirtschaftsstärkstes Land dieses Kontinents unserer Verantwortung gerecht werden.

Deswegen wird Europa am 23. November auch nach Deutschland blicken und schauen, ob das, was wir in Europa versprochen haben, finanziert ist oder nicht. Bis jetzt ist es nicht finanziert. Es sind wesentliche Projekte, die wir in Europa politisch zugesagt haben, nicht im Haushalt hinterlegt. Dazu gehört die U‑Boot-Kooperation mit Norwegen. Dazu gehört zum Beispiel – der Kollege Gädechens hat es angesprochen – das Thema der sogenannten „Kleinen Fläche“, die Beschaffung von Transportflugzeugen gemeinsam mit Frankreich. Dazu gehört MoTaKo, die Ausstattung mit Funkgeräten gemeinsam mit den Niederlanden. Dazu gehört zum Beispiel auch die Bereitstellung der VJTF für die NATO, die wir zugesagt haben.

Meine Damen und Herren, man muss sich einmal zum Thema Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vorstellen: Wir haben der NATO angezeigt, dass wir bereit sind, alle vier Jahre eine einzelne Brigade in höchste Einsatzbereitschaft zu versetzen. 2015 haben wir das nur geschafft, weil wir das Material aus ganz Deutschland zu dieser einen Brigade zusammengefahren haben, damit sie diesen Auftrag zumindest ansatzweise erfüllen konnte. 2019 sind wir wieder dran. Und wir werden es 2019 wieder nicht schaffen, sondern wir werden auch 2019 wieder Material aus ganz Deutschland zusammenkarren. Dann sind wir wieder 2023 dran. Meine Damen und Herren, wenn wir es 2023 nicht schaffen, dass wir eine Brigade einsatzfähig machen – neun Jahre, nachdem wir es auf dem NATO-Gipfel versprochen haben –, dann machen wir uns lächerlich. Darum geht es, meine Damen und Herren. Es geht um die Ausrüstung für den Einsatz, und es geht nicht um Aufrüstung. Mich stört, dass wir die Frage „Wollen wir eine einsatzbereite Bundeswehr in Deutschland?“ hier nicht wirklich diskutieren, sondern dass laufend Nebelkerzen gezündet werden. Ich will eine Nebelkerze von heute ansprechen.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Bevor Sie die Nebelkerze ansprechen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen aus der FDP?

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Gerne, das verlängert meine Redezeit, darüber freue ich mich immer.

Dr. Christoph Hoffmann (FDP):

Sehr geehrter Herr Brandl, sehr geehrter Herr Präsident, schön, dass die Zwischenfrage möglich ist. – Sie haben viel von neuen Herausforderungen gesprochen. Sie haben auch viel von den guten alten Zeiten gesprochen, als man nichts für die Verteidigung tun musste. So ungefähr haben Sie es dargestellt. Sie haben auch davon gesprochen, dass es nicht möglich ist, diese Brigade einsatzfähig zu haben und dass die Situation schon neun Jahre andauert. Meine Frage ist: Das Verteidigungsministerium war ja sehr lange in der Hand der CDU, wenn ich mich recht erinnere. Wer trägt dafür die politische Verantwortung?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Verehrter Herr Kollege, die Zeit, über die wir sprechen, betrifft die Zeit seit dem Ende des Kalten Krieges. Seit Ende des Kalten Krieges haben wir alle, mit Ausnahme der ganz linken und der ganz rechten Fraktion in diesem Haus, irgendwann einmal Verantwortung für die Bundeswehr getragen. Meine Damen und Herren, ich glaube sogar, dass aufgrund der damaligen Bewertung der Sicherheitslage und der damaligen Prognose die Entscheidungen, bei der Bundeswehr zu sparen, sie nicht mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung auszurichten, sondern sie auf Auslandseinsätze auszurichten, aus damaliger Sicht begründet und nachvollziehbar waren. Wir haben 2011 – soweit ich mich erinnere, waren wir 2011 in einer Koalition mit der FDP – die Neuausrichtung der Bundeswehr hier in diesem Haus beschlossen. Damals waren die Auslandseinsätze strukturbestimmend.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter zu Guttenberg 8,3 Milliarden!)

Die Landes- und Bündnisverteidigung war nachrangig. Ich erinnere mich, ich war noch 2012 in München zu Gast auf einer Übung der NATO, wo die NATO, die Bundeswehr und Russland eine gemeinsame Übung zum Thema Raketenabwehr durchgeführt haben.

Von dieser Entscheidung, die Bundeswehr zu verkleinern, haben natürlich alle Ressorts profitiert. Das Geld, das zu dieser Zeit nicht mehr bei der Bundeswehr ausgegeben werden musste, konnte in vielen anderen Bereichen investiert werden, und die Ressorts sind hier auch vertreten. Was wir jetzt erwarten, ist, dass die anderen Ressorts, die damals von der Solidarität profitiert haben, jetzt die gleiche Solidarität zeigen und bereit sind, wieder mehr in die Bundeswehr zu investieren.

Die Zeiten – das ist der Punkt, den wir verstehen müssen – haben sich seitdem geändert. 2014 war ein Jahr, in dem sich die internationale Lage – auch die geopolitische – für Deutschland massiv verändert hat. Das müssen wir erkennen, und darauf müssen wir reagieren. Da können wir uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen: „2011 haben wir gesagt …“, „2009 haben wir gesagt …“, „2005 haben wir gesagt …“. Die Zeiten sind heute andere. Was ich von der Bundesregierung und von den Kollegen hier fordere, ist, dass sie anerkennen, dass es andere Zeiten sind und wir dementsprechend wieder mehr in unsere Sicherheit und Verteidigung investieren müssen. Das ist notwendig. – Herzlichen Dank, Sie dürfen sich wieder setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Und ich stelle die Uhr für Sie wieder an.

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Jetzt will ich was zu den Nebelkerzen sagen:

Erstens: die große Nebelkerze des Kollegen Lindner.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit kennen Sie sich aus!)

Das Thema der kleinflächigen Transportflugzeuge ist im Haushalt veranschlagt. Wenn man den Haushalt genau liest, dann sieht man, dass der Betrieb der Infrastruktur veranschlagt ist.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist es veranschlagt, wenn Sie es nicht finanzieren können? Was für eine Haushaltspolitik ist das denn?)

Was noch nicht veranschlagt ist – mit keinem Euro –, ist die gemeinsame Beschaffung dieser Flugzeuge mit Frankreich.

Die zweite Nebelkerze: Die Bundeswehr könne nicht das Geld ausgeben, das veranschlagt ist, insbesondere im Rüstungsbereich. Frau Nahles hat das angesprochen. Wissen Sie, was die Wahrheit ist? Die Bundeswehr muss im Haushalt alles veranschlagen, worüber sie Verträge geschlossen hat. Wenn sie es nicht machen würde, würde die Opposition sofort kommen und sagen: Ihr habt ja Verträge über viel höhere Summen geschlossen, das ist gar nicht richtig veranschlagt.

(Andrea Nahles [SPD]: Hey, wir sind die Regierung!)

Im letzten Jahr ist Folgendes passiert: Unser damaliger Koalitionspartner hat plötzlich das Thema der Drohne Heron TP kurzfristig von der Tagesordnung genommen.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben der Absetzung ja zugestimmt! Sie hätten sich wehren können!)

Die 300 Millionen Euro, die eingeplant waren, konnten nicht ausgegeben werden. Dann hatten wir eine Fregatte bestellt, die, wie sich kurz vor Jahresende herausstellte, nicht ausgeliefert werden konnte – wieder 300 Millionen Euro, die liegen geblieben sind. Was soll denn die Bundeswehr da machen? Werfen Sie jetzt ernsthaft der Verteidigungsministerin vor, dass sie die 600 Millionen Euro nicht plötzlich in andere Rüstungsprojekte stecken kann?

(Andrea Nahles [SPD]: Ja, genau das hat der Kollege gesagt! Es gibt A, B und C! Das werfen wir euch vor!)

So kurzfristig kann sie doch nicht reagieren; das wäre ja auch nicht seriös. Es gehört in diesem Geschäft einfach dazu, dass sich große Rüstungsvorhaben verzögern. Manchmal liegen die Ursachen in der Politik, manchmal in der Industrie, aber selten bei der Bundeswehr.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Brandl.

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):

Herr Präsident, vielen Dank für die Redezeit.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)