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Paul Lehrieder: Wir arbeiten an der Möglichkeit einer sogenannten Fondslösung, die wir für sinnvoll halten

Rede zu Coronahilfen für die Reisewirtschaft

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zunächst, Herr Kollege Müller-Böhm: Nach Ihrer leidenschaftlichen Rede gilt für die Große Koalition: Lieber gut regieren als nicht regieren.

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Wenn Sie das tun würden! – Weitere Zurufe von der FDP)

Meine Damen und Herren, wir stellen uns unserer Verantwortung. Ihr seid am 19. November 2017 in die Büsche geflüchtet, und heute kommt ihr wieder mit einem Antrag, wie es besser gehen sollte.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Haben Sie keine anderen Antworten?)

Von daher: Wir stehen immer noch zu unserer Verantwortung. An diesem Rednerpult hat vor genau drei Wochen Ihr Zampano Christian Lindner ausgeführt: Die Zusammenarbeit in Sachen Corona ist hiermit beendet. – Nein, wir wollen auch weiterhin die Zusammenarbeit mit Ihnen in Sachen Corona, weil die Branche es verdient hat. Die Branche leidet – da stimme ich Ihnen sogar zu, Herr Müller-Böhm – am extremsten; die ist als Erste reingekommen und kommt wahrscheinlich als Letzte raus. Deshalb arbeiten wir auch an Sonderprogrammen für die Branchen, die natürlich besonders lange unter Corona leiden.

(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommen die? – Roman Müller-Böhm [FDP]: Wann kommt denn mal was?)

Noch etwas: Ihr Antrag hat ja nicht nur schlechte Seiten; er hat auch etwas Gutes. Sie überschreiben den Antrag mit „Coronahilfen für die Reisewirtschaft“, also Mehrzahl. Genau daran arbeiten wir in der Großen Koalition.

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Ja, machen Sie doch!)

– Bitte stellen Sie eine Frage; dann habe ich mehr Zeit. – Wir diskutieren einmal über die Möglichkeit einer verpflichtenden Gutscheinlösung. Die haben wir vorgestern für die Konzert-, für die Veranstaltungs- und für die Sportbranche auf den Weg gebracht. Das geht im Reiserecht, europarechtlich hingegen nicht; das wissen Sie. Sie selbst schreiben in Ihrem Antrag im Übrigen noch:

Es erscheint daher kurzfristig sinnvoll, die bestehenden Regelungen des § 651h BGB anzupassen, um

– passen Sie gut auf! -

das Anbieten von Gutscheinen über den bereits gezahlten oder angezahlten Reisepreis bei Rücktritten von Reiseverträgen rechtssicher zu ermöglichen.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Freiwillig!)

Sie fordern doch also auch verpflichtende Gutscheine in Ihrem Antrag.

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Nein, das ist auf freiwilliger Basis!)

Ein paar Zeilen weiter schreiben Sie:

So schaffen wir der Reisebranche wieder Luft zum Atmen. Allerdings begegnet dieses Vorhaben europarechtlichen Bedenken.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, wenn es verpflichtend ist!)

Ich habe geschaut, von wann der Antrag datiert: vom 12. Mai 2020. Am 13. Mai hat Brüssel gesagt: Das kommt so nicht infrage; der Kunde muss zwischen Cash und einem Gutschein wählen können. Den Gutschein könnt ihr aufpeppen; da könnt ihr noch ein paar Prozent drauflegen, damit der Kunde aus Loyalität zu seinem Reisebüro vielleicht einen freiwilligen Gutschein nimmt.

Es gibt jetzt insgesamt drei Möglichkeiten, Herr Müller-Böhm – da sollten Sie mal aufpassen –, um im Interesse der Reisebüros konstruktiv an dieser Sache zu arbeiten, deren Vertreter am Mittwoch hier in Berlin waren. Wir waren am Brandenburger Tor

(Roman Müller-Böhm [FDP]: Ich auch!)

und haben mit denen gesprochen. Denen stehen die Tränen in den Augen, aus verständlichen Gründen.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, natürlich! Absolut!)

Die Ersten gehen schon pleite. Darum arbeiten wir daran. Schauen Sie sich den Staatssekretär an – hey, Thomas; kann die Kamera mal auf sein Gesicht schwenken? –:

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das war gut! – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das war wirklich gut, Herr Kollege!)

Was er für tiefe Furchen auf der Stirn hat, weil er versucht, hier eine vernünftige Lösung hinzubekommen!

(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da muss er selber lachen! – Sebastian Münzenmaier [AfD]: Da muss sogar der Staatssekretär schmunzeln, Herr Lehrieder!)

Also: Punkt eins. Verpflichtende Gutscheine gehen nicht. Wie gesagt, freiwillige Gutscheine gingen.

Punkt zwei. Freiwillige Gutscheine werden wahrscheinlich nicht von allen Kunden akzeptiert. Machen wir uns nichts vor: Ein Reisekunde, der 3 500 Euro beim Reisebüro angezahlt hat, um nächstes Jahr an Weihnachten irgendwo in die Karibik zu fliegen, der ist vielleicht nicht bereit, dieses Geld ein halbes oder ein Dreivierteljahr im Reisebüro liegen zu lassen. Der sagt: Nur Bares ist Wahres. Ich möchte mein Geld in Cash wiederhaben. – Der wird es also zurückfordern. Das heißt, wenn wir diese Freiwilliger-Gutschein-Lösung anbieten, habe ich die große Sorge, dass gleichwohl eine Vielzahl von Kunden auf einer Barauszahlung beharrt, was zur Insolvenz von Reisebüros führen wird.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, das ist nicht die alleinige Lösung!)

Auf der anderen Seite befinden wir uns in der Situation, dass wir die europäische Insolvenzabsicherung bisher nicht in ausreichendem Umfange umgesetzt haben; das hat uns die Pleite von Thomas Cook im letzten halben Jahr leidvoll gelehrt. Da müssten wir was entwickeln. Wir diskutieren jetzt ganz leidenschaftlich und intensiv – da kann sich die Opposition auf uns verlassen – in der Koalition mit den Juristen, mit den Wirtschaftspolitikern, mit den Tourismuspolitikern über die Frage: Wie können wir hier eine vernünftige, eine tragfähige Lösung für die Branche hinbekommen? Da glühen die Drähte.

(Abg. Roman Müller-Böhm [FDP] blickt auf sein Smartphone)

– Hey, Herr Müller-Böhm, passen Sie auf! Jetzt hier schwätzen, und danach wissen Sie nicht, worum es geht.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht Ihr Sohn!)

Von daher: Da glühen die Drähte. Wir arbeiten an der Möglichkeit einer sogenannten Fondslösung, die wir für sinnvoll halten.

Die Kollegin Lemke hat mich gebeten, auch noch etwas zu den Jugendherbergen zu sagen. Ja, wir arbeiten auch daran. Ich bin auch dankbar, dass der Finanzminister vorhin sehr deutlich gesagt hat, dass ein weiteres Programm für die Unternehmen aufgelegt wird, die besonders lange unter der Krise leiden.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kredite reichen da nicht!)

– Jetzt müssen Sie ruhig sein. Jetzt beantworte ich hier Ihre Frage, die Sie mir vorhin mit auf den Weg gegeben haben.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich darf hier zwischenrufen, so viel wie ich will!)

Wir wollen auch, dass die Jugendherbergen, die Branchen, die ganz besonders lange unter der Krise gelitten haben, die Krise gut überstehen. Das betrifft die Schausteller, das betrifft die Kongressbetreiber, das betrifft die Caterer. Ich könnte ein halbes Dutzend Branchen nennen, deren Vertreter hier genauso Tränen in den Augen haben, die nicht wissen, wie es weitergeht. Bei den Jugendherbergen ist das Problem: Sie sind gemeinnützig ausgelegt. Das heißt, es sind keine auf dem Markt befindlichen Betriebe mit Gewinnabsicht.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wusste ich auch vorher schon!)

Da müssen wir schauen, wie wir eine Lösung finden. In Bayern haben wir eine Lösung gefunden. Ich wünsche mir eine solche Lösung auch für ganz Deutschland.

Sie dürfen versichert sein: Zusammen mit dem Staatssekretär und dem Wirtschaftsminister werden wir – auch wenn er nicht im Ausschuss ist; der muss ja auch im Ministerium etwas dafür tun, dass die Branche gerettet wird – eine Lösung dafür finden.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Ja, aber das Parlament hat wohl auch noch eine Bedeutung in diesem Land!)

Herr Kollege Tressel, ich habe Ihren Antrag vorhin angesprochen. Wir sind verglichen mit dem Antrag, den Sie heute zur Abstimmung stellen wollten,

(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Wollten!“)

glaube ich, schon ein Stückchen weiter, wie Sie sich vorstellen können. Verlassen Sie sich auf die Große Koalition. Lieber gut regieren als nicht regieren!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der FDP: Oh! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Never ever!)