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Patrick Schnieder: Wir haben kein Transparenzdefizit im Deutschen Bundestag

Rede zur Einführung des verpflichtenden Lobbyregisters

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Gesetzentwurf, den wir heute hier präsentiert bekommen, und auch der Antrag, den die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt hat, sind nicht neu. Beide hat es fast unverändert in dieser Form schon gegeben. Beide sind nahezu unverändert kopiert. Der Gesetzentwurf ist quasi nach der Vorlage einer Lobbyorganisation hier eingebracht worden. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gab es schon in der 18. Wahlperiode. Das ist ja nun nicht schlimm, aber das sollte man der Transparenz halber deutlich sagen.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht es ja nicht schlechter!)

Das Problem ist, dass die Punkte, die an dem Gesetzentwurf und dem Antrag in der Anhörung, die in der letzten Wahlperiode stattgefunden hat, als problematisch festgestellt worden sind, in keiner Weise ausgeräumt worden sind.

Die Auswüchse, die hier an die Wand gemalt werden, wird es im Einzelfall geben; das will ich gar nicht in Abrede stellen. Es gibt auch schwarze Schafe in diesem Geschäft. Auch das will ich nicht in Abrede stellen. Aber ich glaube, dass wir mit einer Diskreditierung zulässiger Interessenausübung das Problem überhaupt nicht in den Griff bekommen. Ganz im Gegenteil: Wir beschränken unsere Möglichkeiten als Abgeordnete, die ein freies Mandat ausüben und die selbst entscheiden können, welche Interessen sie hören, wie sie sie abwägen und wie sie sie im Einzelnen bewerten. Deshalb kann ich mich dem Zerrbild, das zum Teil gezeichnet wird, überhaupt nicht anschließen. Dass wir in diesem Bereich der Interessenvertretung nur mit Klüngelei, mit Mauschelei, mit Korruption zu tun hätten, das ist mir eine Nummer zu hoch. Ich glaube, dass wir hier in einer neuen Art von Sachlichkeit über dieses Thema diskutieren sollten.

Wir sollten die Frage des freien Mandates, das wir ausüben, in den Mittelpunkt rücken. Wir sollten Vertrauen in die parlamentarischen Abläufe schaffen. Ich stelle einfach fest: Wir haben kein Transparenzdefizit im Deutschen Bundestag. Alles ist verfolgbar, alles ist nachlesbar, alles ist nachvollziehbar. Selbst Transparency International hat festgestellt: Die Transparenz des Deutschen Bundestages kann als sehr hoch eingestuft werden. Insofern gibt weder der Gesetzentwurf noch der Antrag eine wirkliche Antwort auf die zugrundeliegende Problematik.

Eine Antwort, die gegeben wird, ist, dass wir eine neue Behörde schaffen sollen, dass wir mehr Bürokratie einführen sollen. Nun habe ich nicht den Eindruck, dass wir in Deutschland schon zu wenig Bürokratie hätten. Ich schätze die Arbeit der Beamten, der Angestellten im öffentlichen Dienst sehr, aber es ist mir schon befremdlich, dass wir hier Registrierungspflichten aufstellen sollen, um überhaupt mit einem Abgeordneten Gespräche führen zu dürfen.

Damit sind wir beim ersten Kernproblem dieser Vorgehensweise, nämlich der Frage: Beschneiden wir damit nicht das freie Mandat, die freie Mandatsausübung von uns Abgeordneten? Wir sind gewählt, um für die Bürgerinnen und Bürger Interessen abzuwägen, und wir entscheiden selbst, mit wem wir reden. Vor diesem Hintergrund stelle ich mir folgende Fragen: Wie soll denn so etwas praktikabel sein? Sollen wir nachprüfen, bevor wir mit jemandem reden, ob er auf einer solchen Liste eingetragen ist? Wie ist es, wenn wir selbst einen Gesprächswunsch haben? Darf ich nur mit denen reden, die auf einer solchen Liste vermerkt sind? Wie wollen wir das abgrenzen? Wer ist ein solcher Interessenvertreter oder Lobbyist, wer ist keiner? Ich kann nur sagen: Die größten Lobbyisten sind die, die bei mir im Wahlkreis sitzen, die Bürgerinnen und Bürger, die ihre Anliegen vortragen, ihre Interessen vortragen. Wie will ich das im Einzelfall abgrenzen? Ich halte das für hochproblematisch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auf eine weitere Kernfrage geben Sie keine Antwort – mein Vorredner hat ihn kurz gestreift –, nämlich ob Grundrechte von solchen Maßnahmen betroffen sind. Das Problem ist doch – das wurde in der Anhörung in der letzten Wahlperiode eindeutig festgestellt – die verfassungsrechtskonforme Ausgestaltung eines solchen Lobbyregisters. Interessenvertretung kann sich immer auf Grundrechte stützen. Ich erlaube mir die Anmerkung – bei aller Wertschätzung, bei allem Gewicht, die Transparenz und Öffentlichkeit für uns und unsere Arbeit haben –: Transparenz steht im Grundgesetz jedenfalls nicht direkt hinter der Menschenwürde, sondern da stehen die Grundrechte. Das können Interessenvertreter immer geltend machen, je nach Ausprägung verschiedener Grundrechte.

Immer betroffen ist zum Beispiel Artikel 12, Berufsausübung, freie Berufswahl, aber auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und nicht zuletzt auch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes, die Koalitionsfreiheit.

Danach steht es Unternehmen, aber auch Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften grundrechtlich garantiert frei, ihre Interessen frei und ungehindert vorzutragen. Das auszugestalten, sind Sie schuldig geblieben. Ich sehe auch nicht, wie man das hier adäquat lösen kann.

Deshalb will ich zusammenfassen: Das Ziel, das Sie mit diesem Gesetzentwurf verfolgen, können Sie mit der Ausgestaltung des Lobbyregisters gar nicht erreichen; denn es kann die Kontaktaufnahme zu Abgeordneten letztlich nicht unterbinden. Ein Register kann auch nicht Auskunft darüber geben, ob es unzulässige oder rechtswidrige Beeinflussung gegeben hat. Das ist übrigens strafrechtlich geregelt. § 108e Strafgesetzbuch haben wir in der letzten Wahlperiode eingeführt. Auch hier haben wir gesetzliche Vorschriften, die das regeln. Das können wir nicht über ein Lobbyregister angehen und brauchen es auch nicht.

Angesichts dieser durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, vor allem aber auch wegen der bürokratischen Aufblähung sollten wir von dieser Art und Weise eines Lobbyregisters unbedingt Abstand nehmen. Ich werbe dafür, dass wir uns selbst vertrauen und uns selbst zutrauen, dass wir die Interessen, die an uns heran­getragen werden, sorgsam, sorgfältig und sachgerecht abwägen können. Es geht darum, das freie Mandat zu stärken und nicht schwach zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])