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Patricia Lips: Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise beschäftigen uns noch bis heute

Rede in der Aktuellen Stunde zum Kurs der großen Koalition in der Haushalts- und Finanzpolitik

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nahezu jeden Morgen und natürlich dann auch jeden Abend komme ich auf meinem Weg in die Wohnung hier in Berlin beim Bund der Steuerzahler vorbei,

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das ist gut!)

wobei man an einem Blick auf die Schuldenuhr oberhalb des Eingangsbereichs eigentlich kaum vorbeikommen kann. Aktuell wird dort eine gesamtstaatliche Verschuldung von rund 1,92 Billionen Euro angezeigt.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Läuft aber rückwärts! – Leni Breymaier [SPD]: Die läuft seit Jahren rückwärts!)

Das sind sechs komplette Bundeshaushalte der neueren Generation. Die Pro-Kopf-Verschuldung liegt bei 23 000 Euro. Der Abbau pro Sekunde beträgt 66 Euro; das ist wenig, aber immerhin. Die meiste Zeit meines Abgeordnetendaseins zählte diese Uhr aufwärts, und seit einigen Jahren nun abwärts. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich freue mich jedes Mal, wenn ich das sehe.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Ich darf daran erinnern – weil einige noch nicht im Haus waren; ich war damals schon hier –: Vor gut 15 Jahren erhielt dieses Land als erstes Land in der Euro-Zone den sogenannten Blauen Brief aus Brüssel, da es mit Schulden alle Kriterien eingerissen hatte, die es selbst für die Stabilität unserer Währung kurz zuvor noch gefordert hatte. Es war ein verheerendes Signal.

Was dann 2008/2009 im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise geschah – die Rettungsmaßnahmen in der Euro-Zone, aufgebrachte Gemüter auch im eigenen Land –, ist alles schon vergessen. Haben wir nicht gesehen, dass ganze Nationen durch Überschuldung pleitegehen können, mal salopp ausgedrückt? Letztendlich beschäftigen uns diese Auswirkungen doch noch bis heute.

Nun ist Deutschland einiges entfernt von einer Insolvenz, trotz der eingangs erwähnten Zahlen. Aber es ist bemerkenswert, wie wir uns heute freuen können, dass wir nun erstmals eine Schuldenquote von nur noch 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes erreichen. Kolleginnen und Kollegen, das war eines jener Maastricht-Kriterien, und es hat viele Jahre gedauert, bis das größte und wirtschaftlich stärkste Land in der Europäischen Union diesen Wert endlich wieder erreichte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Stefan Keuter [AfD])

Dazu gehören natürlich als ein Beitrag die gesamtstaatlich hohen Steuereinnahmen von aktuell rund 800 Milliarden Euro, ein Drittel davon beim Bund.

(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])

Deswegen ist es umso wichtiger, zu fragen: Welches Signal senden wir also einmal mehr an diejenigen, denen es nicht so gut geht, die sich aber bemühen, zu sparen, wenn ausgerechnet wir ohne Not – allein schon durch die Diskussion darüber in der Öffentlichkeit – über Neuverschuldung reden? Welche Legitimation haben wir dann noch, von anderen zu erwarten, dass sie sich an Spielregeln halten? Und wie steht es um unsere eigene Glaubwürdigkeit?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Andreas Schwarz [SPD])

Ich möchte noch mal auf die Investitionen zurückkommen. Wenn man die Diskussionen in diesen Tagen verfolgt, hat man ja fast das Gefühl, es würde gespart und Mittel würden zurückgehalten allein um des Zurückhaltens und eines undefinierten Sparzwanges willen. Sind 5 Milliarden Euro für den DigitalPakt Schule keine Investitionen? Sind rund 40 Milliarden Euro für den Kohleausstieg keine Investitionen? Sind fast 10 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel für den öffentlichen Personennahverkehr keine Investitionen? Sind Investitionshilfen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache Kommunen keine Investitionen? Was ist mit den Mitteln in Höhe von 4,4 Milliarden Euro für den Kitaausbau, 1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau oder 2 Milliarden Euro für die Ganztagsschulbetreuung? Das sind nur einige wenige Beispiele. Das sind im Übrigen mehrheitlich Aufgaben, die dem Bund eigentlich gar nicht obliegen; aber das nur am Rande. Manchmal darf man auch an die Verantwortung der Länder erinnern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Insgesamt stehen 43 Milliarden Euro an Investitionsmitteln im kommenden Jahr zur Verfügung. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie auf rund 19 Milliarden Euro Haushaltsreste treffen. Daran zeigt sich doch eines: Die bereits vorhandenen Mittel fließen schlicht nicht ab. Da müssen wir ran, Kolleginnen und Kollegen, einige haben es erwähnt: Planungsverfahren beschleunigen, Kapazitäten erweitern, ein einfacheres Planungs- und Vergaberecht. Hier sollten wir zusätzliche Initiativen ergreifen, soweit es in unsere Zuständigkeit fällt, aber dann natürlich auch vor Ort Taten folgen lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Natürlich ist es wohlfeil, zu argumentieren, man wolle künftigen Generationen ein intaktes Land hinterlassen. Aber letztlich gilt auch für die öffentliche Hand: Irgendeiner muss am Ende die Schulden bezahlen.

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Genau!)

Die Entscheidung treffen die Parlamente. Das Geld kommt vom Steuerzahler. Vor diesem Hintergrund sind nach meinem Dafürhalten die alten Schulden aus den genannten Gründen bereits hoch genug, unabhängig von wem sie verursacht und für was auch immer sie entstanden sind.

In diesem Sinne: Allen einen besinnlichen dritten Advent.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)