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Norbert Röttgen: Wir müssen zu unserer Position stehen, aber trotzdem transatlantisch bleiben

Haushaltsgesetz 2018 - Rede zum Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist schon von einigen Kolleginnen und Kollegen dargelegt worden, wie dramatisch sich die Welt verändert hat – in einem Tempo und in einem Ausmaß, wie es das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Das wissen wir, das empfinden wir, und das ist dramatisch, weil es nicht irgendwelche Veränderungen sind, sondern weil bestehende Gleichgewichte, Systeme, Ordnungen attackiert und zerstört werden – überall um uns herum.

Nur nebenbei will ich erwähnen: Eine der wesentlichen strategischen Herausforderungen, nämlich der Aufstieg und die neue Rolle Chinas, wird von uns eher immer am Rande wahrgenommen; aber auch das gehört zu den Veränderungen. Ich möchte aber über diese Veränderungen jetzt gar nicht mehr viel reden; sie sind ja auch schon dargelegt worden.

Vielmehr möchte ich ausführlich über uns reden. Was folgt denn daraus für uns? Wenn sich alles und alle um uns herum verändern, wenn die Art, wie Politik gemacht wird, in Russland, in der Türkei, in Washington, im Nahen und Mittleren Osten, nicht mehr so ist, wie wir das seit Jahrzehnten kannten, dann kann ja bei uns nicht alles gleich bleiben, sondern dann entsteht auch in Europa und in Deutschland Handlungsbedarf.

Was machen diese Veränderungen mit uns? Wie ist unsere Antwort auf das, was sich tut? Darüber möchte ich sprechen, weil ich glaube, dass wir diese Antwort noch nicht haben, aber davon überzeugt bin, dass wir sie geben müssen. Ich glaube, dass es um nicht weniger geht als darum, dass wir – und, um es einmal für diese Rede zu sagen, wenn ich „wir“ sage, dann rede ich von Deutschland und den Europäern; das ist mein Wir –

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein gutes Wir!)

unser außenpolitisches Selbstverständnis neu debattieren, neu definieren und dass wir auch in Deutschland anfangen, eine strategische Debatte über Außenpolitik zu führen, eine strategische Kultur zu entwickeln, wenn es um Außenpolitik geht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist unsere Verantwortung. Sie kann nicht darin bestehen, die Veränderungen zu beschreiben und dann auf die nächste Veränderung zu warten, sondern wir müssen Einfluss gewinnen, um unsere Interessen zu vertreten.

Wir sind nämlich betroffen. Das, was um uns herum stattfindet, können wir von der Sicherheit und der Stabilität unserer Gesellschaften eben nicht mehr trennen. Die einfache Antwort ist Renationalisierung: Wir machen einfach die Augen zu. – Nein, allerspätestens mit der Flüchtlingskrise haben wir gelernt: Wir können unseren gesellschaftlichen Zustand nicht mehr von dem Zustand unserer Umgebung trennen. Wer Verantwortung für die Bürger wahrnimmt, der muss außenpolitische Verantwortung wahrnehmen und darf sich nicht abschotten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte vier Anmerkungen dazu machen, was Gegenstand einer notwendigen strategischen außenpolitischen Debatte sein müsste. Es gibt aber auch sicher Punkte, die noch dazukommen müssten.

Erstens. Es ist ein Novum, dass wir und unser wichtigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika, in der internationalen Klimapolitik, in der internationalen Handelspolitik, in der Nahostpolitik und wahrscheinlich übrigens auch gegenüber China unterschiedliche Politiken verfolgen. Das hat es so noch nicht gegeben. Es sind mit die wichtigsten Politikfelder der Außenpolitik, in denen Europa, Deutschland und die USA unterschiedliche Politiken verfolgen.

Wir müssen zu unserer Position stehen, aber – das als eine erste Anmerkung – wir müssen trotzdem transatlantisch bleiben;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

denn das Transatlantische, das uns verbindet, die Werte, die Breite und die Tiefe unserer Verbindungen, ist stärker als das, was uns gegenwärtig trennt. Die USA bleiben unverzichtbar, unersetzbar für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands und Europas. Darum bleiben wir transatlantisch; aber wir haben inhaltliche Differenzen und Konflikte.

Zweitens. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie und in welchem Stil die USA und der amerikanische Präsident Politik betreiben, zeigt – bei dem Iran-Abkommen verhält es sich so, die Aufkündigung ist gegen europäische Interessen –: Die Entscheidung ist ohne uns erfolgt; sie beruht im Wesentlichen auf innenpolitischen Machtkalkulationen. Da kommen die Verbündeten im Entscheidungsprozess relevant gar nicht mehr vor. Es wird also nicht mehr gemeinsam entschieden. Es wird nicht nur gegen uns entschieden, es wird ohne uns entschieden. Das ist eine dramatische grundsätzliche Veränderung. Durch diese Veränderung ist nach meiner Einschätzung objektiv ein europäisches Momentum erzeugt worden, das es so – Kollege Matschie hat es gesagt – noch nie gegeben hat. Das müssen wir ergreifen. Wir müssen jetzt diesen europäischen Willen bilden und europäische Instrumente schaffen. Von beidem sind wir noch weit entfernt.

Drittens. Was bedeutet es konkret, diesen europäischen Willen zu bilden und entsprechende Instrumente zu schaffen? Wir müssen aufhören, über Themen von europäischer und strategischer Bedeutung nur national zu debattieren. Es ist ja zurzeit das Verhaltensmuster von Trump und der amerikanischen Politik, über internationale Fragen nur national und innenpolitisch zu debattieren. Wir machen das auch. Es gibt viele Themen, und ich bin davon überzeugt, dass keines der Themen, über die wir reden, militärisch zu lösen ist. Aber ich spreche einmal die neuralgischen Punkte an, von denen ich meine, dass wir sie nur national diskutieren, obwohl sie eine europäische Dimension haben. Das bezieht sich natürlich auf den Haushalt. Ich will zwei Punkte benennen.

Der erste Punkt betrifft die Verteidigungsausgaben. Wir führen hier eine Debatte darüber, wie viel wir mehr ausgeben. Unter dem Gesichtspunkt, ob Europa international ein Akteur wird, ob wir Einfluss ausüben können, ist die Frage der Verteidigungsausgaben entscheidend. Wenn wir ein Land bleiben sollten, dass sich nicht dazu entscheiden kann, seine eigene Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung im Wesentlichen einsatzfähig auszustatten, werden wir außenpolitisch nicht ernst genommen, weder bei den Verbündeten noch in Moskau, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist eine Vorentscheidung über unseren außenpolitischen Einfluss. Wir müssen darüber europapolitisch und außenpolitisch diskutieren.

Der zweite Punkt betrifft die sicherheitspolitischen und militärischen Instrumente der Europäer. Wir sprechen immer über PESCO, die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Ich finde sie auch gut; das ist ein Fortschritt.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie ist völlig falsch! Holzweg!)

Aber wir dürfen doch nicht glauben, dass wir mit PESCO innerhalb von fünf Jahren, also einer überschaubaren Frist, auch nur annähernd militärische Fähigkeiten erreichen können. Hier müssen wir mehr tun, sonst wird Europa nicht handlungsfähig werden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine letzte Anmerkung bezieht sich auf den Nahen Osten – wenn Sie mir das noch gestatten, Herr Präsident. Der Nahe Osten wird die Schicksalsfrage der europäischen Außenpolitik sein. Es ist die Schicksalsfrage, weil es unsere Nachbarregion ist, nicht die amerikanische Nachbarregion. Meine Überzeugung ist, dass die USA mit ihren wirtschaftlichen Sanktionen und der Dollardominanz im internationalen Finanzsystem die Fähigkeit und Macht haben, das Nuklearabkommen zu zerstören. Das kann eine Eskalationsspirale in Gang setzen. Können wir sie durchkreuzen? Ich möchte einen Vorschlag machen, von dem ich glaube, dass er vielleicht die einzige Möglichkeit ist.