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Martin Patzelt: Nur der Schutz der Freiheit kann uns retten, auch in einer solchen Epidemie

Rede zur weltweiten humanitäten Lage in der Corona-Krise

Danke schön, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Dinge vorab sagen, weil ich weiß, dass meine Redezeit sehr knapp wird. Sie sind mir so wichtig, weil sie in der Debatte deutlich geworden sind.

Erstens. Ich fühle mich heute so wohl und zu Hause hier und in Deutschland. Das, was die meisten von Ihnen gesagt haben, spricht mir aus dem Herzen. Das zeigt die große Verantwortung, die wir hier gemeinsam zu einem historischen Zeitpunkt übernehmen und die uns ein Stückchen adelt. Auf dem Weg müssen wir weitergehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zweitens. Herr Braun, Sie haben in einer Bemerkung gesagt: Scheinregierung der Kanzlerin.

(Jürgen Braun [AfD]: Das habe ich nicht gesagt!)

Diese Bemerkung macht deutlich, was schlimmer ist als das Coronavirus: dass man mit Halbwahrheiten, Unterstellungen und Diffamierung in keiner Weise für den Fortschritt, für die Zukunft unseres Landes wirbt. Wenn es eine Scheindemokratie wäre, säßen Sie nicht hier.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Patzelt, gestatten Sie dem Kollegen Braun eine Zwischenfrage?

 

Martin Patzelt (CDU/CSU):

Ja, es geht nicht von meiner Redezeit ab. – Bitte, Herr Braun.

 

Jürgen Braun (AfD):

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Patzelt, ich schätze Sie menschlich sehr. Ich bitte Sie, doch zur Kenntnis zu nehmen, dass ich vielerlei Kritik an der Bundeskanzlerin Angela Merkel und auch vielerlei Kritik an der Bundesregierung habe, dass ich aber nicht von einer „Scheinregierung“ gesprochen habe. Das müssen Sie falsch gehört haben.

 

Martin Patzelt (CDU/CSU):

Wir beide werden das mit dem Protokoll vergleichen, und ich werde das gegebenenfalls gerne zurücknehmen. Ich habe aber öfter den Eindruck, dass durch solche Unterstellungen genau das in unserem Volk untergraben wird, was wir am dringendsten brauchen: Vertrauen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Verschiedene Redner haben gesagt, dass insbesondere in dieser Krisensituation das Vertrauen der Menschen das Allerwichtigste ist. Wer die Ängste und die Wut der Menschen befördert, der schafft nicht Zukunft für unser Land, der schafft nicht Zukunft für unsere Welt.

Ich fahre mit dem fort, was ich vorbereitet habe. Das sind die Zahlen von heute Morgen: Wir haben 303 000 Tote auf dieser Welt zu beklagen. Wir haben 4,5 Millionen Infizierte. Von denen sind 1,6 Millionen wieder genesen. Das ist der aktuelle Stand von heute Morgen.

Am 12. März dieses Jahres hat die WHO den Covid-19-Ausbruch zur Pandemie erklärt. Die globale Ausbreitung dieses Virus auf der Welt provoziert den Vergleich, wie denn mit der Pandemie in den unterschiedlichen Ländern und in unterschiedlichsten Herrschaftssystemen umgegangen wird. Ein solcher Vergleich ist wichtig und hilfreich. Nicht, damit man zum Resultat kommt: Wir sind die Besseren; wir haben alles gut gemacht. – Wir haben es bisher in Deutschland verantwortungsvoll und gut gemacht. Aber das hängt mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen, unterschiedlichen historischen Situationen und unterschiedlichen Abhängigkeiten zusammen. Aber wir wollen die besten Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Ländern zu den Maßgaben für unser Handeln machen. Eine permanente kritische Betrachtung dessen, was in unserem Land und auf der Welt vorgeht, ist das Beste, was wir tun können; denn wir sind ein lernendes System, und wir müssen gerade in Krisensituationen ein lernendes System bleiben.

Die Einschätzungen der Ausbreitung von Covid-19 lagen in vielen Ländern weit auseinander. Es gab ein schnelles und konsequentes Handeln mit den entsprechenden Maßnahmen. Es gab aber auch Repressionen, Vertuschung der Infizierungsfälle. Es gab Gewalt gegen Menschen. Es gab das Wegsperren von Menschen und die Unterdrückung der Pressefreiheit; das alles haben wir heute gehört. Die Gefahr der Ansteckung und der rasanten Verbreitung dieser neuen Krankheit wurde auch massiv unterschätzt. Der Staatsführung war die Kontrolle der öffentlichen Meinung in bestimmten Ländern prioritär. Zwangsmaßnahmen wie die Sperrung ganzer Städte mit rigider Isolation der Menschen gehören zu eindämmenden Maßnahmen genauso wie die sogenannte Health-Code-App, in der die Bürger in China ihre Gesundheitsdaten eingeben müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine Funktionalisierung des Menschen, wenn er eine Ampel bei sich trägt, die auf Grün, Gelb oder Rot schaltet aufgrund der Daten, die er eingeben muss, und wenn anhand dieser Daten dann seine Rechte als Mensch in einer Weise beschnitten werden, dass er nur noch ein funktionierendes Wesen ist, ohne die gleiche Würde und die gleichen Rechte zu haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

China hat von Anfang an eine Informationssperre verhängt. Es hat ein Labor geschlossen. Es hat die Laboruntersuchungsergebnisse unter Verschluss genommen oder vernichten lassen. China hat einen Arzt, der frühzeitig auf die Ansteckungsgefahr hingewiesen hat, mundtot gemacht; er ist dann leider noch verstorben. Das zeigt, welche Gewalt ein Staatsapparat hat, wenn er sie sich nimmt und wenn er nicht demokratisch kontrolliert wird. Das ist bei uns – Gott sei Dank – anders.

Vergleichen wir das mit der Situation im Iran. Im Iran gab es 112 725 Infizierte und 6 783 Todesfälle. Schon im März 2020 gehörte der Iran neben China, Südkorea und Italien zu den am stärksten betroffenen Staaten. Wie ist er mit dieser Situation umgegangen? Engpässe vor allen Dingen bei Medikamenten, Hunger und Nahrungsmangel lassen wütende Menschen auf die Straßen gehen. Gefangene brechen aus den Gefängnissen aus, weil sie sich vor einer Ansteckung fürchten, weil die Verhältnisse dort unzumutbar sind. Sie werden eingefangen und erschossen, ohne Gerichtsurteil, ohne irgendeine Verhandlung oder eine Diskussion. Das einzelne Menschenleben zählt auch in dieser Krise nicht. Der Machterhalt einer Regierung – hier der Mullah-Regierung – hat Priorität.

Dagegen Taiwan, auch in Südostasien, mein Beobachtungsgebiet: Das Land hat bis heute nur knapp zwei Erkrankte pro 1 000 Einwohner. Es hat insgesamt sieben Todesfälle zu verzeichnen. Von 440 Infizierten sind 375 Menschen bereits genesen. Wie kann das sein? Durch die geografische Nähe zu China und durch die hohe Zahl von Pendlern – 1,5 Millionen arbeiten in China – hatte man eigentlich erwartet, dass sich die Pandemie auch in Taiwan sehr schnell ausbreitet. Dafür hat es jedenfalls die besten Voraussetzungen gegeben. Es gab in Taiwan keine Ausgangsbeschränkung. Universitäten, Schulen, Restaurants, Geschäfte und selbst Fitnessstudios blieben offen. Aber seit Beginn der Krise im Januar wurde intensiv getestet. Aus der SARS-Epidemie 2003/04 gelernt, hat sich das Land auf zukünftige Epidemien eingestellt. Systematische Katastrophenpläne lagen vor. Eine institutionelle Struktur von Gesundheitsämtern wurde errichtet. Bereits Mitte Januar machten zwei Virologen, die in Wuhan waren und nach Taiwan zurückkamen, die WHO aufmerksam, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Die taiwanische Regierung hat zusammen mit den Menschen alles getan, um die kleinen Brandherde – so wie wir es jetzt in Deutschland versuchen wollen – zu entdecken, zu definieren und die Beschränkungen zielgenau vorzunehmen.

Am 25. Januar schloss Taiwan dann seine Grenzen für Besucher aus der Volksrepublik China, Hongkong und Macau. Gleichzeitig erarbeiteten die Behörden eine Datenbank, die die Informationen der Gesundheitsbehörde mit denen der Einwanderungs- und Zollbehörden zusammenfasste. So konnte man die Reiserouten, Kontaktwege und Krankheitssymptome jedes einzelnen Einreisenden verfolgen und zu einem sehr frühen Zeitpunkt durch strafbewehrte Quarantänemaßnahmen für Personen mit Ansteckungsverdacht die Infektionsketten frühzeitig unterbrechen. Eine umfassende und transparente Berichterstattung sorgte dafür, dass die Bevölkerung den Aufforderungen der Regierung nachkam, sie ernst genommen hat, auch ohne offiziellen Lockdown ihre Alltagsaktivitäten beschränkte. Der wirtschaftliche Schaden ist in diesem Land bisher bedeutend geringer als in den anderen südostasiatischen Staaten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer wieder muss betont werden: Nur der Schutz der Freiheit kann uns retten, auch in einer solchen Epidemie. Das klingt erst mal widersinnig, und manche waren der Verlockung ausgesetzt, den Diktaturen mit ihren rigiden Maßnahmen zu folgen, und sagten: Das hat die größere Wirkung. – Wir beobachten das weiter sehr interessiert.

Ich glaube, die Freiheit des Denkens, der Wissenschaft, der Bewegung, der wirtschaftlichen Betätigung, die Freiheit der Medien, die Freiheit zum politischen Diskus und auch zu Demonstrationen ebenso die Freiheit der Diskussion über Tod und Leben in einer Form und Weise, die nicht diffamiert, die nicht unterstellt, die nicht populistisch ist, die nicht ihre eigenen Ziele und Absichten sucht, ein offener Diskurs, das hilft uns allen weiter. Die Bewältigung der Bedrohung durch Covid-19 zeigt auf, wie gefährlich das Zurückhalten von relevanten Informationen oder deren Manipulation ist.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege.

 

Martin Patzelt (CDU/CSU):

Ja. Jetzt bin ich so weit.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Sie haben es geahnt, nicht?

(Heiterkeit)

 

Martin Patzelt (CDU/CSU):

Ja. Ich sage noch meinen Schlusssatz; der ist mir wichtig. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schauen immer viel auf unsere Regierung. Wir schauen viel auf die Medien. Wir alle sitzen hier zusammen. Wir alle haben Einfluss. Wir alle geben durch unser persönliches Zeugnis Anlass zum Nachdenken, und das sollten wir überall, wo wir auftreten, tun. Gegen alle Mythen, gegen alle Halbwahrheiten – Halbwahrheiten sind die schlimmsten Lügen –, gegen alle Verdächtigungen sollten wir offen, sachlich und transparent eintreten. Ich glaube, dann werden wir die Krise auch in Deutschland bewältigen.

Ich wollte noch sagen:

(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause – Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sind noch einige Nachsätze!)

Wir sitzen alle in einem Boot, und die Krise macht deutlich: Ökologisch und wirtschaftlich – denken wir das mal nur alles weiter – kommen wir nicht mehr umhin, global zu denken und zu fühlen. Wer das nicht tut, dem ist nicht zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)