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Klaus-Dieter Gröhler: Es ist wichtig, dass wir eine klare Kante zeigen

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Epl. 06)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Staatssekretär! Ich glaube, das ist der umfangreichste Etat, den wir je für das Innenministerium zu beraten hatten, natürlich situationsbedingt. Ich glaube, auch hinsichtlich der Änderungen ist es das umfangreichste Paket, das wir als Koalitionsfraktionen geschnürt haben, nicht – das will ich betonen – weil der Regierungsentwurf so schlecht war, sondern weil zahlreiche Projekte in den letzten Wochen an Martin Gerster und mich herangetragen wurden, von denen wir viele gut fanden und umsetzen wollen. Ich will an dieser Stelle auch ein ganz herzliches Dankeschön dem Haus gegenüber aussprechen. Sosehr wir das Haushaltsreferat – Herrn Dr. Burbaum, Herrn Meißner und die ganzen anderen Kolleginnen und Kollegen – mit unseren zahlreichen Abstimmungsbedarfen sozusagen belästigen mussten, wurde uns sehr viel Kooperation entgegengebracht. Dafür ein ganz herzliches Dankeschön ans Haus!

Meine Damen und Herren, der Union liegt ein Thema immer ganz besonders am Herzen, das ist die innere Sicherheit, weil wir glauben, dass die Menschen in diesem Land Anspruch haben auf Schutz vor Kriminalität, vor Gewalt und vor Hass. Deshalb ist es gut, dass wir auch bei diesem Haushalt in diesem Bereich wieder einen Schwerpunkt setzen konnten. Es kann nicht sein, dass sich der Staat vor Reichsbürgern oder vor Großfamilien mit kriminellem Hintergrund wegducken muss. Deshalb ist es gut, dass zum Beispiel die Bundespolizei zusätzlich 1 000 Stellen bekommt, deshalb ist es gut, dass das Bundeskriminalamt 400 zusätzliche Stellen bekommt, unter anderem, um gegen Clankriminalität vorzugehen. Ich benutze das Wort „Clankriminalität“ ganz bewusst. Ich weiß, dass es zum Beispiel in der Berliner SPD Diskussionen gibt, dieses Wort zu streichen, weil man es stigmatisierend oder rassistisch findet. Es gibt bei den Berliner Linken inzwischen auch Diskussionen, dass man Shishabars nicht mehr kontrollieren soll, weil auch das rassistisch sei. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich: Wenn wir anfangen, die Probleme in diesem Land zu verniedlichen und zu verharmlosen, dann verlieren wir als Politikerinnen und Politiker an Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Mit uns von der Union ist das jedenfalls nicht zu machen. Deshalb ist es wichtig, dass wir an dieser Stelle ganz klare Kante zeigen.

Es ist auch wichtig, meine Damen und Herren, dass wir die besondere Belastung der Polizei vor Augen haben. Von der Umsetzung der Maskenpflicht über die Unterbindung illegaler Veranstaltungen bis hin zum Schutz von Coronademonstrationen, aber auch deren Auflösung – all das belastet im Moment die Polizei. Deshalb ist es, glaube ich, gut und richtig, dass wir im Haushalt 7,5 Millionen Euro zusätzlich für die persönliche Schutzausrüstung von Polizistinnen und Polizisten ausgeben. Wer draußen täglich den Kopf hinhalten muss, der muss auch entsprechend ausgestattet sein, und der bedarf unseres Schutzes und unserer Fürsorge.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich will aber noch auf zwei andere Projekte eingehen, die mir persönlich sehr am Herzen liegen; denn ich glaube, dass sie in diese Zeit passen. Das erste Projekt fördern wir anfangs erst mal nur mit 200 000 Euro. Jetzt werden Sie sagen: Das ist ja bei diesem Haushalt ein Kleckerbetrag. – Aber ich glaube, das ist ein sehr, sehr wichtiges Projekt, nicht weil es hier in Berlin stattfindet, sondern weil es Leuchtturmfunktion hat. Es geht um die Schaffung einer Ausstellung, die sich „Romanisches Café“ nennt. Diese Ausstellung soll dort entstehen, wo das Romanische Café früher war, wo sozusagen der kulturelle und intellektuelle Hotspot der Welt war, als Berlin die drittgrößte Stadt der Welt war, dort, wo sich Liebermann und George Grosz trafen, Friedrich Hollaender, Bertolt Brecht, aber auch Mascha Kaléko, Ringelnatz oder Renée Sintenis. An diesem Ort, meine Damen und Herren, soll es eine Ausstellung über die 20er-Jahre geben, über die Weimarer Republik, um den Leuten, die in der Stadt shoppen gehen, auch niedrigschwellig die Möglichkeit zu geben, zu verstehen, wie die Weimarer Republik scheitern konnte: weil sie zu wenige Demokraten und zu viele Radikale hatte, weil der Rechtsstaat auf dem rechten Auge blind war und weil sich beide Seiten, links und rechts, zunehmend radikalisierten und die Republik zum Zusammenbruch brachten, weil der Kompromiss und der Konsens unter den Demokraten nicht mehr ausreichte, um diese erste Republik zu schützen.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das stimmt!)

Ich finde, meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten ist das ein interessantes Thema. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Mich hat es sehr belastet, als ich zahlreiche Zuschriften bekommen habe, in denen es hieß, wir würden ein Ermächtigungsgesetz schaffen oder die Freiheit abschaffen und in eine Diktatur gehen. Ich glaube, es ist an der Zeit, den Menschen mal ganz deutlich zu machen, was Diktatur heißt und was das Ermächtigungsgesetz damals war. Weihnachten ist ja vielleicht auch die Zeit, wo man die Gelegenheit hat, mal das ein oder andere Buch zu lesen. Da empfehle ich denen, die uns geschrieben haben, zum Beispiel das Buch „Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik“. Dann versteht man vielleicht, meine Damen und Herren, was tatsächlich hinter dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ steht.

Ich will an dieser Stelle noch ein zweites Projekt sehr deutlich in den Vordergrund rücken: 3 Millionen Euro für den Else-Ury-Campus. Am Gleis 17 soll ein Projekt der Moses-Mendelssohn-Stiftung entstehen, an jenem Ort, meine Damen und Herren, wo von 1941 bis Februar 1945 50 000 Berliner Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager geschickt wurden. Dieses Projekt sieht vor, einen Campus zu schaffen, wo junge Auszubildende und Studierende, zum Beispiel aus Israel, wohnen, leben und arbeiten können. Dort soll ein gläsernes Klassenzimmer entstehen, um Schülerinnen und Schülern zu erklären: Was heißt eigentlich Holocaust?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht; aber ich bin im Moment wirklich sehr erschrocken über die zahlreichen antisemitischen Anwürfe im Zusammenhang mit der Coronasituation. Ich bin sehr erschrocken über die Zahlen, die das ZDF vor ein paar Tagen veröffentlicht hat: dass 28 Prozent aller Deutschen sagen, man müsse einen Schlussstrich unter die Geschichtsaufarbeitung ziehen, und gleichzeitig 25 Prozent aller Deutschen sagen, eigentlich wüssten sie gar nicht genug über den Holocaust. Solche Zahlen sind natürlich auch dadurch entstanden, dass es Politiker gibt, die sagen: Diese Zeit war „ein Vogelschiss“. Dem müssen wir ganz bewusst entgegentreten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Da werden Sie sogar selbst rot wegen des ganzen Zeugs, das Sie hier erzählen!)

Ich sage ganz offen: In einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeugen berichten können, wie damals die Situation war,

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sind schon ganz rot! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Weidel, Sie sollten sich schämen! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ich finde, das ist eine exzellente Rede!)

wird es immer wichtiger, jungen Menschen zu erklären, was Verfolgung und Unterdrückung tatsächlich heißen.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Da werden Sie schon rot! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist halt schwer, die Wahrheit zu ertragen, für eine wie Sie! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! Vor allem für Sie! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Herr Gröhler hält eine sehr gute Rede!)

Ich will Ihnen an dieser Stelle noch eine Erinnerung mitteilen, die mir vor einigen Jahren der Berliner Unternehmer Rafi Roth erzählt hat. Rafi Roth ist 1933 geboren worden, musste mit seinen Eltern Deutschland verlassen, ist nach Palästina gegangen und kam nachher aus Israel zurück. Er stand damals mit mir auf der Terrasse seiner Berliner Wohnung am Kurfürstendamm, und wir guckten über die Dächer der Stadt. Er sagte: Sehen Sie da hinten die goldene Kuppel meiner Synagoge? Das hätte sich dieser Hitler nicht gedacht, dass ich mal auf meiner Terrasse stehen und meine Synagoge sehen würde. – Dieser Satz, meine Damen und Herren, hat sich sehr tief bei mir eingebrannt. Die Vorstellung, dass junge Israelinnen und Israelis in Berlin studieren und am Glas 17 jungen Schülern erklären können, was Holocaust und Shoah tatsächlich bedeuten, ist, glaube ich, ein Projekt, das wir alle gemeinsam unterstützen sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestatten Sie mir abschließend noch folgende Bemerkung: Heute Nachmittag beginnt Chanukka, das Fest, das an das Wunder der kleinen Öllampe erinnert, die noch brannte, obwohl eigentlich gar kein Öl mehr da war, das Zeichen, dass Licht über Dunkelheit siegen kann. Ich glaube, das ist gerade in diesen Zeiten ein sehr schönes Symbol, an dem sich vielleicht alle erwärmen können.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)