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Hansjörg Durz: "Der Staat muss mit einer Perspektive helfen"

Rede zu Corona-Überbrückungshilfen

Demokratie ist organisierter Streit. Und es ist richtig und gut, dass wir gerade in der größten Herausforderung unseres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg hier im Parlament um die besten Lösungen ringen. Doch Demokratie heißt auch, dass viele an der Entscheidungsfindung beteiligt sind – und von den hier im Parlament vertretenen Parteien sind fast alle an den Landesregierungen in den Bundesländern beteiligt und somit an wesentlichen Entscheidungen in dieser Krise, auch was die Wirtschaftshilfen betrifft. Deshalb ist es unredlich, alle Schuld dem Bund zuzuschieben. Schuldzuweisungen helfen uns nicht weiter, schon gar nicht den Unternehmen. Diese Krise schultern wir nur gemeinsam – vom Bürgermeister bis zur Bundeskanzlerin!

Der vorliegende Antrag der FDP enthält Punkte, die auch wir als Union als sinnvoll im Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgekosten der Coronakrise erachten. Die Forderung, den steuerlichen Verlustrücktrag auszuweiten, ist eine davon. Der Kanzlerkandidat der SPD  ist hier jedoch anderer Meinung, weshalb ich auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD bitte, nochmals darüber nachzudenken.

Klare Sprache und Vereinheitlichung fordert die FDP angesichts der unterschiedlichen Ausgestaltung der Hilfsprogramme, zu Recht. Doch in Ihrem Antrag steht etwas anderes: Sie fordern, die Hilfen je nach Branche unterschiedlich zu gestalten – also doch wieder Differenzierung, Komplexität, Bürokratie und Zeitverzug.

Die Änderungen, die das Wirtschaftsministerium bei der Konzeption der Überbrückungshilfe III vorgenommen hat, führen zu mehr Klarheit und weniger Bürokratie: Es wird nun nicht mehr unterschieden zwischen den Unternehmen, die aufgrund des Lockdowns schließen müssen, und denen, die offen sind, aber deutlich weniger Einnahmen haben. Stattdessen gibt es ein Eintrittskriterium: minus 30 Prozent vom Vorjahresumsatz. Die Abschlagszahlungen werden zudem deutlich ausgeweitet. Das bedeutet mehr Geld auf dem Konto.

Doch nicht nur der Betrag ist entscheidend, sondern auch, ob das Geld schnell ankommt. Denn die Zeit drängt. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer sind verzweifelt. Wer seit Mitte Dezember geschlossen hat und erst im März mit der Zahlung der vollen Hilfsgelder rechnen kann, der fragt zu Recht: Mit welchem Geld soll rund ein Quartal überbrückt werden? Null Einnahmen, aber zwei bis drei Mietzahlungen für die Geschäftsräume, zwei bis drei Mietzahlungen für die eigene Wohnung. Kurzarbeitergeld ist zwar beantragt, muss aber vorgestreckt werden. Und die eigenen Lebenshaltungskosten müssen auch gedeckt werden. Deshalb müssen Bund und Länder ständig hinterfragen, ob wirklich alles getan ist, damit die Hilfen so schnell wie möglich dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden.

Der Staat muss aber nicht nur mit Geld helfen, sondern auch mit einer Perspektive. Das ist – anders als es die öffentliche Debatte vermuten lässt – nicht erst in dieser Woche Teil der politischen Auseinandersetzung. Im letzten Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz wurde vereinbart, dass bis zur nächsten Sitzung ein Konzept „für eine sichere und gerechte Öffnungsstrategie“ erarbeitet wird. Und es stimmt: Wir brauchen Szenarien, wie und bei welchem Infektionsgeschehen wer wieder öffnen darf.

Wahr ist aber auch: Die wirksamste Öffnungsstrategie ist die Pandemiebekämpfung. Es gibt kein Entweder oder zwischen Gesundheits- und Wirtschaftspolitik. Im Gegenteil: Die Bekämpfung der Pandemie ist die entscheidende Wirtschaftshilfe. Hoffnung macht, dass die Maßnahmen wirken; die Zahlen entwickeln sich nach unten. Hinsichtlich der Mutanten müssen wir aber weiter vorsichtig sein – ein Hin und Her, ein Jo-Jo-Effekt wäre absolut fatal.

Bei der Öffnungsstrategie sind wieder alle gefragt, Bund und Länder, also alle Parteien – bis auf eine, und das ist gut so. Denn wie deren Plan zum Wohle der Wirtschaft aussieht, zeigt folgendes Beispiel: In meinem Wahlkreis hat ein AfD-Politiker vor einer Woche in einem sozialen Netzwerk dazu aufgerufen, ich in einem örtlichen Supermarkt zu treffen und gemeinsam die Masken abzunehmen. Ein Flashmob von Maskenverweigerern in den Räumlichkeiten eines rechtschaffenden Unternehmers. Schikane statt Hilfe. Das zeigt: In diesen Zeiten müssen wir nicht nur dem Virus die Stirn bieten.

Der Stromnetzausbau dient dazu, Windstrom aus dem Norden zu den Verbrauchszentren im Süden und Westen zu transportieren und somit die Stilllegung konventioneller Kraftwerke zu kompensieren. Allerdings – und das muss man ganz klar sagen – der Netzausbau hinkt massiv hinterher. Von den bisher geplanten 7 700 Kilometern Stromtrassen sind bislang nur rund 1 500 Kilometer fertiggebaut. Anhaltende Widerstände à la „not in my back- yard“, Hunderte Klagen und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren mit mehrstufigen Anhörungen: All das lähmt den Netzausbau und gefährdet letztlich die Energieversorgung unseres Landes.

Mit der Novelle des Bundesbedarfsplangesetzes wollen wir hier gegensteuern und zudem den Netzausbau an das neue Ökostromziel anpassen. Hierfür sollen bis 2030 zum Ausbau des Stromnetzes in Deutschland 36 weitere Höchstspannungsleitungen errichtet und acht bisherige Netzausbauvorhaben geändert werden. Für alle im Ge- setz  enthaltenen,  nach  der  Novellierung immerhin 79 Ausbauvorhaben stellen wir die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf gesetzlich fest.

Damit Anwohner die geplanten Leitungen akzeptieren und nicht klagen, ist bei neun Vorhaben zumindest in Teilabschnitten eine deutlich teurere und technisch anspruchsvollere Erdverkabelung zugelassen. Leider konnten wir nicht alle Wünsche zur Erdverkabelung erfüllen. Denn bei einer Prämisse waren wir uns alle einig: Wir können keine zusätzliche Verzögerung beim Stromnetzausbau riskieren. – Dieser Prämisse sind einige nachträgliche Erdverkabelungswünsche, aber auch eine dritte SuedLink-Leitung zum Opfer gefallen.

Wir wollen aber nicht nur Verzögerungen verhindern, sondern auch die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Hierzu verkürzen wir den Klageweg. Das heißt, dass das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz zuständig sein wird. Zudem schaffen wir einen ersten Rechtsrahmen für als Netzbooster genutzte Großbatterien im Übertragungsnetz. Hierdurch kann das Stromnetz effizienter genutzt und ein unnötiger Ausbau von Stromleitungen vermieden werden. Das spart Geld und Nerven der Bürger.

Sollte sich der Netzausbau noch weiter verzögern, müssen wir zur Beschleunigung auch im Stromleitungs- bau auf Maßnahmegesetze zurückgreifen. Und deshalb fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, zu prüfen, ob Maßnahmegesetze ein geeignetes Mittel sind zur Beschleunigung des Netzausbaus. Damit würden Stromleitungen zügig per Gesetz anstatt durch langwierige behördliche Verwaltungsakte Baurecht erlangen. Zudem könnte ein Maßnahmegesetz nur durch das Bundesverfassungsgericht gekippt werden.

Anders als beim Windkraftausbau ist beim Netzausbau das gesamte Bundesgebiet betroffen. Als Schleswig-Holsteiner kann ich von beidem ein Lied singen. Aber keine Angst – ich mache jetzt nicht die Andrea Nahles hier. Ich möchte Ihnen gleichwohl in Erinnerung rufen, welchen Beitrag die Menschen in Schleswig-Holstein zur Energie- wende leisten. Allein in meinem Wahlkreis landen die Stromleitung NordLink aus Norwegen sowie zahlreiche Offshore-Anbindungsleitungen an. Beide SuedLink-Leitungen starten bei uns. Und zudem hat Schleswig-Hol- stein bundesweit die größte Windkraftanlagendichte pro Quadratkilometer.

Eine erfolgreiche Energiewende erfordert nicht nur den Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch der Stromnetze. Und mit dem Bundesbedarfsplangesetz ebnen wir genau dafür den Weg.

Ich wünsche Ihnen viel Energie, und bitte bleiben Sie gesund!