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Fritz Güntzler: Umsatzsteuerbetrug muss verhindert werden

Rede zu Umsatzsteuerbetrug

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Beide Anträge sind eine gute Gelegenheit, heute wieder über ein wichtiges Thema zu debattieren. Herr Kollege De Masi hat darauf hingewiesen, welches Ausmaß der Umsatzsteuerbetrug europaweit erreicht. Er nannte 50 Milliarden Euro. Gewisse Schätzungen gehen sogar weit darüber hinaus und sprechen von einem Schaden von 60 Milliarden Euro. Man muss sich das mal vorstellen: Das sind über 100 Euro pro EU-Bürger, die den Staaten dadurch verloren gehen.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn! Und das lassen Sie zu! Das lassen Sie einfach so zu!)

Wir haben in Deutschland Umsatzsteuereinnahmen von circa 240 Milliarden Euro. Das ist ein großes Stück des gesamten Steuerkuchens von ungefähr 740 Milliarden Euro. Man sieht daran also, dass das Thema eine gewisse Bedeutung hat. Ich bin wirklich dankbar für die beiden Anträge, weil sie sehr sachkundig und auch sehr sachlich sind und konkrete Vorschläge aufgreifen, über die wir diskutieren sollten. Denn unser gemeinsames Ziel muss sein: Umsatzsteuerbetrug muss verhindert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Deshalb begrüße ich es auch sehr, dass sowohl in der Rede des von mir auch fußballerisch geschätzten Kollegen De Masi

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)

als auch in den Anträgen auf die typische Rhetorik, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten nichts gemacht, verzichtet wurde. Das stimmt ja auch gar nicht, sondern – das kann ich auch gleich sagen – wir haben einiges gemacht. Dennoch ist es immer wieder unser Auftrag, noch mehr zu tun und sich auf mögliche Betrügereien einzustellen. Da gibt es immer neue Tricks, auf die wir reagieren müssen, und die Bundesregierung, die CDU/CSU und die SPD haben in der Vergangenheit eines gemacht. Wir waren alles andere als untätig.

Aber wo liegt das Problem? Wir haben seit 1969 die sogenannte Allphasen-Netto-Umsatzsteuer. Das heißt, auch bei einer gewissen Fertigungstiefe – also bei Lieferungen von Unternehmen zu Unternehmen – wollen wir eine Umsatzsteuerbelastung letztendlich nur beim Endkunden, also beim Konsumenten, erzielen. Er soll die Umsatzsteuer zahlen. Das funktioniert so, dass der Unternehmer, der von einem anderen Unternehmen etwas erwirbt, die Umsatzsteuer, die er an dieses zahlt, als Vorsteuer wieder erstattet bekommt und nur die Umsatzsteuer abführt, die er wiederum dem nächsten Unternehmer in Rechnung gestellt hat. Das bedeutet eben: Der Unternehmer, der liefert, muss die Umsatzsteuer abführen, und ein anderer Unternehmer kann dann die gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen.

Das Problem ist nun, dass das zwei verschiedene Personen sind, und das kennen wir aus einer anderen Situation, nämlich aus den Cum/Ex-Fällen. Hier wird dann auch etwas erstattet,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was nie geleistet worden ist!)

was nie gezahlt wurde, wenn das Karussellgeschäft funktioniert. Herr Kollege De Masi hat auch darauf hingewiesen: Das geschieht zumeist grenzüberschreitend. Stellen Sie sich Folgendes vor: Ein Unternehmer aus den Niederlanden verkauft Mobiltelefone – es sind meistens leichte, aber sehr werthaltige Waren; früher waren es häufig Mobilfunktelefone – in die Bundesrepublik Deutschland. Das nennt man „innergemeinschaftliche Lieferung“, bei der keine Umsatzsteuer anfällt. Der Unternehmer in Deutschland verkauft die Mobiltelefone weiter an den nächsten Unternehmer. Der Unternehmer, der die Umsatzsteuer abführen müsste – der erste in Deutschland –, wird das nicht tun. Das ist letztendlich Betrug, aber er tut es nicht. Das ist meistens ein Missing Trader, ein verschwundener Unternehmer; der wird später nicht mehr da sein. Diese Kette geht letztendlich so lange – Sie können das ganz lange so weitermachen –, bis die Mobilfunktelefone wieder in den Niederlanden gelandet sind, und im Ergebnis fehlen dann einmal 19 Prozent Umsatzsteuer.

Das Perfide an der ganzen Situation ist, dass es sogar Unternehmen geben kann, die an dem Karussell teilnehmen, obwohl sie gar keine Fahrkarte für dieses Karussell gekauft haben. Sie wissen gar nicht, dass sie dabei sind, und befinden sich dann in dieser Situation. Darum müssen wir überlegen, wie wir dieses Problems Herr werden. Wir werden weiterhin nationale Maßnahmen ergreifen müssen. Wichtig ist aber, dass wir auch europäisch eine Lösung finden. Die Kommission hat ja schon im Jahre 2017 Vorschläge unterbreitet. Dabei geht es um das Bestimmungslandprinzip, um zertifizierte Steuerpflichtige. Diese Dinge werden wir uns ansehen.

Die Zusammenarbeit in Europa ist besser geworden. Wir haben das Mehrwertsteuerfrühwarnsystem TNA, woran sich die Bundesrepublik Deutschland, nachdem nun die Rechtsgrundlagen dafür geschaffen worden sind, auch beteiligen wird, und wir haben eine Datenbank beim Bundeszentralamt für Steuern, auf die die Finanzämter bei Betrugsfällen zugreifen können. Da läuft also eine ganze Menge, und von daher sind wir auf einem guten Wege.

Wir müssen aber weitergehen. Wir haben verfahrensrechtliche – Bußgelder – und materiell-rechtliche Maßnahmen ergriffen. Ich will sie nicht alle aufzählen, aber ich nenne zum Beispiel die Umsatzsteuernachschau, die wir eingeführt haben. Dadurch haben die Finanzämter die Möglichkeit, ziemlich zeitnah zu prüfen und Scheinunternehmen aufzudecken.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch noch was zu den EU-Vorschlägen!)

Das Entscheidende ist: Wir haben die Möglichkeit genutzt und in § 13b Umsatzsteuergesetz das Reverse-Charge-Verfahren eingeführt, was eben das Problem, das ich eingangs geschildert habe – dass der eine die Umsatzsteuer abführen muss und der andere sie erstattet bekommt –, aushebelt. Man führt das zusammen. Die Steuerschuld liegt dann beim Leistungsempfänger. Er führt die Umsatzsteuer nicht an den leistenden Unternehmer, sondern an das Finanzamt ab und hat gleichzeitig die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs. Wir bringen die Dinge also zusammen.

Leider ist es derzeit nicht möglich, dieses Verfahren in Europa generell einzuführen. Tschechien macht einen Probeversuch. Es gibt gewisse Kriterien, nach denen man das beantragen kann. Diese Kriterien der Mehrwertsteuersystemrichtlinie wird die Bundesrepublik Deutschland – das ist jedenfalls meine Auffassung – derzeit nicht erfüllen können. Deshalb ist es gut, dass wir dort, wo wir Probleme erkennen – siehe § 13b UStG –, entsprechende Regelungen vornehmen. Zuletzt waren es die Ökozertifikate. Wir haben auch einen sogenannten Schnellreaktionsmechanismus eingeführt, sodass wir ganz schnell reagieren können, wenn Betrugsfälle in diesen Bereichen auftreten. Von daher haben wir, glaube ich, eine ganze Menge gemacht.

Herr De Masi hat die Dinge vorgetragen, die uns ein Sachverständiger in der Anhörung vom 15. Januar 2020 genannt hat. Dort wurde auch die monatliche Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen bei Neugründungen genannt. Das ist der Regelfall. Im Bürokratieentlastungsgesetz III haben wir diesbezüglich eine begrenzte Ausnahmemöglichkeit eingeführt, um zu beobachten, ob das zu Missbräuchen führt. Hier befinden wir uns in einem Zwiespalt in Bezug auf die Bürokratie. Einerseits wollen wir Start-up-Unternehmen entlasten. Andererseits müssen wir die Sicherheit schaffen, dass die Umsatzsteuereinnahmen fließen. Darum haben wir diese Übergangsfrist eingeführt und werden wir uns das angucken.

Ganz spannend finde ich folgenden Punkt – das ist auch der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte –, den der Sachverständige aus München angeführt hat: die gesetzliche Normierung der Erteilung und der Entziehung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern. Es war mir nicht klar, dass das so ist. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir denjenigen, die mit einer solchen Identifikationsnummer durch die Gegend laufen, aber für Missbrauchsfälle bekannt sind, diese Nummer entziehen können. Das werden wir tun.

Ich freue mich wirklich auf eine hoffentlich weiterhin sachliche Debatte im Finanzausschuss, und ich glaube, wir können da etwas Gutes erreichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)