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Dr. Matthias Zimmer: "Es darf keine Gewinne ohne Gewissen geben"

Rede zur Regelung und Prüfung von Lieferketten

Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den frühen 80er-Jahren fiel mir das Buch „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas in die Hände. Besonders beeindruckt hat mich damals die Idee, dass man die Ethik der Nächstenliebe durch eine Ethik der Fernstenliebe ersetzen müsse, die eine Fernverantwortung beinhalte. Nur so werde man der Tatsache gerecht, dass Sozialbeziehungen und Schadensbeziehungen auseinanderklaffen.

Die Globalisierung hat diese Betrachtung noch einmal deutlich unterstrichen. Wir sind in globale Kontexte eingebettet, unser Handeln hat Konsequenzen in weit entlegenen Regionen der Welt. Das betrifft auch unser Konsumverhalten. Mit unseren Käufen unterstützen wir indirekt Kinderarbeit in Kobaltminen, Arbeit unter unwürdigen oder gefährlichen Bedingungen, ausbeuterische Arbeit. Die Produkte sind nicht unschuldig, sondern sie tragen mitunter die Schande ihrer Entstehung in sich; wir wissen es nur häufig nicht.

Die Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen. Das ist keine Erfindung von mir, sondern steht so beispielsweise in der Verfassung des Freistaats Bayern und in der Hessischen Verfassung. Dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll, steht bekanntlich im Grundgesetz. Unzweifelhaft lässt sich der Begriff des Gemeinwohls aber nicht mehr nur nationalstaatlich fassen, wenn wir an die Menschenrechte denken. Sie sind universal, und wir haben darum eine Verpflichtung, Verletzungen der Menschenrechte anzuprangern, unsere Stimme zu erheben. Wir haben eine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass dort, wo wir Einfluss nehmen können, Menschenrechte nicht verletzt werden.

Das gilt auch für die Wirtschaft und wird dort zunehmend auch so gesehen. Joe Kaeser hat beispielsweise unlängst einmal geschrieben, das Geschäft des Unternehmens sei es, der Gesellschaft zu dienen, also nicht den Shareholdern, sondern der Allgemeinheit. Und das tut man am besten dadurch, dass man keine Gewinne mit Menschenrechtsverletzungen macht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, bis hierhin sind wir uns weitgehend einig. Das ist auch der Geist, der die UN-Prinzipien zur Wirtschaft und zu den Menschenrechten prägt. Gewinne ohne Gewissen, das geht nicht.

Die Fragen, die wir debattieren, lauten: Was ist der beste Weg, um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in den Wertschöpfungsketten, in den Lieferketten zu erfüllen? Reicht es aus, an die Verantwortung der Unternehmen zu appellieren, an die Kraft der öffentlichen Meinung, oder müssen wir die Unternehmen notfalls in die Haftung dafür nehmen, was in ihren Lieferketten passiert – durch ein Gesetz, wie in anderen Ländern auch?

Im Gegensatz zu den Grünen glaube ich allerdings nicht, dass es jetzt schon an der Zeit ist, ein solches Gesetz zu beschließen. Der Kollege Kekeritz hat ja freundlicherweise darauf hingewiesen, dass wir in unseren Parteitagsbeschlüssen gesagt haben, dass wir entschlossen sind, dieses Thema weiterzuverfolgen. – Im Übrigen, lieber Kollege Kekeritz: Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass man die CDU-Parteitagsbeschlüsse liest und dann noch Mitglied der Grünen sein kann. Da muss man doch vor Begeisterung sagen: Wir gehen auf die gute Seite der Macht; da ist es doch viel interessanter.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Er schwankt schon!)

Vielleicht wäre es ganz sinnvoll, lieber Kollege Kekeritz, diesen Parteitagsbeschluss mal dem Kollegen Schwabe zu geben, damit er keinen Zweifel daran hat, dass wir von der Union unseren Minister mit all der nötigen Sorgfalt und Power unterstützen,

(Marianne Schieder [SPD]: Da haben wir gerade was anderes gehört!)

um ein solches Gesetz am Ende dann auch durchsetzen zu können, genauso wie es die SPD mit ihrem Minister macht.

(Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD] – Frank Schwabe [SPD]: Wenn das die Haltung der Union ist, dann bin ich ja zufrieden!)

– Das war jetzt ironisch, Herr Kollege Schwabe.

Ich habe gesagt: Wir haben noch keinen Anlass, ein solches Gesetz zu beschließen; denn wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, zunächst einmal die Überprüfung des Nationalen Aktionsplans abzuwarten. Wenn sich dabei herausstellt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreichend ist, dann müssen wir tätig werden – nicht nur als nationaler Gesetzgeber, sondern auch im europäischen Rahmen. Ich glaube, dass die deutsche Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr eine gute Chance ist, auch dieses Thema anzustoßen.

Da es auch erwähnt worden ist: Weil die beiden zuständigen Minister – der Minister Heil und der Minister Müller – tatsächlich bereits ein Eckpunktepapier in Arbeit haben und das in absehbarer Zeit vorstellen wollen, bin ich sehr gespannt darauf, ein Bild davon zu bekommen, wie man sich dieses Gesetz gegebenenfalls vorstellen kann.

Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt: Vor dem Gesetz kommt die Prüfung, ob die freiwillige Selbstverpflichtung ausreicht. – Ich finde, auch darauf müssen sich die Unternehmen in Deutschland verlassen können, aber sie sollten auch die Entschlossenheit der Bundesregierung nicht unterschätzen, den Nationalen Aktionsplan ernst zu nehmen und die menschenrechtliche Verantwortung in den Lieferketten notfalls auch gesetzlich zu verankern. Es darf keine Gewinne ohne Gewissen geben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)