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Dr. Joachim Pfeiffer: Seit 2005 sind wir in einer positiven Spirale

Rede zum Jahreswirtschaftsbericht 2019

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Jahreswirtschaftsbericht ist immer eine gute Gelegenheit, zu Beginn eines Jahres innezuhalten und festzustellen, wo wir stehen, was die Herausforderungen sind und was wir tun wollen. Unzweifelhaft ist es so, dass wir dieses Jahr ins zehnte Jahr des Aufschwungs gehen. Wachstum bleibt Wachstum. Wenn das Wachstum 1 Prozent beträgt, dann würden wir uns vielleicht mehr wünschen, aber es bleibt trotzdem Wachstum, und die Richtung stimmt.

(Enrico Komning [AfD]: In der DDR vielleicht!)

Was ist der Anker dieser positiven Entwicklung und dieses Wachstums? Das ist nach wie vor der Arbeitsmarkt.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)

Der Bundesminister hat es angesprochen: Über 45 Millionen Menschen sind in Lohn und Brot. Nach den Progno­sen werden in diesem Jahr fast 400 000 hinzukommen. Dies sind gegenüber dem Tiefstand von 2005 fast 8 Millionen Menschen mehr in Lohn und Brot.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist der Grund, weshalb es uns heute so gut geht und weshalb wir auch weiterhin Wachstum haben. Vor 15 Jahren war es so, dass wir mehr Arbeitslose hatten. Mehr Arbeitslose bedeuten: weniger Steuereinnahmen, mehr Ausgaben in der Sozialversicherung, eine negative Spirale. Seit 2005 sind wir in einer positiven Spirale. Mehr Arbeitnehmer, mehr Menschen in Lohn und Brot zahlen mehr Steuern, zahlen mehr in die Sozialversicherung, und wir können die Abgaben senken, wir können auch bei den Steuern entlasten. Damit schaffen wir Luft, dass Wachstum entsteht. Das ist die erfolgreiche Glücksspirale, die wir in den letzten 15 Jahren in Gang gesetzt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Aufschwung kommt auch bei den Menschen an. Ich muss sagen: Ich bin heute beglückt. Klaus Ernst erkennt zum ersten Mal an, dass unsere Politik in die richtige Richtung geht und dass die Menschen mehr in der Tasche haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Missverständnis!)

Noch vor einem Jahr hat er hier an selber Stelle gesagt: Es ist alles schlecht, die Menschen bekommen nicht mehr ab. – In der Tat ist es anders: Die Reallöhne steigen wie schon lange nicht mehr, und zwar in allen Bereichen.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wegen Ihnen? Wegen der Gewerkschaften, nicht wegen Ihnen!)

Und wenn die Reallöhne steigen, dann steigen auch die Renten. Dann haben auch die Menschen, die früher gearbeitet haben, mehr in der Tasche. Unsere Politik ist, dass die Menschen durch produktivitätsorientiertes Wachstum mehr in der Tasche haben und nicht durch staatliche Willkür.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb sage ich an der Stelle auch ganz klar: Wir sind die Hüter der Tarifautonomie. Wir wollen produktivitätsorientierte Lohnerhöhungen, die die Tarifpartner aushandeln, nicht staatliche Willkür. Deshalb müssen wir bei staatlichen Eingriffen vorsichtig sein. Einen staatlich festgesetzten Mindestlohn von 12 Euro werden wir nicht mitmachen. Wir haben den Mindestlohn eingeführt und haben eine Kommission, die diesen entsprechend festsetzt.

(Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Herr Ernst will meine Redezeit verlängern. Ich bin gerne bereit.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Ernst, Sie erhalten Gelegenheit für eine Zwischenbemerkung oder Zwischenfrage.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er möchte uns jetzt wieder loben! Aber nicht so doll!)

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Dann ist es nicht so langweilig. – Herr Pfeiffer, ja, ich habe durchaus anerkannt, wie die wirtschaftliche Entwicklung ist.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ah!)

Aber jetzt sind wir auch auf Probleme aufmerksam geworden. Zu denen haben Sie nichts gesagt. Die Kollegen aus den Reihen Ihres Koalitionspartners weisen darauf hin, dass wir ein Problem mit der Tarifbindung haben. Sie sagen: Die Tarifbindung ist wichtig. – Wir erleben aber Unternehmen, die die Tarifbindung aufgeben. Wir erleben Unternehmerverbände, die akzeptieren, dass es Verträge ohne Tarifbindung gibt, also eine Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung. Damit entsteht ein Problem, insbesondere bei den Beziehern von geringen Einkommen. Jetzt kann man sich natürlich loben und sich auf die Schulter klopfen nach dem Motto „Dem Unterbewusstsein ist egal, wer es macht“. Aber ich möchte gerne wissen: Wo sind jetzt eigentlich Ihre Vorschläge, mit denen wir genau dieses Problem bewältigen, damit möglichst alle Menschen in unserem Land, auch die Bezieher unterer Einkommen, auch die 20 Prozent mit niedrigem Einkommen, an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben können? Und wäre es nicht auch ein Element eines zusätzlichen Wachstumsschubs, wenn es uns gelingen würde, auch die Bezieher der unteren Einkommen tatsächlich am Wirtschaftswachstum, an der positiven Entwicklung zu beteiligen?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):

Herr Kollege Ernst, das ist in der Tat völlig richtig. Aber das erreicht man nicht durch staatliche Lohnfestsetzung, sondern das erreichen wir, indem wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Beteiligung entsprechend verbessert wird.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Funktioniert doch nicht!)

Wir haben es in den letzten 15 Jahren durch verbesserte Rahmenbedingungen für Familien geschafft, dass die Frauenerwerbstätigkeit deutlich zugenommen hat. Wir müssen – auch das hat der Minister angesprochen – die Erwerbsbeteiligung der Älteren weiter erhöhen. 2005 war es in der Tat so, dass über 60-Jährige kaum im Arbeitsmarkt waren. Ich glaube, es waren unter 30 Prozent. Heute sind 80 Prozent der 55- bis 65-Jährigen im Arbeitsmarkt. Das heißt: Wir dürfen die Menschen nicht mit falschen Anreizen aus dem Arbeitsmarkt drängen, sondern wir müssen die Fachkräfte im Arbeitsmarkt halten. Dann wird Wirtschaftswachstum möglich, und dann haben wir produktivitätsorientiert auch die Möglichkeit, über Tarifverhandlungen weitere Arbeitskräfte in Lohn und Brot zu bringen. Das ist der richtige Ansatz. Das ist die richtige Wirkungskette. Davon losgelöst mit staatlicher Willkür staatliche Mindestpreise oder Mindestlöhne vorzugeben, ist falsch. Das gilt auch im Ausbildungsbereich, wo wir gerade hart darum ringen, dass hier die Mindestlöhne nicht so hoch sein dürfen. Ich bin nicht der Meinung, dass der Staat der bessere Unternehmer und der bessere Tarifgeber ist. Vielmehr machen das bei uns nach wie vor die Tarifpartner, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, in dem dafür vorgesehenen Rahmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich vielleicht noch kurz analysieren, wo wir stehen. Das hat noch keiner, glaube ich, heute angesprochen. Seit 2002 liegt unsere Verschuldung über den Maastricht-Kriterien. In diesem Jahr werden wir zum ersten Mal seit 2002 unter 60 Prozent kommen. Das schafft Spielraum für staatliches Handeln in der Zukunft, und es schafft Spielraum, wenn es vielleicht mal nicht mehr so gut läuft. Seit 2014, jetzt also das fünfte Jahr in Folge, bauen wir Schulden ab und nehmen keine neuen Schulden auf. Jahrzehntelang haben wir beklagt, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Seit die Union hier das Zepter übernommen hat, sind wir – ich gehe davon aus, dass auch unser Koalitionspartner mitgeht – auf dem richtigen Weg: Schulden abbauen statt Schulden aufbauen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber bei aller Freude ist das Wetterleuchten in der Tat ja nicht zu verkennen. Der Außenbeitrag war lange Zeit der Motor unseres Wachstums. In diesem Jahr erwarten wir, dass der Außenbeitrag mit minus 0,3 Prozent negative Impulse setzt. Den stärksten Impuls für das Wachstum von 1 Prozent, das wir dieses Jahr haben, setzen wir selber mit unserer Politik. Das ist auf der einen Seite gut. 10 Milliarden Euro für Familien, mehr für Infrastruktur, mehr für Innovation, mehr für Digitalisierung: Die Investitionen im Bundeshaushalt sind seit 2013 um über 50 Prozent, in diesem Jahr um, ich glaube, knapp 55 Prozent auf 40 Milliarden Euro gestiegen. Das ist gut.

Aber das allein kann uns nicht glücklich machen, wir müssen auch dafür sorgen, dass wir den Welthandel wieder in Balance bringen, dass wir die Hüter des Freihandels sind, dass wir die internationalen Institutionen wie die Welthandelsorganisation lebensfähig erhalten, dass wir die Partner in der Welt, die mit uns Freihandel treiben wollen, zusammenbringen, eine Koalition der Willigen von Japan über Neuseeland, Australien und Europa bis nach Südamerika. Das ist der Weg, den wir gehen wollen, um das Wachstum auf eine weitere Säule zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt erhalten und dürfen sie nicht weiter beschränken. Wir müssen die Fachkräftezuwanderung verbessern. Wir müssen auf dem Kapital- und Finanzmarkt für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Herr Kollege Bartol, wir sollten uns sehr genau anschauen, was andere in der Welt machen, wie dort die Unternehmensteuern gestaltet sind. Wir brauchen ein wettbewerbsfähiges Steuersystem und wettbewerbsfähige Steuersätze in Deutschland. Sonst wird die Glücksspirale, die ich zuvor beschrieben habe, gefährdet. Auch hier müssen wir die richtigen Ansätze verfolgen. Wir müssen Bürokratie abbauen. Das Wettbewerbsrecht wurde bereits angesprochen. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir nicht auch auf europäischer Ebene eine Ministererlaubnis brauchen, sodass wir zum Beispiel im Verkehrsbereich – ein Zukunftsthema – einen europäischen Champion, der auf globaler Ebene mitmischen kann, ermöglichen können. Der Breitbandausbau wurde schon angesprochen.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Herr Kollege Pfeiffer, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):

Herr Präsident, ich nehme es zur Kenntnis.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt viel zu tun. Wachstum fällt nicht vom Himmel. Lassen Sie uns in diesem Jahr die Weichen richtig stellen, sodass wir bei der Diskussion über den Jahreswirtschaftsbericht im nächsten Jahr sagen können: Im Jahr 2020 gehen wir mit neuem Wachstum in das elfte Jahr des Aufschwungs.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)