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Dr. Carsten Linnemann: Wir müssen jeden tag daran arbeiten, das Überbrückungsprogramm besser zu machen

Redebeitrag zum Einzelplan 09 - Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Vielen Dank. – Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie in der Geschichte unseres Landes hat es eine Situation gegeben, wo wir so viele Regeln der sozialen Marktwirtschaft für eine gewisse Zeit ausgesetzt haben. Beim Lockdown gab es Situationen, wo wir die Berufsfreiheit für einige Bereiche der Wirtschaft faktisch aussetzen mussten. Und es war richtig, dass wir das gemacht haben, weil keiner von uns wusste, wie es um dieses Virus bestellt ist. Deswegen hat die Regierung richtig gehandelt, indem sie Teile der Haftung faktisch übernommen hat – mit Zuschussprogrammen, mit Überbrückungsprogrammen, ja, auch mit KfW-Krediten, mit dem Kurzarbeitergeld, mit Rettungsschirmen für Kreditversicherer, aber auch mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.

Fakt ist: Dieser Weg musste gegangen werden, weil wir uns sonst nicht nur geärgert hätten, sondern diese Fehler nicht mehr hätten wettmachen können. Wir haben nämlich in dieser Krise an unserer Wirtschaftsstruktur festgehalten, an unserem Industriekern, an den Strukturen, an der dualen Ausbildung. Überall sind wir punktuell unterwegs gewesen, um unsere Wirtschaftsstruktur, um die wir weltweit beneidet werden, nicht in Gefahr geraten zu sehen. Genau das war richtig.

Fakt ist aber auch: Wir wissen heute nicht, ob wir das Schlimmste überstanden haben. Ja, das ist eine Wahrheit. Es sind immer noch 3,5 Millionen bis 4 Millionen Menschen in Kurzarbeit, und aus Kurzarbeit kann schnell Arbeitslosigkeit werden. Und ja, es gibt viele Firmen, es gibt auch Krisengewinner, denen es jetzt richtig gut geht. Aber es gibt auch viele andere. Ich kann das für meine Fraktion sagen, weil wir tagtäglich – bei aller Kritik aus den anderen Fraktionen – mit diesen Branchen und mit den Menschen in unseren Wahlkreisen und überall in Deutschland reden. Ich habe heute noch mit vielen Veranstaltern gesprochen. Wir reden mit den Kulturschaffenden, wir reden mit den Dienstleistern, wir reden mit den Messebauern, wir reden mit den Hoteliers, die sich auf Geschäftskunden konzentrieren. Das sind genau diejenigen, die das Gefühl haben, sie stünden am Abgrund. Sie wissen, dass wir diese Pandemie haben. Sie wissen, wie schwierig es ist. Sie sind faktisch auf einem Bötchen unterwegs, verbrennen ihr Eigenkapital und wissen nicht, wann das Ufer kommt. Deswegen, ja, müssen wir jeden Tag daran arbeiten, dieses Überbrückungsprogramm besser zu machen. Und in der letzten Woche wurde es überarbeitet, und zwar signifikant. Wir müssen jetzt schauen, wie das funktioniert, und jeden Tag daran arbeiten, dass es besser wirkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zur Ehrlichkeit gehört auch, Frau Bluhm-Förster: Die Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen – das muss angesprochen werden – wird ab heute wieder scharfgestellt, die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen hingegen nicht.

(Heidrun Bluhm-Förster [DIE LINKE]: Problematisch!)

Das finde ich auch richtig. Wer sich verschuldet aufgrund eines KfW-Kredits, muss diese Zeit bekommen.

Fakt ist auch, dass es Unternehmen gibt, denen es schon vor der Krise nicht so gut ging. Es sind viele Zombie-Unternehmen entstanden. Auch hier muss soziale Marktwirtschaft funktionieren. Hier werden wir Insolvenzen sehen.

Richtig ist ferner – auch das wurde angesprochen –: Es gibt viele Bereiche, wo wir einen Transformationsprozess haben, einen Strukturwandel. Da muss die Politik den Rahmen setzen für vernünftige Wettbewerbsbedingungen. Wir dürfen keine Steine in den Weg legen. Wir müssen entlasten, am besten nicht subventionieren. Manche reden hier ja so – den Eindruck habe ich –, als ob sie Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens sind und versuchen, der Wirtschaft zu erklären, wie sie diesen Strukturwandel zu meistern hat. Nein, das kann die Politik nicht, und das muss man auch klar sagen. Die Branchen, die Unternehmer brauchen den Mut, diesen Strukturwandel auch wirklich anzugehen.

Und diesen Mut brauchen wir in der Politik auch. Wir brauchen den Mut, erstens, in der Klimapolitik die europäische Ebene zu suchen. Wir müssen den Emissionshandel ausweiten auf die Bereiche Verkehr und Wärme, und zwar nicht erst 2030, sondern vorher und ambitioniert. Hier sollten wir mehr Europa wagen.

Wir brauchen zweitens Mut für fiskalische Stabilität. Schulden auf Kosten zukünftiger Generationen zu machen, ist nicht mutig; das kann jeder. Mutig ist, wenn wir sagen: Ab 2022 sollten wir mit dem Geld der Steuerzahler wieder auskommen. – Das ist auch das Ziel der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir brauchen drittens Mut, Leistung anzuerkennen, nicht nur – ich will gar nicht dagegensprechen – mit 1 000 oder 1 500 Euro Bonus, den wir einmal im Jahr auszahlen, sondern mit einer dauerhaft wirkenden Steuerreform, mit der wir gerade kleine und mittlere Unternehmen entlasten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Viertens. Wir brauchen den Mut, etwas Neues auszuprobieren. Wir Abgeordneten kennen das: Es kommt jemand mit einer Idee, ein Bürger oder wer auch immer, und wir sagen dann häufig: „Geht nicht, weil ...“. Ich finde, die Krise hat gezeigt: Wir müssen mehr ausprobieren. Wir müssen sagen: „Es geht, weil …“.

Wir haben beim Thema Homeoffice gesehen – über die Möglichkeit haben wir hier jahrelang diskutiert –, dass es geht. Ich finde, wir sollten in Deutschland mehr ausprobieren; wir sollten den Mut dazu haben.

(Zuruf des Abg. Timon Gremmels [SPD])

Und wir sollten auch mehr Experimentierklauseln – das ist ja auch ein Punkt, den Peter Altmaier unterstützt – in unseren Gesetzen verankern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und wenn das Experiment gelingt, dann sollten wir diese Regel in Deutschland ausrollen. Das ist Mut, das brauchen wir, und dazu steht diese Fraktion.

Fünftens, letzter Punkt: Ja, wir brauchen den Mut zum Freihandel. Die EU spricht heute von strategischer Autonomie. Ausverhandelte Freihandelsabkommen werden eben nicht ratifiziert. Wir brauchen ein weltoffenes Land, und wir Deutschen, auch wir in unserer Fraktion, stehen auf und sagen: Wir sind gegen Protektionismus, und wir sind für einen regelbasierten Freihandel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kurzum: Das sind die Wochen der Wahrheit; es sind aber auch die Wochen der Chance. Mit mehr Mut können wir sie nutzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)