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Dr. André Berghegger: Negativzinsen haben ein Ziel: Sie sollen die Banken animieren, mehr Geld an die Unternehmen auszugeben

Redebeitrag zur EZB-Politik

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Hollnagel, ich habe mir im Vorfeld nicht nur Ihren Antrag durchgelesen, sondern auch Ihre Veröffentlichungen zu dem Thema. Sie werden sich nicht wundern, wenn ich dezidiert und aus voller Überzeugung etwas anderer Meinung bin.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Enrico Komning [AfD]: Das dürfen Sie ja!)

Der wesentliche Inhalt des Antrags der AfD-Fraktion, den wir jetzt hier debattieren, ist die Kritik an den negativen Zinsen auf Einlagen im Euro-System. Sie werfen der EZB Kompetenzüberschreitung vor und der Bundesbank Grundrechtsverstöße. Sie fordern mit Ihrem Antrag die Bundesregierung auf, die Bundesbank aufzufordern, deutsches Recht einzuhalten und keine Negativzinsen zu erheben, und die Geschäftsbanken sollen den Kunden die Negativzinsen erstatten. Wenn das mal so einfach wäre!

Ja, in der Situationsbeschreibung gebe ich Ihnen recht: Wir haben eine seit Jahren andauernde Niedrigzinsphase mit gravierenden und zum Teil negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft, auf die Finanzwirtschaft, auf die öffentlichen Haushalte und – was wahrscheinlich am schwersten wiegt – auf die privaten Sparer. Das finde ich auch nicht gut, und ich würde mir wünschen, dass die Phase der Niedrigzinsen vorbeigeht und dass wir eine Abkehr von der expansiven Geldpolitik vollziehen. Aber diese Situation ist nun mal kein Wunschkonzert, und sie ist nicht so trivial und vor allen Dingen nicht so eindimensional, wie Sie es verkünden und hier vorhin erneut vorgetragen haben. Wir befinden uns in einer seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Rezession, und das müssen wir bei der Analyse natürlich berücksichtigen.

Ich möchte Ihnen drei Gründe oder Gedanken nennen, warum ich finde, dass Ihr Antrag nicht so gut ist:

Erstens: das Timing. Der Zeitpunkt ist äußerst ungünstig. Es sind sich doch alle einig: Bei den politischen Kraftanstrengungen kommt es derzeit darauf an, dass die Wirtschaft sowohl in Deutschland als auch in Europa wieder anfährt und unterstützt wird. Und genau jetzt diskutieren Sie die Streichung von Negativzinsen. Aber Negativzinsen haben doch ein Ziel: Sie sollen die Banken animieren, mehr Geld an die Unternehmen auszugeben und es nicht zu parken. Dadurch soll die Wirtschaft angekurbelt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ihr Antrag gefährdet genau diesen Gedanken und erzeugt das Gegenteil.

Zudem – das haben Sie verschwiegen – sieht dieser Antrag, wie ich finde, einen deutlichen Eingriff in die geschäftspolitischen Entscheidungen der Banken – das ist gar nicht so trivial – und vor allen Dingen – das steht in deutlichem Widerspruch zu dem, was Sie sagen – einen Eingriff in die Unabhängigkeit der Banken vor. Das machen wir natürlich nicht mit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der zweite Gedanke. Die EZB hat doch ein Ziel: Sie hat ein Mandat; sie möchte Preisstabilität gewährleisten und, soweit das dabei möglich ist, die Wirtschaftspolitik unterstützen. Die EZB stellt aktuell fest, dass das Zusammenwirken von Geld- und Fiskalpolitik, wie wir es in verschiedensten Bereichen unterstützen, eine positive Wirkung auf die Wirtschaft und die Erholung der Wirtschaft hat. Eine verfrühte Verschärfung aller Finanzierungsbedingungen könnte die wirtschaftliche Erholung gefährden. Diese Gefahr verstärken Sie durch Ihren Antrag, und das können wir nicht zulassen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Wirtschaft sich wieder erholt und wir aus dieser Spirale herauskommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Alice Weidel [AfD]: Genau! Negativzinsen!)

Der dritte Gedanke. Die Negativzinsen sind eine Möglichkeit im Werkzeugkasten der Geldpolitik. Aber Sie verschweigen, dass es auch viele andere Elemente gibt, die Einfluss auf die Niedrigzinsphase haben. Ich nenne Ihnen drei:

Die Demografie. Mit zunehmendem Alter setzt man auf Sicherheit, weniger auf Rendite. Man spart mehr, als dass man investiert, um für das Alter vorzusorgen.

Ich nenne die Digitalisierung. Die neue Wertschöpfung ist nicht mehr so kapitalintensiv, wie wir sie bisher in der Industrie mit ihren Anlagen und Maschinen kannten, die immer wieder erneuert und ersetzt werden mussten

Ich nenne Ihnen als dritten Gedanken den natürlichen Zins. Dieses Phänomen wird seit Jahrzehnten diskutiert und ist auch sicherlich nicht leicht zu berechnen. Aber in der Tendenz sind sich doch alle einig: Der natürliche Zins geht seit Anfang der 80er-Jahre zurück, und spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise verharrt er auf einem außerordentlich niedrigen Niveau. Das ist nicht nur bei uns so; das ist weltweit, in vielen entwickelten Volkswirtschaften festzustellen. Es ist kein Phänomen, das nur in der EU, und kein Phänomen, das nur in Deutschland auftritt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Durch das Streichen von Negativzinsen können Sie die Niedrigzinsphase nicht mal eben so beheben. Das ist schon etwas komplexer und differenzierter zu sehen.

Vor allen Dingen: Nur durch eine von der Politik unabhängige EZB, nur durch eine von der Politik unabhängige Bundesbank kann eine wirksame Geldpolitik mit dem Ziel der Preisstabilität gewährleistet werden. Daran wollen wir uns ausrichten. Und der Streit über Begrifflichkeiten, wer hier in unserem Gemeinschaftssystem wen wie auffordern darf oder wie eine Summe rechtlich zu kategorisieren ist, vernebelt das Ganze. Das führt uns nicht weiter. Ich glaube, Politik tut sehr gut daran, sich jetzt hier zurückzuhalten und nicht in das Bankensystem einzugreifen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Zu guter Letzt: Die Verfassungsmäßigkeit oder die Vereinbarkeit mit europäischem Recht wird einzig und allein durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof festgestellt; und das ist auch gut so. Aber es steht natürlich jedem frei, der klagebefugt ist, sich gegen Negativzinsen zu wenden. Mir ist nach heutigem Stand aber weder eine Geschäftsbank noch eine Notenbank noch ein Bankenverband bekannt, der sich hiergegen wendet. Natürlich finden die das zum Teil nicht schön. Aber es hat sich bisher keiner dagegen gewendet, keiner hat vor, Negativzinsen zu beklagen. Deswegen, glaube ich – der Bankenverband hat das auch gesagt; er ist in dieser Situation sehr, sehr zurückhaltend –, gibt es in der Summe verschiedenste Gründe, gute und sachliche Gründe, Ihren Antrag abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])