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Carsten Linnemann: Was wir vor allem brauchen, ist Freiraum

Haushaltsgesetz 2018 - Rede zum Einzelplan 09 - Wirtschaft und Energie

Herzlichen Dank. – Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Bezug nehmen auf die ersten Redner aus der Opposition. Die Beschreibung des Status quo ist aus volkswirtschaftlicher Sicht objektiv gesehen falsch. Das hat mit der volkswirtschaftlichen Situation nichts zu tun. Mir jedenfalls ist aus den letzten Jahren und, soweit ich gelesen habe, aus den letzten Jahrzehnten nicht bekannt, dass wir eine so lange Wachstumsphase gehabt haben. Wir haben die Situation, dass die Kapazitätsauslastung in der Industrie über Monate und zum Teil über Jahre hinweg bei knapp 90 Prozent liegt. Der Auftragseingang ist hoch. Die Kämmerer von Kommunen sprechen mich an, dass sie kaum noch Ausschreibungen durchführen, weil sie keine Handwerker finden, und der eine Handwerker, der sich meldet, ruft einen Preis auf, der 20 oder 30 Prozent oberhalb des Marktpreises liegt. Gehen Sie auf die Hannover Messe. Dort erfahren Sie, wie der Mittelstand aufgestellt ist. Ich bin der Letzte, der nicht über die Probleme der Zukunft reden will. Aber ich bitte darum, ein realistisches Bild über den Status quo der Volkswirtschaft in Deutschland zu zeichnen. Dann können wir gerne über die Zukunftsthemen streiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Folgendes Thema kommt meiner Meinung nach zu kurz: Ja, wir reden über einen Haushalt mit Ausgaben in Höhe von 341 Milliarden Euro; davon fließt übrigens über die Hälfte in den Sozialstaat. Wir dürfen aber nicht so tun, als ob das unsere Leistung wäre. Die 341 Milliarden Euro fallen auch nicht vom Himmel, sondern sie werden von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern in diesem Lande erwirtschaftet. Nur durch ihre Leistungsbereitschaft ist das möglich. Das muss einmal ausgesprochen werden. Wir dürfen nicht so tun, als ob wir das Geld generiert haben. Wir müssen klar sagen: Wir entscheiden hier über Geld, das durch die Leistungsbereitschaft der Menschen draußen im Land generiert wurde, von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Arbeitgebern und den Steuerzahlern. Ihnen gebührt unser Lob und Dank. Das sollte an dieser Stelle auch einmal ausgesprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir reden über Entlastung. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob der Begriff „Entlastung“ überhaupt richtig ist; denn das Geld gehört doch den Steuerzahlern. Aber dann müssen wir natürlich auch über Beiträge reden. Lassen Sie mich ein Beispiel herausgreifen, über das in den letzten Tagen diskutiert wird: die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Die Bundesagentur für Arbeit schwimmt im Geld. Wir stehen heute vor einer ganz anderen Situation als beim Abschluss des Koalitionsvertrages. Deshalb sollten wir so ehrlich sein und darüber nachdenken, ob es nicht richtig ist, noch weiter zu entlasten – auch im Bereich Weiterbildung zu investieren, liebe SPD, da haben Sie völlig recht –, und zwar nicht nur um 0,3 Prozentpunkte, sondern um mindestens 0,5 Prozentpunkte. Das entspricht einer Entlastung von 6 Milliarden Euro. Wie gesagt: Das ist nicht unser Geld, sondern das ist das Geld der Beitragszahler, und dort gehört es auch hin.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Macht doch!)

– Ich bin dran.

Natürlich hilft die aktuelle Zinssituation.

(Zuruf von der AfD: Wem denn?)

Sie hilft dem Bundeshaushalt; das ist doch klar.

(Beatrix von Storch [AfD]: Und was ist mit dem Sparer?)

Aber trotzdem nutzt die Bundesregierung die Situation nicht aus und haut einfach Geld raus, so wie es manche im Süden Europas machen.

(Zuruf von der AfD: Sehr richtig!)

Auch ich weiß, dass es gefährlich ist, wenn es zu lange künstlich niedrige Zinsen gibt. Das zeigt auch die Geschichte. Deshalb ist die zentrale Frage: Wie können wir uns in der jetzigen Niedrigzinsphase für den Fall wappnen – dieser Fall wird kommen –, dass die Zinsen wieder steigen, damit es, gelinde gesagt, nicht zu Komplikationen kommt? Da setzt dieser Haushalt an. Deswegen finde ich es richtig, dass wir mehr als 50 Prozent des Wirtschaftshaushalts für Innovationen ausgeben, für Bildung, für Forschung, für Entwicklung und für neue Technologien. Das ist genau der richtige Weg.

Das ZIM-Programm, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ist eines der erfolgreichsten Programme. Sie haben völlig recht: Dieses Programm müssen wir weiter ausbauen. Das ist auch unser Plan; meine Kollegen werden gleich noch etwas dazu sagen. Dieses Programm ist im Vergleich zu vielen anderen Projekten relativ bürokratiearm. Schon nach drei Monaten wird entschieden.

Die Mittel für die Digitale Agenda werden mehr als verdoppelt. Auch das ist ein zentrales Thema. Nehmen Sie nur die Mikroelektronik, die ein wichtiges Thema bei der Digitalisierung ist. Die Mittel dafür erhöhen wir von 50 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro. Wir unterstützen die Grundlagenforschung. Darum geht es im Kern.

Eins ist klar: Was wir vor allem brauchen, ist Freiraum, Freiraum für die Unternehmer, für die Start-ups, für den Mittelstand, für Kreativität, für Innovationen.

(Reinhard Houben [FDP]: Herr Linnemann, gehören Sie der Koalition an oder der Opposition?)

Apple und Google sind doch nicht entstanden, weil Washington irgendwelche Regulierungen vorgenommen hat oder eine spezifische Förderung für diese Firmen aufgelegt hat, sondern weil diese Firmen Freiraum hatten. Genau diesen Freiraum müssen wir organisieren. Diese Debatten dürfen wir nicht scheuen. Wenn ich mit jungen Gründern rede, dann sagen die mir: Natürlich brauchen wir Arbeitszeitgesetze in den Bereichen Industrie, Produktion usw.; aber dort, wo es um Kreativität geht, da müsst ihr uns mehr Freiraum geben. – Deswegen haben wir einiges zum Thema Arbeitszeitgesetz festgeschrieben. Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin, die dieses Thema gestern beim Deutschen Gewerkschaftsbund angesprochen hat. Dabei geht es nicht um die Ausweitung der Arbeitszeit, sondern um mehr Flexibilität im Sinne der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber.

Die Debatten über diese Themen müssen wir jetzt, in dieser Niedrigzinsphase, führen, damit es uns auch morgen noch gut geht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)