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Steffen Bilger: Wir haben schon heute genügend U- und S-Bahnen, die zu den Hauptverkehrszeiten überfüllt sind

Rede zu Chancen des kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehrs

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich kann sagen: Den Vorschlag, kostenlosen ÖPNV einzuführen, kann man ja durchaus einmal prüfen. Das ist als Versuch in bestimmten Kommunen in Ordnung. Aber aus meiner Sicht ist es nicht sinnvoll, einen kostenlosen ÖPNV im gesamten Bundesgebiet einzuführen, noch nicht einmal in jeder der von den Problemen bei der Luftreinhaltung besonders betroffenen Kommunen. Schließlich haben wir schon heute genügend U- und S-Bahnen, die zu den Hauptverkehrszeiten überfüllt sind. Auch die internationalen Erfahrungen sind ja durchaus durchwachsen.

Die Debatte über dieses Thema zeigt auch: Individuelle kommunale Lösungen sind das Beste. Der Oberbürgermeister oder der Gemeinderat einer Stadt weiß doch jeweils selbst am besten, wo man vor Ort ansetzen muss. Manche Städte haben zu lange gebraucht, bis sie sich mit dem Problem Luftreinhaltung konkret beschäftigt haben. Aber nun sind doch alle mit Hochdruck dabei, Lösungen zu erarbeiten.

Gerade weil kommunale Lösungen das Beste sind, lehnen wir auch die vorhin wieder geforderte blaue Plakette ab. Die Einführung der blauen Plakette würde bedeuten, dass Millionen von Fahrzeuge blaue Aufkleber bekommen müssten, aber auch, dass Millionen von Fahrzeuge eben keinen blauen Aufkleber bekommen würden. Höchstwahrscheinlich würde es im Zug der Einführung der blauen Plakette zu ganzjährigen Fahrverboten kommen – für Millionen von Autofahrern. Sollte es zu individuellen kommunalen Fahrverboten kommen, könnten diese zeitlich begrenzt werden. Mit Einführung der blauen Plakette hingegen wäre ein ganzjähriges Fahrverbot für Fahrzeuge ohne diese verbunden; sie wäre damit die schlechtere, unverhältnismäßige Alternative. Zudem, meine Damen und Herren, würde die Einführung einer blauen Plakette den Wertverlust bei vielen Autos noch einmal verschärfen. Das sind gute Gründe, weshalb wir gegen die Einführung der blauen Plakette sind.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da wir nun alle entschlossen an der Einhaltung der Grenzwerte arbeiten, brauchen wir in zwei oder drei Jahren hoffentlich in keiner einzigen Stadt mehr über Fahrverbote nachzudenken.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege Bilger, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Steffen Bilger (CDU/CSU):

Sehr gerne.

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Sie haben eben gesagt, einige Städte hätten nicht genug getan. Die Bundeskanzlerin hat sich ebenso geäußert. Der ehemalige Verkehrsminister Dobrindt von der CSU hat auch darauf verwiesen, dass die Städte zu wenig getan hätten. Ich habe es so in Erinnerung, dass es nicht die Städte waren, die der deutschen Automobilindustrie den Betrug haben durchgehen lassen, dass es nicht die Städte waren, die sich gegen effektive Abgaskontrollen und eine Hardwarenachrüstung gewehrt haben, sondern dass es allein die Bundesregierung war. Die Einzigen, die etwas für den Radverkehr und den Nahverkehr getan haben, waren die Städte. Geben Sie mir da recht?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach Ja sagen! Möglichst ganz schnell!)

Steffen Bilger (CDU/CSU):

Frau Kollegin, ich habe gerade ausgeführt, dass die individuellen kommunalen Lösungen das Richtige sind. Die Städte sind untereinander nicht miteinander vergleichbar. Düsseldorf ist nicht mit Stuttgart vergleichbar. Alle anderen betroffenen Städte sind auch nicht so ohne Weiteres miteinander vergleichbar.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Bilger, wir hätten auch ein Ja genommen!)

Ich darf einmal in Erinnerung rufen: Als wir das Elektromobilitätsgesetz eingeführt haben, haben leider viele Kommunen von den Möglichkeiten, die zu ihren Gunsten geschaffen wurden, keinen Gebrauch gemacht. Es hätte doch in vielen dieser 70 noch betroffenen Städte deutlich früher mehr passieren müssen. Da kann ich auch die Landeshauptstadt Stuttgart anführen, die lange gebraucht hat, um die nötigen konkreten Maßnahmen für eine nachhaltigere Mobilität anzugehen,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist halt wiedergewählt worden als Bürgermeister!)

um die Feinstaub- bzw. Stickoxidprobleme zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Steffen Bilger (CDU/CSU):

Von Herrn Krischer besonders gerne.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Bilger, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ehrlich gesagt, finde ich es ein Stück weit zynisch, was Sie hier von sich geben.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

Denn 70 Prozent der Stickoxidbelastung in unseren Innenstädten stammt von Diesel-Pkws. Die Belastung durch Diesel-Pkws ist deshalb so hoch, weil die Automobilindustrie getrickst und betrogen hat und weil Ihre Bundesregierung das zugelassen hat und seit drei Jahren überhaupt nichts unternommen hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Verantwortung dafür jetzt auf die Kommunen zu schieben, ist wirklich das Allerletzte, weil nicht sie dafür die Verantwortung tragen.

Es müsste jetzt vielmehr endlich geschehen, dass sich Ihre Bundesregierung – die alte und jetzt die neue Große Koalition – darum kümmert, dass die Autoindustrie verpflichtet wird, den Fehler, den sie durch Tricksen und Betrügen gemacht hat, auf ihre Kosten durch Nachrüstungen zu reparieren. Das kann nicht bei Millionen Dieselfahrern und nicht bei den Kommunen abgeladen werden. Das ist, ehrlich gesagt, ein Unding, was Sie hier von sich geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Steffen Bilger (CDU/CSU):

Herr Krischer, da haben Sie mich wieder einmal falsch verstanden, vielleicht deswegen, weil Sie nicht richtig zugehört haben. Ich schiebe in keiner Weise die komplette Verantwortung auf die Kommunen. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass sich einige Kommunen sehr lange Zeit gelassen haben, die Probleme bei der Luftreinhaltung anzugehen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bundesregierung hat es bis heute nicht getan!)

Ich glaube, das ist eine Tatsache, die sich nicht bestreiten lässt.

Jeder muss seiner Aufgabe nachgehen. Das heißt natürlich, dass wir als Bund Verantwortung tragen genauso wie die Länder und auch die Automobilindustrie. Daran müssen wir sie selbstverständlich immer wieder erinnern. Jeder sollte jedoch an seiner Stelle arbeiten, damit die Grenzwerte eingehalten werden und wir die Probleme bei der Luftreinhaltung lösen.

Zu den Beispielen, die heute schon in der Debatte genannt worden sind, will ich ein weiteres aktuelles hinzufügen; es geht um das Stuttgarter Neckartor. Im Januar und Februar 2017 gab es 31 Grenzwertüberschreitungen beim Feinstaub. Jetzt, im Januar und Februar 2018, gab es aktuell 11 Grenzwertüberschreitungen. Zulässig sind 35 Grenzwertüberschreitungen im Jahr. Im Jahr 2017 waren es am Stuttgarter Neckartor insgesamt 45. Das Problem Feinstaub ist also in Stuttgart hoffentlich bereits in diesem Jahr gelöst. Auch bei den Stickoxiden wird die Situation immer besser.

Meine Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgericht hat ein Urteil gefällt, das uns vor große Herausforderungen stellt. Es hat aber auch ein Urteil gefällt, das den Freunden schneller Fahrverbote nicht gefallen kann; denn es gibt keine sofortigen Fahrverbote. Das Verwaltungsgericht hat gesagt: Die Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Die Situation von Anwohnern und Gewerbetreibenden muss besonders berücksichtigt werden.

Im Koalitionsvertrag haben wir uns auf den Umgang mit dem Thema „Fahrverbote und Luftreinhaltung“ verständigt. Im Übrigen, Frau Hendricks, steht im Koalitionsvertrag nichts von der blauen Plakette. Was haben wir festgehalten? Klar, wir wollen Fahrverbote vermeiden. Wir wollen die Luftreinhaltung verbessern. Wir werden die Kommunen weiter unterstützen. Dazu wird auch das nötige Geld zur Verfügung stehen. Wir werden den ÖPNV ausbauen. Wir prüfen Nachrüstungen der Hardware. Im Übrigen wird bereits bei Dieselbussen die Hardware nachgerüstet. Es wird weitere Förderprogramme für nachhaltige Mobilität geben; die Elektromobilität wird einen massiven Schub bekommen. Und wir werden Möglichkeiten schaffen, dass Länder und Kommunen verbindliche Vorgaben und Emissionsgrenzwerte erlassen können für den gewerblichen Personenverkehr wie Busse, Taxen, Mietwagen, Carsharingfahrzeuge sowie für Lieferdienste. Wir setzen also dort an, wo es besonders viel Sinn macht.

Meine Damen und Herren von den Grünen, was Sie mit der Deutschen Umwelthilfe veranstalten, ist ein Kampf der Vergangenheit. Mir ist es lieber, die Zukunft zu gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)