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Michael Kießling: "Wir stehen vor großen Herausforderungen im Bereich des Wohnungsbaus"

Rede zur Reduzierung von Bauvorschriften

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hemmelgarn, nachdem ich Ihnen zugehört habe, bin ich nicht sicher, ob Sie Ihren Antrag selber gelesen haben. Aber dazu kommen wir später noch mal.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Beim Neubau eines Gebäudes gibt es sehr viele Anforderungen: Die Architektur soll sich in die Umgebung einfügen. Das Gebäude soll Wohnraum schaffen, es soll Lebensraum schaffen. Es gibt verschiedene Anforderungen aus der privaten Marktwirtschaft, aber auch gesetzliche Anforderungen.

Doch wie steht es um den Klimaschutz, um den Einbau moderner, ressourcenschonender Techniken unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Kosten? Wir alle wissen, dass die Anforderungen vielseitig sind. Dazu gehören beispielsweise die Bauvorschriften, deren Zahl Sie, liebe AfD, mit Ihren Anträgen reduzieren wollen.

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Für Sie bedeuten Vorschriften vor allem regulatorischen Wildwuchs. Für mich bedeutet Ihr Antrag vor allem eines: AfD – Ahnungslosigkeit für Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zurufe von der AfD: Ha, ha, ha! – Frank Pasemann [AfD]: Super! Klasse Wortspiel! Wahnsinn!)

Oft verwenden Sie Begrifflichkeiten, die klar aufzeigen, dass Sie nicht wissen, wovon Sie reden, beispielsweise im ersten Antrag, Seite 3 – ich zitiere –:

Eine Außerkraftsetzung der EnEV würde demgegenüber zu einer spürbaren Senkung der Baukosten und zu verstärkten Investitionen in den Neubau von Wohnungen führen. Ein vergrößertes Angebot an Wohnungen würde dann ohnehin dazu führen, dass sich Mieter sehr wahrscheinlich für die energetisch besseren Wohnungen entscheiden würden, nicht zuletzt im Hinblick auf die geringeren Heizkosten.

(Frank Pasemann [AfD]: Sie müssen sich überhaupt erst mal für eine Wohnung entscheiden können!)

Übersetzt bedeutet das für mich: Sie wollen Wohnungen mit schlechter Qualität bauen, in denen später keiner leben will. Die Sinnhaftigkeit Ihres Antrags erschließt sich mir leider nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Martin Hebner [AfD])

Gleiches gilt für Ihren Wissensstand bezüglich des Klimapaketes; denn die CO2-Preise – Sie sprechen vom Heizen – werden nicht vom Vermieter bezahlt, sondern über die Energiepreise finanziert. Also wird nichts vom Vermieter umgelegt.

Ein weiterer Klassiker aus dem Tal der Ahnungslosen. Sie sagen es selbst: Die Baubranche befindet sich am Kapazitätslimit. – Wie erklären Sie uns dann bitte Ihre Forderungen nach mehr Bautätigkeit, nach mehr Wohnungen, und das alles mit nur einem Lösungsansatz, der Deregulierung des Baurechts?

(Martin Hebner [AfD]: Gar nicht! Wir sind nicht die Regierung! Das müssen Sie erklären!)

Ihr Antrag glänzt vor allem mit Eindimensionalität. Fest steht, dass wir vor großen Herausforderungen im Bereich des Wohnungsbaus stehen. Die Reduzierung der Zahl der Vorschriften greift viel zu kurz. Klar ist: Es wurden in der Vergangenheit viel Bürokratie und viele Anforderungen rund ums Bauen aufgebaut, aus den unterschiedlichsten Gründen.

(Martin Hebner [AfD]: Richtig!)

Ich nenne nur die Mantelverordnung, Stichwort: Entsorgung von Oberboden. Das ist nicht optimal, und dass es Stilblüten gibt, wissen wir alle.

Aber kurz zu Ihrem Beispiel, zu den Auflagen im Bereich des Umweltschutzes. Warum schaffen wir das Gebäudeenergiegesetz? Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und der Klimaschutz schließen sich nicht per se aus, wie Sie von der AfD das vermuten.

Erstens wollen wir vereinfachen. Das Nebeneinander unterschiedlicher Regelwerke hat zu Schwierigkeiten in der Anwendung geführt. Das Gebäudeenergiegesetz führt das Energieeinsparungsgesetz, die Energieeinsparverordnung und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz in einem neuen Gesetz zusammen. Wir entbürokratisieren also schon, fassen zusammen. Daher gilt für die Errichtung neuer Gebäude künftig ein einheitliches Anforderungssystem, in das Energieeffizienz und erneuerbare Energien integriert sind.

Zweitens wollen wir das Anforderungsniveau für Neubauten und Sanierungen mit dem Klima- und Umweltschutz harmonisieren. Dabei ist es für uns entscheidend, dass Bauen und Wohnen nach wie vor erschwinglich bleiben. Bezahlbar ist in der Regel alles – die Frage ist, von wem.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dieses Gesetz bildet einen wichtigen Baustein der Energiewende.

Zudem möchte ich auf eine weitere Sache aufmerksam machen, liebe AfD: Die Überprüfung der Bauvorschriften – auf Grundlage der Ergebnisse der Baukostensenkungskommission – ist bereits Bestandteil der im Rahmen des Wohngipfels 2018 beschlossenen Maßnahmen. Dieser Prozess wird fortwährend durchgeführt. Die erneute Forderung in Ihrem Antrag ist nicht nur realitätsfern; sie ist schlichtweg von gestern.

Daher nochmals kurz zum Mitschreiben: Bereits im November 2019 fand ein erstes Treffen zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Bau- und Wohnungswirtschaft, Bauplanern und Bauproduktherstellern sowie technischen Regelsetzern statt. Sie werden in diesem Jahr erste Ergebnisse, insbesondere Erkenntnisse zu den Folgekosten von Regulierungen und Normen, bekannt geben. Über den Verlauf dieser Arbeit hat das BMI im vergangenen Dezember im Bauausschuss berichtet. Ich glaube, Sie sind dort auch vertreten. Dabei wurde klar kommuniziert: Der Bund ist nicht allein Gesetzgeber und Regelsetzer. – Die genauen Verantwortlichkeiten sind der AfD aber scheinbar nicht bekannt.

Sie sollten vielleicht einmal die bestehenden Projekte und Maßnahmen besser im Blick haben, bevor Sie einen neuen Antrag verfassen. Dass man über Entbürokratisierung sprechen muss, ist das eine. Sie macht das Bauen einfacher. Sie erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, dass schneller gebaut wird und damit Druck vom Wohnungsmarkt genommen wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die gesamte Branche schon jetzt auf Hochtouren arbeitet und die Kapazitäten ausgelastet sind. Da hört sich Ihre Idee von Entbürokratisierung und Kostensenkung erst mal sehr interessant an, bietet aber keine ausreichende Grundlage für erschwinglichen Wohnraum.

Wir haben als Koalition den Grundstein für die größte Wohnraumoffensive gelegt, die es je von einer Bundesregierung gab. Dazu gehören unter anderem die Novellierung des Baugesetzbuches, die Erhöhung des Wohngeldes oder die Einführung des Baukindergeldes – alles, um das Wohnen erschwinglicher zu machen. Hätten Sie beispielsweise gestern aufgepasst, wüssten Sie, welche Chancen die Digitalisierung für die Baubranche bringt, um günstiger, schneller und effektiver zu bauen. Dieser gesamtheitliche Ansatz fehlt mir in Ihrem Antrag.

Ich fasse zusammen: Sie wollen mehr bauen; Sie wollen Wohnungen bauen, in denen man nicht leben will, und das mit Baufirmen, die es nicht gibt, aber dafür eigentlich auch keine Zeit haben. Daher, liebe Kollegen: Wenn Sie sich das nächste Mal mit dem Thema Wohnungsbau beschäftigen,

(Udo Theodor Hemmelgarn [AfD]: Ich mache das täglich!)

tun Sie dies mit etwas mehr Tiefgang und Weitblick.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)