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Karsten Möring: "Wir sind doch nicht die Besserwisser der Welt"

10 Jahre nach dem GAU von Fukushima

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Jahren hat ein Erdbeben einen Tsunami in Japan ausgelöst, der eine große Katastrophe mit vielen Tausend Toten zur Folge hatte. Wir gedenken dieser Toten heute; Frau Kotting-Uhl hat es gesagt. Aber wir gedenken ihrer nicht wegen der Größe dieses Tsunamis; denn dann müssten wir auch der Toten des viel größeren Unglücks 2004 gedenken. Gegen Naturgewalten ist niemand gefeit.

Aber dieses Ereignis hatte eine andere Katastrophe zur Folge, die nichts mit einer Naturgewalt zu tun hat, sondern die auf menschliches Versagen zurückgeht: die Zerstörung mehrerer Kernkraftwerksblöcke in Fukushima. Sie hatte zwar nicht Tausende von Toten zur Folge, aber Hunderttausende von Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden und bis heute in provisorischen Unterkünften leben, ohne Aussicht darauf, in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Dieses Ereignis kam nicht überraschend; es hatte eine lange Vorgeschichte von vielen anderen Unglücken. Ich erinnere an die Teilkernschmelze in Harrisburg im Jahr 1979, an Tschernobyl im Jahr 1986, ein noch viel größeres Unglück, und dann Fukushima im Jahr 2011. In allen Fällen war menschliches Versagen die Ursache. Was an Fukushima so besonders war, ist die Tatsache, dass es in einem Hochtechnologieland, das eine Ingenieurskunst beherrscht, die unserer gleichgestellt ist, zu einem solchen Unglück kam. Hinterher fragt man sich: Wieso rechnet man nicht damit, dass so etwas passieren kann, wenn man ein Kernkraftwerk an der Küste baut? – Das ist unser Problem. Wir sind offensichtlich nicht in der Lage, alle Varianten zu durchdenken und auszuschließen, dass wir eine Technologie, die tatsächlich ein hohes Risiko birgt, mit hinreichender Sicherheit kontrollieren können.

Welche Schlussfolgerungen hat die Welt, haben wir aus diesem Ereignis gezogen? Die Welt hat daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass die Sicherheitsansprüche an Kernreaktoren immer höher geschraubt wurden, was zur Folge hatte, dass sie immer teurer wurden. Ob die Rechnung von Frau Kotting-Uhl jetzt genau stimmt oder ungefähr,

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Doch!)

spielt gar keine Rolle. Die Größenordnung der Stromerzeugungskosten durch Kernkraft hat eine Dimension erreicht, die nicht konkurrenzfähig ist, vor allen Dingen nicht, wenn man den Lebenszyklus einer solchen Anlage vor Augen hat. Wir haben daraus die Schlussfolgerung gezogen, aus der Stromerzeugung durch Kernenergie auszusteigen. Am Ende dieses Jahres werden wir diesen Ausstieg vollendet haben; denn dann wird das letzte Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Nächstes Jahr!)

Aus diesem Anlass legen die Grünen hier einen Antrag vor. Ich will auf die Ziele, die Forderungen im Einzelnen nicht eingehen. Aber was in den Überlegungen dazu zu Papier gebracht worden ist, hat mich wirklich erschüttert.

(Beifall der Abg. Judith Skudelny [FDP])

In dem Antrag wird ein bestimmter Typus von Mensch angesprochen, der offensichtlich empfänglich dafür ist, mit Kernkraft Strom zu erzeugen, und die Verbindung hergestellt, dass dieser Typus von Mensch Macht und Unabhängigkeit hochstellt, die er glaubt durch Atomenergie zu erwerben. Eine andere Stelle: Lobbyisten und Länder, die sich von diesen haben einfangen lassen, versuchen, die Atomenergie weiterzuschreiben.

Liebe Kollegen von den Grünen, solche psychologischen Überlegungen mögen richtig oder falsch sein.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Aber ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie damit unsere Nachbarländer für doof erklären,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

weil sie die Argumente, mit denen wir in Deutschland unsere Politik begründen, nicht auch nutzen? Unsere Nachbarn und Freunde in Frankreich, in England, in Holland, in Polen, in den USA sind doch nicht so blöd; die haben doch einen Grund und bewerten anders als wir. Wir sind doch nicht die Besserwisser der Welt.

(Gerold Otten [AfD]: Doch, doch! Da sitzen sie!)

Wir müssen die Welt nicht mit dem, was wir machen, beglücken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Wir können doch nicht verlangen, dass andere das genauso machen müssen, damit wir zufrieden sind. Wir sind souveräne Länder und können uns gegenseitig beeinflussen – das ist richtig –, aber mit Rücksichtnahme. Diesen missionarischen Ansatz, andere nahezu zu zwingen, unsere Politik nachzumachen, halte ich unter Freunden für unvertretbar.

(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben genug Baustellen, die wir noch bearbeiten müssen: die Endlagerung, die Finanzierung über den KENFO, der eine gute Arbeit macht und mit dem angelegten Geld gute Ergebnisse erzielt. Ich will auch darauf hinweisen: Wir haben in der 16. Atomgesetznovelle Ansprüche von Firmen geregelt, die auf die Produktion von Strom verzichten müssen. Wir haben dieses Gesetz damals mit großen Bauchschmerzen beschlossen – ich erinnere an die Debatte, die wir hier geführt haben –, und das Verfassungsgericht hat dieses Gesetz für nicht existent erklärt.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren nicht Bauchschmerzen! Das war Populismus!)

Ich erwarte vom Umweltministerium, dass es diese Fragen beantwortet, bevor dieses Jahr zu Ende geht. Ich wünsche dem BMU dabei viel Glück, mehr Glück, als es beim letzten Mal hatte, als ich gemeint habe: „Das Problem wird nicht gelöst“, und es wurde nicht gelöst. Jetzt ist es an der Zeit.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stillstand hat einen Namen!)

Ich wünsche Frau Ministerin Schulze viel Glück dabei – vielleicht sagt ihr das jemand –, dieses Problem zu lösen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Judith Skudelny [FDP])