Skip to main content

Dr. Michael von Abercron: Das Gebiet ist die zentrale Grundlage für vielfältiges Leben

Rede zum Meeresschutzgebiet im Weddellmeer der Antarktis

Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren Gäste auf den Tribünen! Weddellmeer – wer konnte sich eigentlich etwas darunter vorstellen? Ich glaube, bei einer entsprechenden 1 000- oder 10 000-Euro-Frage wäre so manch einer gescheitert. Ich gebe zu, dass auch ich selber nicht gewusst habe, um welchen geografischen Ort es sich handelt: Liegt es irgendwo am Steinernen Meer, oder liegt es beim Steinhuder Meer?

Nein, meine Damen und Herren, wir reden tatsächlich über ein Gebiet, das weit weg von uns ist, und wir haben einen Antrag vorliegen, der im Wesentlichen drei Besonderheiten hat: Er ist ein interfraktioneller Antrag, es geht um ein Gebiet – das habe ich eben schon gesagt –, das wenigen von uns geläufig ist und das die Allerwenigsten von uns jemals gesehen haben, außer im Fernsehen, und wir reden über einen Kontinent, der 14 500 Kilometer von uns entfernt und normalerweise selten Thema im Bundestag ist.

Die Durchschnittstemperatur beträgt dort minus 55 Grad; es ist also relativ kalt. Das Weddellmeer liegt – jetzt machen wir ein bisschen Geografie – im nordwestlichen Teil des Kontinents Antarktika; so heißt er offiziell. Ich hoffe, dass dieses Thema, obwohl es um ein polares Gebiet geht, heute nicht polarisiert; aber ich habe das Gefühl, das tut es nicht. Ich bitte um eine breite Zustimmung zu diesem Antrag. Ich bedanke mich bei der Kollegin Frau Lemke, die unsere gemeinsame Arbeit im Hinblick auf diesen Antrag koordiniert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Ziel ist es, die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu unterstützen, dieses Gebiet als internationales Schutzgebiet einzustufen. Wir haben seine Größe gehört: Es ist fünfmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, 1,8 Millionen Quadratkilometer. Unser Ziel ist sehr ambitioniert, weil es dort – auch das ist sicherlich eine spannende Frage – auch Nutzungskonflikte gibt, insbesondere beim Thema Fischerei.

Wozu ist der Schutz eigentlich notwendig? Wir haben schon viel über die besondere Biodiversität dieses Gebietes gehört. Es wird von Wissenschaftlern häufig mit Korallenriffen verglichen, weil es dort so viele Arten gibt. Das Besondere ist, dass es in einem Kaltgewässer liegt. Dieses Gebiet ist die zentrale Grundlage für vielfältiges Leben. Es gibt dort viele Robben, Wale, Sturmvögel und Kaiserpinguine.

Für all dieses Leben ist eine Art von besonderer Bedeutung, nämlich der Krill. Wie Sie wissen, ist der Krill eine Garnelenart, etwa 6 Zentimeter groß, und er wird inzwischen leider zu einem großen Teil von großen internationalen Fangflotten aus Russland, Korea oder China gefangen. Alle mögen diesen Krill gerne. Wofür wird er gebraucht? Er wird zur Herstellung der berühmten Omega-3-Fettsäuren gebraucht, die mancher aus dem Drogeriemarkt kennt und die in der westlichen Welt gerne zu sich genommen werden.

Ein anderer wichtiger Fisch dort ist der Antarktische Seehecht, der auch in den angrenzenden Gewässern vorkommt. Er soll eine große Delikatesse sein und ist inzwischen auch sehr begehrt. Die Beliebtheit bei den Fischern hat erheblich zugenommen. Inzwischen werden 30 000 Tonnen pro Jahr gefangen – zum Teil auch illegal. Diese sehr lukrative Wilderei muss gestoppt werden. Ich habe gehört, dass ein Fang von 1 500 Tonnen einen Wert von etwa 67 Millionen Euro hat. Sie sehen, mit welchen wirtschaftlichen Interessen wir es hier zu tun haben.

Was noch ganz besonders ist: Die Antarktischen Seehechte können Glykoproteine herstellen. Sie kennen das Thema Glykol vielleicht noch aus einer anderen Diskussion, die wir hier hatten. Die Fische brauchen eben keinen Schnaps zu trinken, wenn es kalt ist, sondern sie können diese Glykoproteine selber herstellen. Das ist eine ganz tolle Sache. Diese Antarktischen Seehechte sind natürlich auch ein ganz wichtiger Baustein der Nahrung für die Orcawale bei deren Aufzucht. Auch daran merkt man, wie sehr das Ganze vernetzt ist.

Mit einer stetig wachsenden Weltbevölkerung steigt natürlich überall der Verbrauch an Fisch und all dem – 90 Millionen Tonnen pro Jahr –, was aus dem Meer gewonnen wird. Deswegen müssen wir alles tun, um gerade auch diese Region vor Überfischung zu schützen.

Vorbild für diese Unterschutzstellung ist das Rossmeer, das schon 2016 von der Internationalen Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze in der Antarktis, der 24 Mitgliedstaaten angehören, unter Schutz gestellt wurde. Das war ein guter Anfang, und ich glaube, wir wollen versuchen, dass das mit dem Weddellmeer noch weitergeht. Wenn wir das nicht schaffen würden, hätte das gravierende Auswirkungen – wir haben es gesagt – auf die Nahrungskette, auf die Biodiversität, aber auch auf diese besonderen Arten, die kälteangepasst leben und dort einen Rückzugsraum brauchen.

Warum sollte die Weltgemeinschaft die Verantwortung gerade für diese abgelegene Region übernehmen? Die bisher kaum belasteten Gebiete sollten in einem möglichst natürlichen Zustand bleiben. Die Biodiversität ist unter den vorherrschenden extremen Bedingungen einmalig. Die Besonderheiten bieten auch den Forschern – auch aus Deutschland sind welche dort – einen besonderen Referenzstandort für die schwierige Klimaforschung.

Unser Bundesminister Schmidt hat einmal sehr richtig gesagt:

Das Meeresschutzgebiet soll allein der wissenschaftlichen Forschung vorbehalten bleiben und die internationale Kooperation auf diesem Gebiet stärken. Beides bildet die Säulen des Antarktisvertrages. Es ist unsere historische Aufgabe, einzigartige Ökosysteme wie die Antarktis zu schützen.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Insofern bin ich froh, dass wir eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen haben, die dort tätig sind, unter anderem das Alfred-Wegener-Institut, das Forschungsschiff „Polarstern“, das gerade zurückgekommen ist, und auch die Forschungsstation Neumayer III, die in der Region forscht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, dass wir das durchkriegen und dass die 24 Mitgliedstaaten positiv entscheiden – wir brauchen hier eine Einstimmigkeit – und keine kalten Füße kriegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)