Thorsten Frei: Wir brauchen in dieser Situation pragmatische Lösungen
Rede zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist darauf hingewiesen worden, dass sich seit März das gesellschaftliche Leben, das Freizeitleben, Gewohnheiten und auch das Gemeinschaftserlebnis, das wir von Kultur- und Sportveranstaltungen gewohnt waren, grundlegend verändert haben. Wir sind hier mit Herausforderungen konfrontiert, bei denen es nicht ausreicht, Herr Professor Maier, Rechtssätze gegeneinanderzustellen; vielmehr brauchen wir in dieser Situation, in der reihenweise Insolvenzen von Veranstaltern unmittelbar bevorstehen, pragmatische Lösungen. Es geht also nicht darum, in Schönheit zu sterben, sondern es geht darum, pragmatische, nützliche Lösungen herbeizuführen, die auch zeitlich befristet sind.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht zulasten der Verbraucher!)
Natürlich hat derjenige, der vor dem 8. März eine Konzertkarte oder eine Eintrittskarte oder eine Dauerkarte für eine Sportveranstaltung gekauft hat – und diese Veranstaltung findet nicht statt –, nach den Regularien unseres Zivilrechts einen Anspruch auf Rückerstattung der Leistung; das ist ja richtig. Das ersetzen wir jetzt durch einen Wertgutschein. Dass diese Regelung Kritik hervorruft, haben wir schon in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes erlebt: Den einen geht die Regelung nicht weit genug; sie sagen: Wir müssen weitere Gruppen mit einbeziehen. Und den anderen geht sie zu weit; sie sagen: Das ist ein zinsloses Darlehen; es ist nicht gegen Insolvenz abgesichert;
(Katharina Willkomm [FDP]: Richtig! – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Sie geht am Kunden vorbei!)
es ist kein Äquivalent für die Eintrittskarte. Ja, das stimmt: Es ist auch eine Zumutung für Verbraucherinnen und Verbraucher.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Risiko liegt bei den Verbrauchern!)
Und trotzdem muss man abwägen. Worum geht es denn? Auf der einen Seite geht es um Eintrittskarten, die einen Wert haben im zweistelligen oder niedrigen dreistelligen Eurobereich. Das Geld ist ausgegeben; deswegen gerät keiner in finanzielle Not.
(Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das wissen Sie jetzt schon?)
Was fehlt, ist die kulturelle Gegenleistung. Das ist der Punkt. Und dann muss man schauen, was dem gegenübersteht. Dem steht gegenüber, dass davon auszugehen ist, dass innerhalb kürzester Zeit reihenweise Veranstalter in die Insolvenz fallen würden. Das wäre die Konsequenz. Man kann den Anspruch anmelden, in die Insolvenztabelle aufgenommen zu werden, und bekommt am Ende auch nichts.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Thorsten Frei (CDU/CSU):
Ja, bitte schön.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie sagten eben: Das sind ja alles kleine Beträge. – Jetzt gibt es aber Familien – vierköpfige, fünfköpfige Familien –, die darauf sparen, gemeinsam eine größere Unternehmung zu machen, und Tickets kaufen. Diese Familien leiden zurzeit massiv unter den Einschränkungen der Coronakrise; manche sind in Kurzarbeit oder Ähnliches.
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Härtefallklausel!)
– Sie legen für die Härtefallklausel ja keine Regelbeispiele fest. – Die Regelung, die Sie jetzt einführen, geht allein zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Halten Sie das tatsächlich für angemessen?
(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Gesetzentwurf lesen! Lesen bildet!)
Thorsten Frei (CDU/CSU):
Frau Rößner, Sie haben in Ihrer Frage die Antwort im Prinzip schon angelegt: Wir haben für die extremen Ausnahme- und Notfälle im Gesetzentwurf eine Härtefallregelung vorgesehen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])
Damit wollen wir die Fälle lösen, die zu sozialen Härtefällen führen würden. Wenn Sie beispielsweise als größere Familie für alle Familienmitglieder entsprechend teure Karten kaufen, dann kommen auch größere Beträge zusammen; das stimmt. Allerdings würde ich sagen, dass in der Lebenswirklichkeit die Fälle, dass jemand, der wenig Geld hat, sehr, sehr viel Geld für kulturelle oder sportliche Eintrittskarten aufwendet, doch eher selten vorkommen dürften.
(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Da sind Sie aber auf sehr dünnem Eis unterwegs! Was ist das denn?)
Wie gesagt: Wir haben dafür eine Härtefallregelung vorgesehen, die das aus unserer Sicht sehr gut abbildet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Im Übrigen geht es doch um eine Güterabwägung. Auf die eine Seite der Güterabwägung bin ich schon eingegangen; die andere Seite ist, dass gewachsene Strukturen im Kulturbereich zerschlagen werden würden. Man muss sich doch auch mal mit den Fakten auseinandersetzen. Im letzten Jahr hatte der Veranstaltungsmarkt ein Volumen von über 5 Milliarden Euro. Wenn wir jetzt nichts tun würden, dann würden die Veranstalter innerhalb von fünf Monaten mit Rückforderungen in der Höhe von etwa 4 Milliarden Euro konfrontiert werden. Allein bis Ende August müssen 100 000 bis 120 000 Kulturveranstaltungen abgesagt und abgewickelt werden.
Im Übrigen ist das nur eine Maßnahme von vielen, mit denen wir versuchen, Kultur und Unternehmen insgesamt über diese schwierige Zeit hinwegzuhelfen, beispielsweise mit Honorarausfallregelungen, mit Soforthilfen – auch für freie Orchester und Ensembles – und mit vielem anderen mehr. Wir versuchen, einen Beitrag dafür zu leisten, dass es nicht zu Insolvenzen kommt und am Ende auch die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht geschädigt werden.
Ich glaube, wir legen hier einen Gesetzentwurf vor, der die unterschiedlichen Interessen gerecht gegeneinander abwägt und deshalb nicht nur zu einem vertretbaren, sondern auch zu einem guten und in dieser Situation notwendigen Ergebnis kommt.
Die letzte Sekunde meiner Redezeit möchte ich Ihnen, liebe Frau Dr. Högl, widmen. Herzlichen Dank für die angenehme Zusammenarbeit, auch mit unserer Fraktion. Für die neue Aufgabe wünsche ich Ihnen alles, alles Gute und weiterhin viel Erfolg.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)