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Thorsten Frei: Es ist nicht in Ordnung, dass wir nur 15 Prozent der militärischen Leistungsfähigkeit Amerikas erreichen

Handlungsfähigkeit der gemeinsamen europäischen Außenpolitik verbessern – Rolle der Hohen Vertreterin stärken

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Acht Jahre Lissabonner Vertrag, acht Jahre Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa, das ist in der Tat eine gute Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, ob wir die vorhandenen Instrumentarien nachspitzen müssen, um den Herausforderungen der Zeit gerecht zu werden. Vor diesem Hintergrund geht der Antrag der FDP-Fraktion grundsätzlich in die richtige Richtung.

Schauen wir einmal, was wir in die Waagschale werfen können. Auf der Habenseite steht mit Sicherheit, dass wir gute EU-Trainingsmissionen auf dem afrikanischen Kontinent haben und dass wir gerade in den letzten Monaten im Bereich der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit wesentliche Fortschritte erzielt haben. Aber es fällt auch ins Gewicht – Graf Lambsdorff, Sie haben die Situation beschrieben –, dass wir rund um Europa mit einer Situation konfrontiert sind, in der die Welt in der Tat aus den Fugen geraten zu sein scheint, in der die liberale Weltordnung, die wir mit geprägt haben, infrage gestellt wird, in der wir uns mit einem Russland auseinandersetzen müssen, das die Souveränität der Ukraine beeinträchtigt, und in der wir uns mit autokratischen Staaten wie der Türkei oder China mit seiner klaren geostrategischen Agenda sowie mit neuen Konfliktfeldern wie dem Cyberspace befassen müssen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob wir unsere Instrumente besser anpassen müssen.

Wenn wir uns mit der Realität befassen, stellen wir fest: Wir kommen bei den wesentlichen außenpolitischen Themen nicht vor, und zwar nicht irgendwo auf der Welt, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft Europas, beispielsweise in Nordafrika oder – darüber haben wir gestern diskutiert – im Nahen und Mittleren Osten. Teilweise gibt es Herausforderungen sogar in Europa. Ich erinnere beispielsweise an den westlichen Balkan, auf dem nicht nur die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, sondern auch Türken, Araber, Chinesen und Russen mit jeweils eigener Agenda aktiv sind, die teilweise versuchen, einen Spaltpilz zwischen die europäischen Staaten zu treiben. Wir haben also ein eigenes Interesse daran, uns stärker zu engagieren und zu einer gemeinsamen Stimme zu finden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es geht um unsere Werte, unseren Wohlstand und unsere Sicherheit. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir das gemeinsam besser und effektiver verteidigen können als getrennt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür gibt es jetzt Instrumentarien. Ich würde es für gut halten, wenn wir in bestimmten Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik ein Stück weit von der Einstimmigkeit weggehen könnten, wenn es gelingen würde, gemeinsame Haltungen zu den Themen und Herausforderungen zu finden. Jetzt gilt es, den richtigen Weg dahin zu finden. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass Vertragsänderungen – genau das wäre notwendig – mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden wären.

Wir sind im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung gut vorangekommen. Warum nutzen wir Instrumentarien, die wir dafür gefunden haben, nicht auch stärker zur Bewältigung der Herausforderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik, damit wir es schaffen, Haltungen zu entwickeln, damit wir es tatsächlich auch schaffen, Konzepte entgegenzusetzen?

Es ist in der Tat mindestens belämmert, wenn wir wie am gestrigen Abend hören, wie von „Schande“ gesprochen wird, wenn wir von europäischen, von deutschen, von britischen, von französischen Politikern Konjunktive hören, wir aber letztlich dem, was in Ost-Ghuta passiert, nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Es ist gut, wenn das Auswärtige Amt sagt: Wir geben 10 Millionen Euro extra für die humanitäre Hilfe in Syrien. Aber das allein ist natürlich noch keine effektive Außenpolitik. Wir werden das nur gemeinsam schaffen, und wir müssen es auch schaffen, weil die Konsequenzen dieser Politik nicht die Russen tragen, nicht die Amerikaner und auch sonst niemand – diese Konsequenzen tragen wir. Wir haben mit islamistischen Terror in Europa zu kämpfen. Wir haben mit ungeordneter Migration zu kämpfen. Deshalb müssen wir auch Teil der Lösung sein. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein Punkt war die Frage der Einstimmigkeit oder der qualifizierten Mehrheit. Wenn wir zu Haltungen gekommen sind, müssen wir diese letztlich auch durchsetzen können, und das muss glaubwürdig passieren. Deshalb müssen wir natürlich auch berücksichtigen, dass es – ich will die Worte des Bundesaußenministers vom Wochenende verwenden – in der Tat schwierig ist, in einer Welt von Fleischfressern als einziger Vegetarier unterwegs zu sein. Auch deswegen müssen wir unsere militärischen Möglichkeiten besser ordnen. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und mehr Kooperation, weil es nicht in Ordnung ist, dass wir nur 15 Prozent der militärischen Leistungsfähigkeit Amerikas erreichen. Aber es ist eben auch richtig, dass wir Europäer zusammen weniger als die Hälfte für Sicherheit und Verteidigung ausgeben als die Amerikaner.

(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gut so!)

Insofern ist Zusammenarbeit wichtig; aber es reicht nicht aus, Magermilch und Magermilch zusammenzuschütten. Dabei kommt am Ende keine Fettmilch heraus. Dafür muss man mehr tun, da muss man mehr hineinstecken, und das sollten wir auch machen.

(Beifall des Abg. Jürgen Braun [AfD])

Ich sage das im Übrigen auch vor folgendem Hintergrund: Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Ich nehme sehr genau zur Kenntnis, was wir in Koalitionsverträge schreiben; das gilt übrigens auch für das, was zwischen den Zeilen steht. Ich nehme auch zur Kenntnis, was der Bundesaußenminister an privaten Äußerungen macht. Aber noch einmal: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Es liegt in unserer Verantwortung, dass wir diejenigen, die wir in Einsätze schicken, um unsere Sicherheit und Freiheit wo auch immer zu verteidigen, angemessen ausstatten und ausrüsten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Deshalb liegt es auch in unserer Verantwortung, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Das sollten wir ernst nehmen. Dann werden wir auch als Partner für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa, die effektiv ist, ernst genommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)