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Thorsten Frei: Ein gemeinsames Europäisches Asylsystem muss auf einem effektiven Außengrenzschutz basieren

Rede zur europäischen Flüchtlingspolitik

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Unionsfraktion ist klar: Wir stehen zu der Entscheidung der Koalition vom 8. März, dass wir als Deutschland uns im europäischen Kontext auch als Zeichen einer humanitären Geste daran beteiligen, dass kranke, minderjährige Kinder auch nach Deutschland kommen können.

(Zuruf der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE])

Wir sind damit am vergangenen Samstag gestartet.

Es ist aber durchaus richtig – Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Frau Kollegin Amtsberg, dass damit strukturell vor Ort nichts verbessert wird –, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf eine neue Qualitätsstufe heben können. Da gibt es in der Tat große Dysfunktionalitäten. Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen.

Erstens. Im Jahr 2018 sind 75 Prozent aller Schutzanträge in nur fünf europäischen Staaten gestellt worden. Proportional zur Einwohnerzahl betrachtet bedeutet das im Klartext, dass sich die Belastungen in den Mitgliedstaaten um mehr als das 300-Fache unterscheiden.

(Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])

Was bedeutet diese Asymmetrie für Deutschland? Deutschland hat seit 2015 1,8 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das entspricht mehr als 41 Prozent aller Asylanträge in der Europäischen Union. Alleine im Jahr 2016 hat Deutschland mehr Asylbewerber aufgenommen als alle anderen 27 europäischen Staaten zusammen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Na super!)

Das sollte man vielleicht einfach mal klarstellen.

Auch die Behauptung, Frau Amtsberg, die Sie heute wiederholt haben, nämlich dass Deutschland bis 2015 mit anderen europäischen Staaten bei der Bewältigung der Migrationsherausforderung unsolidarisch gewesen ist, ist eine falsche Behauptung, und sie wird durch ständige Wiederholung nicht besser.

(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Reform von Dublin blockiert! Sie haben sie immer blockiert!)

Ich will Ihnen die Fakten nennen: Seit 2010 hat Deutschland jedes Jahr mehr Asylbewerber aufgenommen, als Deutschland anteilig an der Bevölkerungszahl zugekommen wären. Italien – um ein Gegenbeispiel zu nennen – hat das exakt zweimal gemacht, und zwar in den Jahren 2011 und 2017. In den übrigen Jahren waren die Aufnahmezahlen teilweise eklatant unterdurchschnittlich. Das sind die Fakten, die man in diesem Zusammenhang auch zur Kenntnis nehmen sollte.

Der zweite Punkt. Ja, das europäische Zuständigkeitszuschreibungssystem Dublin ist in der bisherigen Ausformung gescheitert; das kann man nicht anders formulieren. Es ist tatsächlich so, dass es vor allen Dingen bürokratische Hindernisse gibt und die Verfahren verlängert werden. Schauen wir uns die Zahlen an: In ganz Europa sind nur etwa 3 Prozent der Asylbewerber tatsächlich in das Ursprungs- bzw. Zuständigkeitsland zurückgeführt worden. Auch für Deutschland war das nichts anderes als ein großes Nullsummenspiel. Wir haben genauso viele Dublin-Überstellungen veranlasst, wie wir von anderen europäischen Staaten nach Deutschland bekommen haben. Es hat also nichts gebracht.

Deswegen ist es richtig, wenn wir uns jetzt darüber Gedanken machen, wie man das weiterentwickeln kann. Wir rufen die Europäische Kommission auf, jetzt entsprechende Vorschläge auf den Tisch zu legen. Denn die deutsche Bundesregierung hat das bereits getan. Bundesinnenminister Seehofer hat mehrfach Anlauf genommen, um das Gemeinsame Europäische Asylsystem vorwärtszubringen. Erst vor wenigen Tagen hat er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Italien und Spanien einen Brief an die zuständigen Kommissare geschrieben. Wir haben das große Ziel, dass es vorwärtsgeht. Wir wollen jetzt etwas vorbereiten, das wir in der zweiten Jahreshälfte unter deutscher Ratspräsidentschaft tatsächlich zum Erfolg führen können.

Ich will an der Stelle aber auch sagen: Bei der Beurteilung der Vorschläge werden wir uns natürlich davon leiten lassen müssen, ob das im Ergebnis zu mehr oder zu weniger Asylanträgen in Deutschland führt. Denklogisch kann das nur zwei Konsequenzen haben: Zum einen brauchen wir eine solidarische Verteilung von Asylbewerbern in Europa, und zum anderen brauchen wir ein Zuständigkeitszuschreibungssystem, also ein Dublin-Nachfolgesystem, das irreguläre Migration nach Europa verhindert, das ein klares Schutzangebot für diejenigen bietet, die verfolgt sind, und an alle anderen die klare Botschaft sendet: Es gibt kein Bleiberecht in Europa; macht euch nicht auf den gefährlichen Weg hierher!

Wenn man das will – jetzt komme ich zu den Anträgen, die Linke und Grüne hier gestellt haben –, dann muss das aus meiner Sicht auf vier wesentlichen Säulen beruhen:

Erstens. Die Verteilung der Asylbewerber muss nach dem Zufallsprinzip erfolgen. Wenn sie sich aussuchen dürfen, wo sie hinkommen, wenn ein erweiterter Familienbegriff zugrunde gelegt wird, dann bedeutet das, dass die 1,8 Millionen Asylbewerber seit 2015 sich in Ankerpersonen verwandeln, die neuen Nachzug und neue Antragsteller nach sich ziehen.

(Michel Brandt [DIE LINKE]: Menschen verwandeln sich nicht in Ankerpersonen! – Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Zweitens kommt es darauf an, dass ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf einem effektiven Außengrenzschutz basiert und die Asylverfahren im Wesentlichen an den Außengrenzen stattfinden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir Sogeffekte reduzieren und dass wir nicht Menschen durch Europa bringen, die gar keine Bleibeperspektive haben.

Zum Dritten brauchen wir Staaten der ewigen Zuständigkeit.

Und viertens dürfen nur in den Staaten, die die ewige Zuständigkeit haben, entsprechende Leistungen – Unterbringungs- oder sonstige Leistungen – gewährt werden. Das ist notwendig, um Sekundärmigration zu begrenzen.

Das sind die Voraussetzungen für ein erfolgreiches, realistisches Gemeinsames Europäisches Asylsystem.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Und jetzt müssen Sie zum Schluss kommen.

 

Thorsten Frei (CDU/CSU):

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. – Das sind die Voraussetzungen. Wer wissen will, wie es nicht geht, der muss die Anträge von Grünen und Linken lesen.

Danke schön.