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Ralph Brinkhaus: Europa ist ein grandioses Projekt, alle machen sich gute Gedanken

Rede zur fiskalpolitischen Eigenverantwortung für Stabilität und Wachstum in Europa

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei Licht betrachtet ist das Projekt der Europäischen Union sicherlich eines der großartigsten politischen Projekte der Neuzeit. Wir hatten noch nie das Maß an Freizügigkeit, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Europa, wie wir es jetzt haben, trotz aller Rückschläge bei den beteiligten Ländern hatten wir noch nie so einen Wohlstand, wie wir ihn heute haben, und wir haben vor allem eines noch nie gehabt, nämlich so lange Frieden in Deutschland und in Mitteleuropa. Ich weise nur darauf hin: In diesem Deutschen Bundestag sitzt wahrscheinlich kein Abgeordneter mehr, der sich bewusst an Krieg und Vertreibung erinnern kann, und das ist wahrlich nicht selbstverständlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich stelle das deswegen der ganzen Sache voran, weil wir es so oft als selbstverständlich betrachten, dass das so ist. Wir merken aber gerade in diesen Tagen auch, wie dünn das Eis ist, auf dem wir stehen. Wir beobachten die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa, Krieg und Frieden in Nordirland und auch die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland.

Deswegen ist es gut und richtig, dass sich viele Menschen und viele Gremien Gedanken darüber machen, wie man dieses Europa weiterentwickeln kann. Es ist gut und richtig und grandios, dass sich der französische Präsident hinstellt und in französischer Untertreibung sagt, er möchte Europa neu gründen. Wir teilen nicht alles, was er da vorgeschlagen hat, aber das ist eine ganz wichtige Initiative, und ich sage auch ganz ohne Ironie: Es ist wichtig, dass sich ein SPD-Bundesparteitag mit so etwas beschäftigt, auch wenn wir zu anderen Schlussfolgerungen als zu den Vereinigten Staaten von Europa in 2025 kommen.

Es ist nachgerade die Aufgabe der Europäischen Union – Herr Toncar, Sie haben es angesprochen –, so etwas wie das Nikolaus-Paket zu entwickeln, wobei wir uns wirklich freuen würden, wenn mit gleicher Initiative und gleicher Kraft auch die bestehenden Regeln durchgesetzt würden, wie neue Initiativen auf den Weg gebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn ich das jetzt alles so sage – Europa ist ein grandioses Projekt, alle machen sich gute Gedanken –: Darf man das dann überhaupt kritisieren? Ich bin ein leidenschaftlicher Kritiker der Niedrigzinspolitik und der Ankaufpolitik der EZB. In südeuropäischen Zeitungen steht dagegen ganz gerne: Draghi darf man nicht kritisieren. Die EZB darf man nicht kritisieren. Europa ist so toll, da sollte man sich zurückhalten. – Nein, ich glaube, als leidenschaftlicher Europäer muss man Europa kritisieren und muss man sich an dieser ganzen Sache reiben und sich damit auseinandersetzen.

Herr Toncar, Sie haben es nicht ganz so zusammengefasst, wie es in Ihrem Antrag steht; das war mehr so Flughöhe über 10 000 Meter. Ich möchte einige Punkte aus Ihrem Antrag herausgreifen.

(Christian Dürr [FDP]: Besser den Überblick behalten! Sehr gut!)

Wir sind für die Bankenunion. Wir wissen, dass die Bankenunion wichtig ist. Trotzdem haben wir gesagt: Wir haben irgendwann einmal versprochen, keine Steuergelder mehr dort hineinzugeben. Deswegen finden wir diesen Backstop nicht gut.

Wir wissen, dass es uns nur gut gehen kann, wenn es auch den anderen europäischen Ländern gut geht, und dass wir ihnen helfen müssen. Trotzdem wollen wir keine Transferunion haben und asymmetrische Schocks anders bekämpfen, als das die Europäische Union vorschlägt.

Wir wissen, dass wir uns in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik besser abstimmen müssen. Trotzdem sind wir der Meinung, dass ein europäischer Finanzminister, der bei der Kommission angesiedelt ist, zurzeit nicht das adäquate Mittel dafür ist.

Wir wissen, dass wir mehr in Bildung, gegen Jugendarbeitslosigkeit und in die digitale Infrastruktur investieren müssen. Trotzdem sind wir der Meinung, dass die EU bisher in vielen Bereichen den Nachweis schuldig geblieben ist, dass das effizient und effektiv geschehen kann.

Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Kritik auch vorbringen, und deshalb, Herr Toncar, stimmen wir in sehr vielen Punkten mit dem überein, was Sie in den Antrag geschrieben haben.

Aber wie gehen wir jetzt damit um?

(Otto Fricke [FDP]: Zustimmung!)

Zwei Punkte dazu:

Erster Punkt. Sie haben gesagt, wir müssen der geschäftsführenden Regierung etwas mit auf den Weg geben. – Besser wäre es, wenn wir eine stabile Regierung hätten, Herr Toncar.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der FDP: Oh!)

Wenn wir eine stabile Regierung hätten, dann hätten wir auch vier Jahre lang eine vernünftige Europapolitik machen können.

Meine Damen und Herren, eins ist richtig: Man kann sich zwar darüber freuen, dass zurzeit keine zusätzlichen Gesetze gemacht werden, dass wir 2018 nur einen vorläufigen Haushalt haben und kein Geld ausgeben. Aber momentan passiert in Europa so viel wie nie, und wir sind nicht handlungsfähig. Deswegen ist dieses Haus unter Zurückstellung der persönlichen Interessen und der Parteiinteressen aufgerufen, möglichst schnell eine Regierung zu bilden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweite Bemerkung zu Ihrem Vorschlag. Was machen wir denn, wenn die 26 übrig gebliebenen Staaten in Europa nicht unserer Meinung sind, wenn die etwas anderes wollen? Sagen wir dann: „Lieber kein Europa als ein schlechtes Europa“, und setzen uns auf die Zuschauertribüne?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist das die Option? Oder ist es nicht vielmehr unsere Aufgabe, nicht nur für unsere Position zu kämpfen, sondern auch dieses Europa zusammenzuhalten?

Wenn das richtig ist, was ich am Anfang gesagt habe, dass es das großartigste Projekt ist, das wir bisher hatten, dann hat es doch einen Wert an sich, dieses Projekt zusammenzuhalten und weiterzuentwickeln. Dann kann man nicht sagen: Jetzt passt uns die ganze Sache nicht. Jetzt setzen wir uns auf die Zuschauertribüne und machen nicht weiter.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es wird momentan in der deutschen Politik sehr viel von Haltung geredet. Ich finde es gut und richtig, dass wir über Haltung reden. Zu unserer Haltung als Union gehört es, dafür zu kämpfen, dass unsere Positionen durchgesetzt werden – in Respekt vor den anderen. Aber zu Haltung gehört für uns auch, dass wir den Laden zusammenhalten, dass wir Europa zusammenhalten, weil es ganz wichtig ist. Wir müssen nicht nur Europa zusammenhalten, sondern wir müssen auch dieses Land und diese Gesellschaft zusammenhalten. Vielleicht heißen wir deswegen „Union“. Vielleicht unterscheiden wir uns deswegen von dem einen oder anderen, der hier im Deutschen Bundestag sitzt.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)