Nadine Schön: Wir wollen das Thema ganzheitlich angehen; wir machen ein Gesamtkonzept
Redebeitrag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir bei dieser Debatte längst nicht einer Meinung sind, ist, glaube ich, deutlich geworden. Aber, Herr Ehrhorn, was Sie jetzt vermischt und zu einem Brei gerührt haben, das ist wirklich unsäglich. Kindesmissbrauch und Gender-Mainstreaming auf eine Ebene zu setzen, das ist wirklich unterste Schublade, und das kann man hier so nicht stehen lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, das ist Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Ich sage: Sexueller Missbrauch an Kindern, das ist die übelste Form, die Würde eines Menschen, die Würde eines kleinen Menschen, anzugreifen. Sexuelle Gewalt ist ein Angriff auf den Körper eines Kindes und ein Angriff auf die Seele; ein Angriff, der Spuren hinterlässt, körperlich, aber vor allem psychisch; Spuren, Schäden, die nie wieder weggehen; Verletzungen der Seele, mit denen die Betroffenen oft ihr Leben lang zu kämpfen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun zu wenig, um unsere Kinder zu schützen. Tagtäglich gelingt es Tätern, sich an Kindern zu vergehen, laut der Statistik auch heute wieder 43-mal in unserem Land. Das ist das Hellfeld; das Dunkelfeld kennen wir nicht. Das darf uns nicht ruhen lassen.
Jetzt habe ich in der Debatte öfter gehört: Jetzt, wo wieder etwas passiert ist, da ruft ihr schnell nach höheren Strafen, und dann ist es erledigt. – Frau Suding hat das gesagt, auch Herr Müller und Frau Dörner. Das stimmt nicht. Wir rufen nicht nur nach höheren Strafen. Als Unionsfraktion haben wir schon vor anderthalb Jahren gesagt: Wir wollen nicht nur Einzelmaßnahmen, wir wollen das Thema ganzheitlich angehen; wir machen ein Gesamtkonzept, das Hilfe, Schutz und auch Strafverfolgung und höhere Strafen vereint, mit Rechtspolitikern, Innenpolitikern, Gesundheitspolitikern, Familien- und Kinderschutzpolitikern. – So muss man das Thema angehen, ganzheitlich und konkret, und das haben wir getan.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])
26 Maßnahmen! – Herr Müller, Sie fragen: Wo ist das Konzept? Gucken Sie es sich an! Ich kann Ihnen sagen: Seitdem ist auch schon einiges passiert. Wir haben viele Maßnahmen auf den Weg gebracht und durchgesetzt.
Wir haben die Prävention gestärkt. Das Gefährlichste für Kinder ist nämlich, wenn es eine Mauer des Schweigens gibt, wenn es ein Umfeld gibt, das Anzeichen nicht sieht, das stille Hilferufe nicht hört und das auch nicht weiß, wie es reagieren soll, wenn es erste Anzeichen bemerkt. Deshalb brauchen wir mehr Information, mehr Beratung und bessere Schutzkonzepte.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Mittel des Gute-KiTa-Gesetzes auch für Schutzkonzepte verwendet werden können, Frau Suding; von daher war Ihre Kritik völlig deplatziert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Überhaupt nicht! Völlig angebracht war das! Völlig angebracht! – Zuruf der Abg. Katja Suding [FDP])
Die Länder können die Mittel des Gute-KiTa-Gesetzes für Schutzkonzepte verwenden; das ist explizit im Gesetz vorgesehen.
Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs berät die Länder dabei, wie man Schutzkonzepte an Schulen einführt; auch das wird gemacht. Wir haben seine Arbeit gestärkt und besser, als das bisher der Fall war, finanziert.
Wir haben mobile Beratungsstellen ins Leben gerufen. Gerade läuft ein Projekt an, das den Missbrauch im Netz in den Blick nimmt, vor allem im Peer-to-Peer-Bereich. Wir nutzen künstliche Intelligenz, um in digitalen Netzwerken kinderpornografisches Material zu finden und auch zu entfernen. Wir haben die Strafverfolgungsmöglichkeiten verbessert. Der Versuch von Cybergrooming ist strafbar. Wir haben die Ermittlungen im Darknet gestärkt. Das waren alles Initiativen der Union, alles Initiativen aus den letzten anderthalb Jahren, die wir in dieser kurzen Zeit durchgesetzt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben die Traumaambulanzen gestärkt. Ab nächstem Jahr wird es flächendeckend in Deutschland Traumaambulanzen geben und Orte, an denen man eine anonyme Spurensicherung vornehmen lassen kann. Wir haben die Ausbildung von Psychotherapeuten angepasst, damit sie schon im Studium davon erfahren, wie man sexuellen Missbrauch erkennt und wie man die jungen Menschen dann auch entsprechend therapiert.
In diesen anderthalb Jahren haben wir vieles umgesetzt. Das gilt nicht nur für uns; das gilt auch für die Länder. Denn was Herbert Reul und die Landesregierung in NRW in den letzten anderthalb Jahren auf den Weg gebracht haben – eine Stärkung der Polizei und der Sonderkommission zu diesem Thema –, das ist eine Menge, und das hat auch dazu geführt, dass diese schrecklichen Taten jetzt ans Licht kommen. Von daher ist Ihre Kritik, Herr Wiese, und dass Sie das parteipolitisch ausschlachten wollen, wirklich absolut deplatziert.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich bin froh, dass wir jetzt auch die Strafbarkeit angehen. Denn es kann nicht sein, dass der Besitz von Kinderpornografie weniger bestraft wird als ein einfacher Ladendiebstahl; das gehört zum Gesamtkonzept eben auch dazu. Und ja, beim SGB VIII müssen wir den Kinderschutz stärken. Wir müssen schauen, dass die Netzwerke besser greifen, dass keiner durchs Netz fällt, dass wir Anzeichen bemerken und dass den Kindern dann eben auch geholfen wird. Wir müssen auch schauen, dass die Register so ausgerichtet werden, dass darin Kindesmissbrauch nicht schon nach wenigen Jahren gelöscht wird. Vor allem brauchen wir eine Kultur des Hinschauens, von allen. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung, und das sind wir den Kindern in unserem Land schuldig.
(Beifall bei der CDU/CSU)