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Jürgen Hardt: Deutschland und Frankreich müssen gut zusammenarbeiten, damit Europa vorankommt

Rede zu "55 Jahre Élysée-Vertrag"

Monsieur le Président! Chers collègues! Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin im Jahr 1963, dem Jahr des Élysée-Vertrags, geboren, und ich bin mit 15 Jahren als Austauschschüler in Frankreich gewesen – auch als Ergebnis dieses Vertrages.

Ein Erlebnis ist mir wie kein anderes in Erinnerung geblieben. Ich bin mit meinem Brief- und Austauschschülerfreund zu seinem Großvater gefahren, der in der Nähe von Compiègne in einem kleinen Haus lebte und mir als dem deutschen Schüler eine Botschaft mitgeben wollte, die er immer wiederholt hat: Plus jamais la guerre! Nie wieder Krieg! – Das hat mich damals als 15-Jährigen ziemlich befremdet; denn ich hatte alles Mögliche im Kopf, aber nicht Krieg mit Frankreich. Ich war auf einem schönen Peugeot-Fahrrad durch den Forêt de Compiègne dahingeradelt, und dieser alte Mann konfrontierte mich mit seinem Trauma, wie ich heute sagen würde, dass er mit Deutschland die Kriegsgefahr verband.

Was für ein großes Herz muss die Generation der Großväter und Großmütter unserer Austauschschüler gehabt haben, dass sie uns damals, 1963, zu diesem Freundschaftsvertrag die Hand gereicht haben. Das war eine großartige Leistung, einmalig im 20. Jahrhundert. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte zum Schluss dieser Debatte den Blick auf einen Aspekt lenken, der in unserem gemeinsamen Antrag eine große Rolle spielt, und zwar unsere gemeinsame Verantwortung für Europa. Der Kollege Christian Lindner hat es angesprochen: Deutschland und Frankreich müssen gut zusammenarbeiten, damit Europa vorankommt. Aber es darf natürlich nicht der Eindruck entstehen, als seien Deutschland und Frankreich die Lehrmeister der Europäischen Union. Ich glaube, dass die Balance zwischen der uns natürlich zuwachsenden Verantwortung als den beiden großen Nationen in der Mitte Europas einerseits und den Interessen der mittleren und kleineren Staaten der Europäischen Union in den letzten Jahren gut gelungen ist. Wahr ist auch: Wenn Deutschland und Frankreich im Europäischen Rat nicht vorangehen, dann gehen die Blicke der anderen Staats- und Regierungschefs durchaus Richtung französischem Staatspräsident und deutscher Bundeskanzlerin, nach dem Motto: Was habt ihr euch denn überlegt? – Insofern ist das keine Rolle, in die wir uns hineindrängen, sondern eine Rolle, mit der wir gut umgehen können.

Ein gutes Beispiel der letzten Monate, dass eine solche deutsch-französische Initiative unter Einbeziehung der anderen zu einem guten Ergebnis führen kann, ist die PESCO, die vereinbarte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik. Unsere Bundeskanzlerin, die Verteidigungsministerin und der Außenminister haben zunächst mit den Franzosen, dann aber auch sehr schnell mit anderen europäischen Staats- und Regierungschefs darüber gesprochen, was wir tun können, und am Ende dürfen wir feststellen, dass nahezu alle Nationen der Europäischen Union an der PESCO, der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigungspolitik, mitwirken – eine deutsch-französische Initiative, die die Unterstützung vieler mittlerer, kleinerer und kleinster europäischer Mitgliedstaaten bekommt. Das ist, wie ich finde, ein Beleg dafür, dass es funktioniert.

Mit Blick auf die nächsten Monate und Jahre haben wir große Projekte, bei denen es auf die deutsch-französische Freundschaft und die Abstimmung unserer Politik ankommt. Ich glaube, dass wir die ehrgeizigen Klimaziele des Vertrags von Paris nur erreichen können, wenn wir uns innerhalb der Europäischen Union auf die geeigneten Instrumente verständigen; Christian Lindner hat es bereits angesprochen. Es müssen natürlich marktwirtschaftliche Instrumente sein. Wir brauchen keine Instrumente, die den Wettbewerb verzerren, sondern Instrumente, die uns der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft, wie es auf Neudeutsch heißt, näherbringen. Das ist eines der Projekte.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Lindner [FDP]: Kohleausstiegsgesetz!)

Das nächste große Projekt, das vor uns liegt, ist die Frage, wie wir mit dem Brexit umgehen. Ich finde gut, was wir in den letzten Tagen bei den Gesprächen zwischen der britischen Premierministerin und dem französischen Staatspräsidenten erlebt haben: dass man sich konkret den ersten wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit, so er denn überhaupt jemals stattfindet, widmet. Ich glaube, dass wir in Europa eine Sprache gegenüber den britischen Bürgerinnen und Bürgern finden müssen, die klarmacht: Egal wie der Vertrag am Ende aussieht, egal wann und wie der Brexit stattfindet, es muss eine enge Freundschaft zwischen den Briten und den Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union auch nach dem Brexit geben. Unsere Beziehungen werden immer besondere sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es wäre schön, wenn das nicht nur in Deutschland so gesehen wird, sondern auch in Frankreich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Albrecht Glaser [AfD])

Zum Schluss. Wir müssen auch darüber nachdenken, was wir tun können, damit die Menschen in Europa noch mehr als bisher verstehen, dass die Europäische Union zur Lösung der Probleme beiträgt, die die Menschen beschäftigen. Die Europäische Union hat in Lissabon Versprechen abgegeben. Sie will die innovativste und dynamischste Wirtschaftsregion der Welt sein. Sie will hochwertige Arbeitsplätze für die Menschen schaffen. Wir haben auch versprochen, dass wir unsere Grenzen zuverlässig vor denen schützen, die keinen Grund haben, in unsere Europäische Union einzureisen. Ich fürchte, dass wir bei diesen drei Versprechen – wirtschaftliche Dynamik, Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit und Sicherung der Grenzen – nicht an dem Punkt sind, dass die Bürgerinnen und Bürger sagen: Jawohl, 15 Jahre nachdem ihr uns das versprochen habt, ist das umgesetzt. Deswegen glaube ich, dass es einer starken Initiative des Europäischen Rates, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments, aber eben auch der deutschen und französischen Regierung bedarf, um Erfolge vorzuweisen, damit die Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in die Europäische Union restlos zurückgewinnen.

In diesem Sinne: Auf die deutsch-französische Freundschaft!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)