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Torbjörn Kartes: Es ist ein guter Weg, den Dienst am Menschen zu fördern und womöglich sogar einzufordern

Rede zum Ausbau und zur Stärkung von Freiwilligendiensten

Zu dieser späten Stunde sprechen wir über die Freiwilligendienste und wie wir diese attraktiver machen können. Ich kann Ihnen vorneweg sagen: ich war im Zivildienst Rettungssanitäter beim DRK in Ludwigshafen und kann heute mit Überzeugung sagen, diese Zeit hat mich geprägt. Sie hat mir Einblicke ermöglicht, die ich sonst nie bekommen hätte. Da waren schwere Schicksale dabei, man trifft auf die ungeschönte Lebenswirklichkeit der Menschen, man wird geerdet. Sicher war dieser Dienst damals eine Pflicht, aber ich habe diesen Dienst gerne gemacht, aus Überzeugung etwas Gutes zu tun.

Heute tun das auch sehr viele junge Menschen – freiwillig: Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilliges Ökologisches Jahr, Bundesfreiwilligendienst, daneben zahlreiche Programme für einen Dienst im Ausland. Insgesamt sind das etwa 100 000 zumeist junge Leute, und wir sollten all denen, die einen solchen Dienst leisten, heute vor allem einmal Danke sagen.

Die Grünen sagen nun in ihrem Antrag: Die Bundesregierung soll noch mehr in jeden einzelnen Platz investieren und die Plätze insgesamt verdoppeln. Wissen Sie, ich bin sehr dafür, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir die Freiwilligendienste verbessern können. Und da gibt es natürlich Defizite, über die wir reden müssen. Die Frage ist aber, ob die Annahmen in ihrem Antrag wirklich so zutreffen. Interessanterweise geben Sie in Ihrem Antrag ja selbst zu, dass es für die von Ihnen behauptete Stellenknappheit im Bereich der Freiwilligendienste überhaupt keinen Beleg gibt. Dort heißt es wörtlich, sie wollen „ein Monitoring-Verfahren entwickeln, mit dem die Nachfrage nach Freiwilligendiensten erfasst“ wird. Das ist in der Tat eine Überlegung wert. Solange es das nicht gibt, können wir eigentlich überhaupt nicht genau wissen, wo wir stehen. Ich vermute eher: Wer sich freiwillig engagieren möchte, findet auch einen Platz. Vielleicht ist es nicht der Wunschplatz, aber es gibt immer die Möglichkeit einer sinnvollen Beschäftigung.

Wo liegen nun aber die Defizite? Ich sehe da vor allem eines: Wir haben in den Freiwilligendiensten kein Abbild unserer Bevölkerung. Es fehlen: freiwillige mit niedriger formaler Bildung, Freiwillige mit Migrationshintergrund. Und in den sozialen Arbeitsfeldern sind auch die Männer unterrepräsentiert. Wenn freiwilliges Engagement den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken soll, dann müssen wir aber darüber nachdenken, wie wir damit alle Bereiche unserer Gesellschaft erreichen.

Ich denke, die meisten werden mir zustimmen, wenn ich sage: Es stand schon einmal besser um unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie können wir den wieder stärken? Da halte ich es doch für einen guten Weg, den Dienst am Menschen zu fördern und womöglich sogar einzufordern. Für die Debatte über ein verpflichtendes soziales Jahr, das alle umfasst und das dann auch wahlweise beim Bund geleistet werden kann, bin ich sehr offen. Ich finde, dass es ein wichtiges Zeichen wäre, wenn man jungen Menschen sagt: Der Staat ist nicht nur etwas Abstraktes, eine gesichtslose Instanz, die meine Steuern einnimmt und der gegenüber ich Ansprüche habe, sondern der Staat, diese Gesellschaft, das sind wir alle, das sind die Menschen, die sich für Obdachlose einsetzen, die sich für den Erhalt unserer einzigartigen Natur engagieren, die für Deutschlands Sicherheit den Dienst an der Waffe tun. Jeder junge Mensch in Deutschland würde dieser Realität zumindest einmal in seinem Leben begegnen, wenn wir ein verpflichtendes soziales Jahr hätten. Ich meine: Das wäre eine gute Sache, und daher sollten wir dies offen diskutieren.