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Thorsten Frei: "Wir sollten hier an dieser Stelle ein klares Zeichen setzen"

Änderung von Familiennamen und Vornamen

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute abschließend über ein Bereinigungsgesetz, das auf den ersten Blick wenig praktischen Änderungsbedarf suggeriert, aber eine ganz enorme symbolische Bedeutung hat.

Dieses Gesetz geht zurück auf eine Initiative von Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, und auch unsere ehemalige Kollegin Eva Högl darf eine gewisse Miturheberschaft für dieses Gesetz für sich in Anspruch nehmen.

Wir – und da, glaube ich, spreche ich nicht nur für unsere Fraktion – sind dankbar dafür, dass nach der nationalsozialistischen Diktatur und trotz des Holocausts jüdisches Leben und jüdische Kultur wieder in Deutschland Einzug gehalten haben. Ich glaube, das ist nicht nur eine Bereicherung für unsere Gesellschaft; das ist vor allen Dingen auch ein besonderer Vertrauensbeweis gegenüber unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat. Dem müssen wir uns auch würdig erweisen, gerade an einem Tag, an dem wir hören, dass die Polizei mit 2 275 antisemitischen Straftaten im vergangenen Jahr so viele Straftaten gegen Juden festgestellt hat wie seit dem Jahr 2001 nicht mehr. Gerade an einem solchen Tag sollten wir uns dessen auch bewusst sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen ist ein Gesetz, das aus dem Januar 1938 stammt. Es ist nicht das einzige Gesetz, das aus der Zeit der Nazidiktatur stammt, aber es ist eines, das einen dezidiert antisemitischen Hintergrund hat. Es hat damals den Reichsminister des Innern Wilhelm Frick, einen fanatischen Antisemiten und Mitglied der Nationalsozialistischen Partei der ersten Stunde, ermächtigt, per Verordnung dafür zu sorgen, dass Jüdinnen und Juden ab dem Januar 1939 ihrem Vornamen, wenn sie einen in den Ohren der Nazis nicht ohnehin jüdisch klingenden Vornamen hatten, den Namen Sara oder Israel beifügen mussten. Den mussten sie im öffentlichen und amtlichen Verkehr auch verwenden.

Das war das erste Mal, dass klar antisemitisch Jüdinnen und Juden in Deutschland gekennzeichnet, ausgegrenzt und entrechtet wurden. Dass das so war, kann man beispielsweise auch daran erkennen, dass im Sachverzeichnis des Reichsgesetzblatts das Namensänderungsgesetz nicht unter dem Stichwort „Namensänderung“ oder dergleichen zu finden war, sondern unter dem Stichwort „Juden“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war lange vor der Einführung des Judensterns eine klare Kennzeichnung, eine systematische Identifikation von Jüdinnen und Juden in Deutschland und damit auch der erste Schritt oder einer der Schritte hin zur Shoah, zur Ermordung von 6 Millionen europäischen Juden.

Natürlich ist der Inhalt dieses Namensänderungsgesetzes heute ein anderer als damals. In den vergangenen Jahrzehnten ist dieses Gesetz mehrfach novelliert worden; es ist sogar durchgegendert worden. Aber solche Begriffe wie „Deutsches Reich“, „Reichsminister des Innern“ oder „Reichsregierung“ sind immer noch in diesem Gesetz. Ich glaube, dass es mehr als 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht akzeptabel ist und im Übrigen auch nicht nur für Juden nicht akzeptabel ist, dass sich solche Begriffe darin finden, wenn Menschen in Deutschland heute ihren Familiennamen oder ihren Vornamen ändern möchten. Deswegen wird es höchste Zeit, dass wir es ändern. Offensichtlich klappt das nur im Rahmen eines solchen Bereinigungsgesetzes.

Ich will an dieser Stelle auch ausdrücklich sagen, dass dieses Gesetz Pars pro Toto steht. Allein wenn man mal kursorisch über die in Deutschland heute geltenden Gesetze und Verordnungen guckt, stellt man fest: Es gibt zwischen 40 und 50 solcher Gesetze mit diesen Begriffen. Wir werden das jetzt mit diesem Gesetz symbolisch in Angriff nehmen. Aber sowohl unser Haus als auch die Bundesregierung sind selbstverständlich aufgefordert, dass, wenn solche Gesetze in irgendeiner Weise zur Novellierung anstehen, dann auch diese Begriffe darin getilgt werden. Ich glaube, das ist dringend notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die praktische Wirkung dieses Bereinigungsgesetzes mag begrenzt sein. Aber die symbolische Wirkung ist in der Tat hoch. Wir sollten hier an dieser Stelle ein klares Zeichen setzen. Das ist nicht nur für die jüdischen Staatsbürger bei uns im Land wichtig; es ist wichtig für die Gesellschaft im Ganzen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)