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Stephan Mayer: Das Austrittsabkommen ist unmittelbar geltendes europäisches Recht

Redebeitrag zur Anpassung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn aus nachvollziehbaren Gründen nach wie vor die Coronapandemie die öffentliche Wahrnehmung beherrscht, müssen wir klar sehen: Es gibt auch andere Themen, die unsere Zukunft in Deutschland, aber auch darüber hinaus nachhaltig beeinflussen werden und die deshalb ein entschiedenes Handeln des Gesetzgebers erfordern.

Zu diesen Themen gehört der Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, der, wie Sie wissen, zum 1. Februar dieses Jahres stattgefunden hat – demokratisch legitimiert mit dem Referendum aus dem Jahr 2016, aber – das möchte ich an der Stelle festhalten, zumindest für den Großteil dieses Hohen Hauses – mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen wurde. Aber wir müssen uns mit der Realität abfinden. Es ist ausweislich des Austrittsabkommens fest vereinbart, dass bis Ende dieses Jahres aller Voraussicht nach die Briten die Rechte und die Pflichten verlieren, die sie bisher hatten. Aber zum 1. Januar des kommenden Jahres wird es eine Änderung geben.

Gegenstand des Austrittsabkommens ist, die Frage zu klären, wie wir mit den britischen Staatsangehörigen umgehen, die sich derzeit in Deutschland aufhalten. Unsere Herangehensweise als Bundesregierung ist die, dass wir möglichst unbürokratisch und vor allem auch möglichst offen und human vorgehen. Es wird also so aussehen, dass die britischen Staatsangehörigen und ihre Familienangehörigen, aber auch nahestehende Personen, die sich bis zum 31. Dezember dieses Jahres in Deutschland aufhalten, Bestandschutz erfahren.

Das Gleiche gilt für sogenannte Grenzpendler, also britische Staatsangehörige, die in den Niederlanden oder in Österreich leben und in Deutschland arbeiten. Diese Regelung gilt jetzt schon nicht mehr für den Umzug innerhalb der Europäischen Union und auch nicht für Personen, die ab dem 1. Januar 2021 nach Deutschland einreisen. Es wird also in Zukunft klar differenziert zwischen den britischen Staatsangehörigen, die Bestandschutz genießen, und denen, die ab dem 1. Januar 2021 nach Deutschland einreisen. Für sie gilt dann der Bestandschutz nicht mehr, und sie werden wie EU-Drittstaatsangehörige behandelt.

Das Austrittsabkommen, das zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU verhandelt wurde, ist unmittelbar geltendes europäisches Recht, und es verlangt den Vertragspartnern und auch den EU-Mitgliedstaaten die Erfüllung gewisser Pflichten ab. Zu diesen Pflichten gehört, dass wir die Statusrechte für britische Staatsangehörige regeln. Wir haben die Wahlfreiheit, ob wir kraft Gesetzes den Status festschreiben oder ob wir eine Antragsmöglichkeit eröffnen. Die Bundesregierung hat sich aus pragmatischen Gründen für eine Regelung kraft Gesetzes entschieden, vor allem auch, um missliche Fälle zu vermeiden, beispielsweise dass jemand die Antragsfrist versäumt.

Der Gesetzentwurf, den das Kabinett am 20. Mai dieses Jahres verabschiedet hat, sieht daher vor, dass britische Staatsangehörige bis einschließlich 30. Juni nächsten Jahres, mittels Pass oder mittels eines Nachweises, dass sie in Deutschland leben, die Möglichkeit haben, bei ihrer zuständigen Ausländerbehörde die EU-rechtlich vorgesehene Karte zu erwirken. Die Gebühren, die dafür verlangt werden, entsprechen den Gebühren, die deutsche Staatsangehörige für den Personalausweis zu entrichten haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass damit eine sehr pragmatische und vor allem auch eine sehr faire Lösung gefunden wurde.

Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf noch zwei Regelungspunkte vor. Im Sozialgesetzbuch III wird für deutsche Studenten, die in Großbritannien oder in Nordirland studieren, festgeschrieben, dass sie auch weiterhin für den gesamten Ausbildungsabschnitt, also für ihr weiteres Studium, BAföG-bezugsberechtigt sind.

Ein letzter Punkt, der behandelt wird – es geht um ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2012 –, betrifft eine Regelungslücke aus der EU-Freizügigkeitsrichtlinie, die im EU-Freizügigkeitsgesetz schnell umgesetzt werden soll, vor allem um ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zu vermeiden. Es geht dabei darum, dass auf Antrag vor der Ermessensentscheidung und nach der Einzelprüfung die Möglichkeit gegeben wird, dass EU-Drittstaatsangehörige zu freizügigkeitsberechtigten Unionsangehörigen nach Deutschland reisen können. Hier geht es zum einen um die Personengruppe der Pflegekinder und zum anderen um die Personengruppe der langjährig nichtehelichen Lebenspartner.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es handelt sich aus meiner Sicht bei dem in erster Lesung zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf um einen sehr wichtigen Gesetzentwurf. Ich bitte vor dem Hintergrund der Eilbedürftigkeit um eine umsichtige, aber vor allem auch um eine zügige Beratung des Gesetzentwurfes, insbesondere um den in Deutschland lebenden britischen Staatsangehörigen möglichst rasch Rechtssicherheit angedeihen zu lassen, was die Zukunft ihres Aufenthaltsstatus anbelangt.

Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)