Skip to main content

Sebastian Steineke: Eine besondere Würdigung des Einzelfalls fällt vollständig aus

Gesetz über die Einführung von Gruppenverfahren

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige Worte muss man dazu einmal sagen. Dass der Rechtsstaat funktioniert, zeigen ja gerade die von Ihnen zitierten Urteile. Der Rechtsstaat funktioniert doch.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, für einen!)

Auf einigen Internetseiten können Sie sich ellenlange Listen von auch stattgebenden Urteilen ansehen. Dass der Rechtsstaat nicht funktionieren würde, ist also schlichtweg falsch. Das muss man auch einmal so deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber zurück zur Sache: Sie wollen hier mit uns einen Gesetzentwurf beraten, der nun zum dritten Mal vorliegt. Er ist identisch mit einem Gesetzentwurf aus 2014 und einem Gesetzentwurf aus 2013.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es ist schade, dass man das immer wieder vorlegen muss!)

Das Einzige, was Sie geändert haben, ist die Einleitung. Dadurch ist der Gesetzentwurf aber keinen Deut besser geworden.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Situation ist keinen Deut besser geworden!)

Deshalb werden wir ihm auch nicht zustimmen.

Der Entwurf sieht vor – damit wir auch einmal etwas zu Ihrem Entwurf sagen; das haben Sie ja nicht getan –, in die Zivilprozessordnung einen eigenen Abschnitt über Gruppenverfahren – nennen wir es so, wie es ist: Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild – einzufügen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt doch nicht!)

– Das ist es.

Dabei sollen mehrere Personen Ansprüche, die den gleichen Lebenssachverhalt betreffen

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– keine Zwischenfragen, bitte –, gemeinsam gerichtlich geltend machen können.

(Zuruf der Abg. Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Sie hatten lange genug Zeit.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit der amerikanischen Sammelklage, das stimmt nicht!)

Nach Ihrem Entwurf soll dies nicht nur zur Feststellung des Anspruchs erfolgen, sondern auch in Form einer Leistungsklage mit Bündelung aller Ansprüche betrieben werden können. Das ist schlichtweg eine echte Sammelklage pur nach amerikanischem Vorbild

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben keine Ahnung!)

und mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!)

– Doch, wir haben es sehr gut verstanden. Das sagt sogar Ihr eigener Sachverständiger.

Die Einführung solcher Sammelklagen nach amerikanischem Vorbild

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht: Gruppenklage! Reden Sie doch mal zur Sache!)

widerspricht diametral unserer Rechtsordnung. Eine besondere Würdigung des Einzelfalls fällt vollständig aus.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Inhalt wird es noch deutlicher!)

– Hören Sie doch einfach mal zu!

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hören ja zu! Deshalb sind wir so engagiert!)

Das Drohpotenzial, wie es auch in den USA bei diesem Instrument üblich ist, ist immens hoch. Hier werden Beklagte regelmäßig in Vergleiche gezwungen, um einem nicht vorhersehbaren insbesondere medialen Druck vorzubeugen.

Deswegen enden solche Verfahren in den USA – so wird es auch bei Ihrem Vorschlag sein – zu 90 Prozent in einem Vergleich. Zu 90 Prozent! Die Folge ist eine Klage­industrie – ein gefundenes Fressen für die entsprechenden Kanzleien. Das Thema „myRight/Hausfeld“ spielt in Deutschland ja heute schon eine Rolle.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Am Ende eines solchen Verfahrens steht im Zweifel übrigens auch kein rechtssicheres Urteil, auf das sich irgendjemand berufen kann, sondern nur ein abgekaufter Vergleich, von dem kein einziger Verbraucher in diesem Land etwas hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann doch nicht ernsthaft in Ihrem Interesse sein. Das kann es nun wirklich nicht sein.

Bezeichnend ist auch Folgendes: Erinnern Sie sich einmal an die Anhörung von 2015. Damals hat Ihr Sachverständiger, Professor Halfmeier, der Ihren vorliegenden Entwurf entscheidend mitverfasst hat, zu diesen Fragen interessante Aussagen gemacht. Er schlägt nämlich einen für die Anwälte der Klägerseite vergütungsbezogenen Anreiz im Kostenrecht sowie Erfolgshonorare vor.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht aber nicht im Gesetz!)

In seiner Stellungnahme zur Anhörung heißt es zudem:

Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist es kaum relevant, ob etwa der durch rechtswidrige AGB in einem Lebensversicherungsvertrag geschädigte Verbraucher X seinen exakten Schaden ersetzt erhält oder nicht.

Das sagt er selber.

Es ist ihm unbenommen, die etablierten Mechanismen des Verfahrensrechts zu nutzen, um zu seinem konkret-individuellem Recht zu kommen.

Da er dies aber de facto kaum tut,

– deswegen legen wir einen eigenen Entwurf vor –

entsteht das gesellschaftliche Problem der ökonomischen Fehlanreize zugunsten eines rechtswidrigen Verhaltens der Unternehmen.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Jahren!)

Um diese zu korrigieren, ist es nicht notwendig … Verbraucher … perfekt zu entschädigen.

Da steht es noch einmal.

Notwendig ist es aber, einen Mechanismus zu schaffen, mit dem massenhaft relevantes rechtswidriges Verhalten identifiziert und einer ökonomisch vernünftigen Lösung zugeführt wird.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Das wollen wir!)

Es ist demnach in erster Linie Ihr Ziel, die Unternehmen zu bestrafen; ich sage das so deutlich. Ob der Verbraucher seinen Schaden ersetzt bekommt, ist nach diesem Entwurf völlig unklar. Eine solche Politik auf dem Rücken der Verbraucherinnen und Verbraucher ist aus unserer Sicht nicht akzeptabel.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Machen Sie es doch besser! – Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihrem Koalitionsvertrag steht dazu gar nichts!)

Ein weiterer Punkt – auch den haben Sie in Ihrem Entwurf nicht geändert, obwohl wir uns lange darüber unterhalten haben; das hätten Sie entsprechend anpassen und auch die Hinweise des Richterbundes mit aufnehmen können – ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Grundgesetz.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)

– Das müssen wir ja nicht; wir haben ja einen. Das ist doch wunderbar.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn? Wo denn?)

Nach Ihrem Entwurf würde sich der Teilnehmer einer Gruppe anschließen, die durch einen Gruppenführer vor Gericht vertreten wird. Er hat aber keinerlei Möglichkeiten mehr, auf das weitere Verfahren Einfluss zu nehmen.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er bei Ihrer Musterfeststellungsklage auch nicht!)

Das dürfte aus unserer Sicht mit Artikel 103 nicht mehr im Einklang stehen. Deswegen sehen wir ein zweistufiges Verfahren vor, das diese Einschränkung nicht enthält. Das ist, glaube ich, deutlich besser.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiteres wesentliches Problem Ihres Entwurfs ist die Frage der Klagebefugnis nach § 611 ZPO. Neben den einzelnen Geschädigten können bei Ihnen auch Verbände nach Unterlassungsklagengesetz oder nach dem Verzeichnis nach Artikel 4 der Unterlassungsklagenrichtlinie der Europäischen Union klagen und einen entsprechenden Antrag bei Gericht einreichen.

Das bedeutet, dass jeder x-beliebige Verband, der in Europa gegründet wurde – nach welchen Vorschriften auch immer –, Klagebefugnis hätte.

(Dr. Manuela Rottmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schrecklich!)

Das öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Deshalb haben wir im Gegensatz dazu im aktuellen Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir die Klagebefugnis auf festgelegte qualifizierte Einrichtungen beschränken wollen, um die Entstehung einer Klageindustrie zu vermeiden.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sehr richtig so!)

Wir sperren uns aber gerade nicht gegen Verbesserungen. Im Gegenteil, wir haben im Koalitionsvertrag eine gemeinsame Lösung dargestellt, die Musterfeststellungsklage für Verbraucher zu öffnen. Beim Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz gibt es dieses Instrument schon länger. Dabei werden die grundlegenden Rechtsfragen und Tatsachen vorab geklärt.

Die Geschädigten haben dann die Möglichkeit – so bleibt auch der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt –, ihre eigenen Schadensersatzforderungen geltend zu machen. Die entsprechenden Passagen sind, glaube ich, bekannt; ich muss sie hier nicht im Einzelnen vortragen.

Wir werden den Gesetzentwurf zum 1. November dieses Jahres vorlegen – da sind wir sehr guten Mutes; das bekommen wir gut hin –, um die entsprechenden Punkte vorab zu klären. Dabei werden wir die Einleitung des Verfahrens von einer schlüssigen Darlegung einer Mindestzahl von zehn Betroffenen abhängig machen, und wir werden für die Durchsetzung des Verfahrens von 50 Anmelderinnen und Anmeldern zum Klageregister eine Frist von zwei Monaten festsetzen, um die Effektivität des Verfahrens zu gewährleisten. Das ist für uns der richtige Weg, aber nicht der Weg einer Sammelklage.

Aus unserer Sicht bietet der Entwurf keine rechtstechnisch gute Lösung und keine Weiterentwicklung.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie mit Ihrer Umdeutung sind schon bald wie die anderen Kollegen dahinten!)

Wir werden ihn deshalb in dieser Form ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)