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Paul Lehrieder: Kein System ist unfehlbar

Redebeitrag zur Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte anfangen mit einem Zitat von Konrad Adenauer: „Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen.“ Für die Mehrheit von uns ist es geradezu unvorstellbar, dass ihre persönliche Freiheit – womöglich zu Unrecht – eingeschränkt sein könnte. Doch kein System ist unfehlbar, weswegen wir uns heute mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen auseinandersetzen. Ich möchte hier betonen, um Missverständnisse aufseiten der AfD vorzubeugen: Lieber Herr Brandner, es handelt sich nicht um die selbst gewählte Freiheitsaufgabe in einer ICE-Toilette. Das wurde schon früher nicht bezahlt und wird auch in Zukunft nicht bezahlt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Unrecht inhaftierte Menschen haben keine allzu starke Lobby, die sich für ihre Interessen einsetzt. Daher begrüße ich den vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates ausdrücklich. Diesem liegt ein einstimmiger Beschluss der Justizministerkonferenz zugrunde, dass die bisherige Höhe der Entschädigung von 25 Euro pro Hafttag zu gering sei und dringend erhöht werden müsse. Die Entschädigung erfasst – hierauf hat der Kollege Martens von der FDP bereits hingewiesen – darüber hinaus auch den Ersatz des Vermögensschadens; auch das gehört zur Information. Wir reden hier und jetzt über einen Betrag zur Anerkennung eines zusätzlichen immateriellen Schadens. Der Anerkennungsbetrag für den immateriellen Schaden, die bereits genannten 25 Euro pro Tag, soll nun im Zuge dieses Gesetzes auf 75 Euro angehoben und damit verdreifacht werden.

Ich möchte kurz auf die Historie zurückkommen: In den Jahren 1988 bis 2009 lag dieser Betrag zunächst bei 20 D-Mark, dann bei umgerechnet 11 Euro. Ab 2009 lag er bei 25 Euro, und jetzt, 2020, wird er auf 75 Euro erhöht. Das heißt, dass dieser Betrag, wenn man die Jahre von 2009 bis heute betrachtet, innerhalb von elf Jahren von 11 Euro auf 75 Euro gestiegen ist. Das sind immerhin knapp 700 Prozent. Wir haben hier also eine Inflationsrate von 60 Prozent pro Jahr. Das ist nicht schäbig. Für viele ist es möglicherweise nicht ausreichend – wir werden immer wieder darüber nachdenken müssen –; aber es ist zumindest eine bessere, eine angemessene Entschädigung und durchaus nicht kleinzureden, wie es einige Redner der Opposition vorhin leider wieder getan haben.

(Beifall des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU])

– Ja, bitte, Herr Frieser. Ich warte so lange, bis Sie geklatscht haben.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die jetzt vorgenommene Erhöhung angemessen ist, Herr Straetmanns; das haben auch die durchgeführten Anhörungen mehr als deutlich gemacht. Aber lässt sich der Wert der Freiheit überhaupt durch Geldleistungen abbilden? Geht es hier nicht vielmehr um symbolische Wiedergutmachung, um Genugtuung für das Opfer des unrechtmäßigen Freiheitsentzugs? Ich halte die Verdreifachung des Betrags für ein recht deutliches Zeichen der Wiedergutmachung – auf die Beträge habe ich schon hingewiesen – und für im Moment angemessen. Sie ist auch nicht in Stein gemeißelt. Verhältnismäßig finde ich darüber hinaus auch, dass wir den Vorschlag der Bundesländer zur Anpassung der Zahlungen ernst nehmen; denn schließlich haben diese die Entschädigungszahlungen am Ende zu leisten.

Lieber Herr Straetmanns, lieber Kollege Birkwald, jetzt muss ich noch einmal auf die Linken zurückkommen. Im Bundesrat sagt Ihr Ministerpräsident – der einzige Ministerpräsident der Linken – Ramelow, 50 Euro würden ausreichen. Hier im Bundestag fordern Sie aber 150 Euro, das heißt dreimal so viel, wie es Ihr eigener Ministerpräsident für angemessen und richtig hält. Das lässt sich leicht tun, wenn im Rahmen des Förderalismus der Bundestag bestimmt, was die Länder zahlen müssen. Ich stelle wieder einmal fest, dass der Spruch gilt: Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie zitieren den Marx wenigstens korrekt! Das schaffen die wenigsten! Sehr gut, Kollege Lehrieder!)

Hier im Bundestag 150 Euro fordern, aber Ihr eigener Ministerpräsident sagt, 50 Euro würden ausreichen! Vielleicht stimmen Sie das mal unter sich in der Partei ab, und dann schauen wir, wie es in Zukunft weitergeht.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)