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Patrick Schnieder: Öffentlichkeit muss nicht in jedem einzelnen Punkt der Beratung und der Beschlussfassung vorliegen

Rede zur Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die beiden vorliegenden Anträge die Ausschussöffentlichkeit betreffend sind der Wiederaufguss eines gemeinsamen Antrags der beiden Fraktionen aus dem Jahr 2016. Die vorliegenden Anträge sind fast wortgleich mit dem damaligen Antrag. Das ist aber nicht weiter schlimm; Originalität ist jetzt nicht unbedingt der Maßstab.

Beide Anträge beginnen mit der Feststellung, dass die Ausschüsse von der Möglichkeit, öffentlich zu tagen, selten Gebrauch machen. Diese Aussage halte ich im besten Falle für etwas voreilig, ansonsten für unbedacht übernommen; denn uns liegen vorläufige Zahlen für die vergangene Legislaturperiode vor. Und siehe da: 22 Prozent der Ausschusssitzungen waren öffentlich, und das ist alles andere als selten. Das will ich zunächst einmal festhalten. Wenn man in Rechnung stellt, dass es auch Gremiensitzungen gibt, die selbstverständlich nichtöffentlich sind, dann relativiert das die Aussage noch ein Stück weit mehr. Es ist schwierig, wenn in beiden Anträgen suggeriert wird, dass, wenn Nichtöffentlichkeit bei der Beratung vorherrscht, das etwas Schwieriges und möglicherweise sogar etwas Anrüchiges sei. Das stellt die Nichtöffentlichkeit so ein bisschen unter Generalverdacht.

Nun ist vollkommen unbestritten, dass Öffentlichkeit zur Demokratie dazugehört. Das drückt auch das Grundgesetz aus. In Artikel 42 Grundgesetz heißt es: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Damit ist natürlich das Plenum gemeint. Das Bundesverfassungsgericht, dessen Stellungnahme in beiden Anträgen eingangs zitiert wird, stellte natürlich fest, dass Öffentlichkeit etwas besonders Wichtiges ist in dem Sinne, dass die Öffentlichkeit den öffentlichen Diskurs nachvollziehen und auch führen können muss anhand der öffentlichen Beratungen und Beschlussfassungen über bestimmte Tagesordnungspunkte. Insofern wird das Bundesverfassungsgericht richtig zitiert; aber es wird unvollständig zitiert. Denn das Bundesverfassungsgericht sagt darüber hinaus, dass Öffentlichkeit nicht in jedem einzelnen Punkt der Beratung und der Beschlussfassung vorliegen muss.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Ich sage: Öffentlichkeit und Transparenz müssen nicht in jedem Falle vorliegen. Ich sage auch: Es ist manchmal sogar besser und vorteilhafter, wenn wir nichtöffentlich tagen und Räume haben, in denen wir geschützt diskutieren können. Öffentlichkeit ist also keine Maximalforderung des Bundesverfassungsgerichts.

Wenn Sie die Ausführungen in Ihren Anträgen konsequent weiterdenken würden, dann müssten Sie zu dem Schluss kommen, dass auch Ihre Fraktionssitzungen öffentlich durchzuführen sind; denn auch die gehören zum Entscheidungsfindungsprozess dazu. Aber hier merkt man, dass es dann etwas absurd wird. Ich meine, die Grünen haben das in ihren parlamentarischen Anfangsjahren, in den 80er-Jahren, durchaus gemacht;

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: In der Tat!)

aber mir ist nicht bekannt, dass man das bis heute fortgesetzt hat, und das hat gute Gründe. Ich glaube, dass wir geschützte Räume brauchen, in denen diskutiert werden kann, ohne dass die Öffentlichkeit in jedem Falle beteiligt wird.

(Beifall des Abg. Christoph Bernstiel [CDU/CSU])

Dafür gibt es gute Argumente.

Ich glaube, dass wir diese Räume brauchen, damit man nicht unbedingt immer jedes Wort abwägen muss, damit man mal querdenken kann, damit man auch Kompromisse finden kann. Ich halte es für schlechterdings unvorstellbar, dass wir, beobachtet von Kameras, in aller Öffentlichkeit um Kompromisse ringen. Wir brauchen diese Rückzugsräume, um das alles sicherstellen zu können. Es entwertete letztlich auch die Arbeit des einzelnen Abgeordneten, wenn wir diese Räume nicht zulassen würden; denn es würde voraussetzen, dass Fraktionen ihre Linien dann im Vorfeld noch mal abstimmen würden, und damit wären Äußerungen, die man einfach mal so aus der Lamäng macht, quasi unmöglich. Man würde nur all diese Beratungen, die in einem geschützten Raum stattfinden müssten, in andere Gremien vorverlagern, und dann hätten wir überhaupt keine Änderungen bei den Abläufen, die hier eigentlich beabsichtigt sind.

Ein Letztes. Eine solche Änderung würde dazu führen, dass wir die Diskussionen hier im Plenum uninteressanter machen. Wir ringen ja heute schon um Aufmerksamkeit. Wer sich nur die öffentlich-rechtliche Berichterstattung anschaut, der merkt doch, dass wir oft an dritter oder vierter Stelle kommen, sofern dort überhaupt über Parlamentsarbeit berichtet wird. Wenn wir all diese Diskussionen auch noch in den Ausschüssen öffentlich führen würden, dann würde das Interesse an dem, was wir hier schlussendlich diskutieren und entscheiden, zurückgehen, allein schon aufgrund der Fülle all dessen, was wir machen.

(Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegenteil ist richtig! Die Debatten hier wären spannender, wenn die Ausschüsse öffentlich wären!)

Deshalb glaube ich, dass wir mit dieser Aufteilung bisher gut gefahren sind: dass wir in den Ausschüssen nichtöffentlich beraten, so wie es übrigens auch der Bundesrat macht. Seine Ausschüsse tagen nicht nur nichtöffentlich, sondern auch noch vertraulich. Es darf noch nicht einmal erzählt werden, was dort beraten worden ist und wie es beraten worden ist. Wir sind gut damit gefahren, im Plenum, also in der Öffentlichkeit, die Argumente darzustellen. Das entspricht übrigens auch der Janusköpfigkeit unseres Parlamentes: das Plenum als Redeparlament und die Ausschüsse als Arbeitsparlament. Insofern sollten wir bei der jetzt bestehenden Regelung bleiben: Die Ausschüsse sollten nichtöffentlich tagen.

Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eines sagen: Es wird ja auch argumentiert, man könne das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren und würde dann im Prinzip dem Ausschuss anheimstellen, zu entscheiden, wann er nichtöffentlich tagt. Ich halte das für nicht praktikabel, weil der Rechtfertigungsdruck dann so groß wäre, dass man letztlich die Argumente, die für eine Nichtöffentlichkeit sprechen, schon auf den Tisch legen muss, und damit wäre de facto jede Ausschusssitzung öffentlich. Auch das ist kein probates Mittel, hier etwas zu ändern. Also, wir plädieren dafür, dass es so bleibt, wie es ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)