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Marcus Weinberg: Setzen wir uns ein für Toleranz und Religionsfreiheit in Kitas und in Schulen

Rede zu Kinderkopfverhüllungen

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Ich möchte das unterstreichen, was Nina Warken für unsere Fraktion gesagt hat: Weil dies ein höchst emotionales und ein höchst persönliches Thema ist, brauchen wir Sachlichkeit und Unaufgeregtheit. Ich fand den Begriff der Ambivalenz von Herrn Strasser bei diesem Thema passend. Ist es religiös? Ist es politisch? Wer bewertet was?

Das Ganze hat verschiedene Dimensionen. Es gibt nämlich nicht nur eine religiöse und eine verfassungsrechtliche Dimension. Es gibt eine soziale Dimension, eine pädagogische Dimension, eine Dimension des Verhältnisses der Kinder zu ihren Eltern und auch eine Dimension der Aufgabe des Staates. Diese Ambivalenz, dieser Antagonismus sieht folgendermaßen aus: der Staat auf der einen Seite, die Privatsphäre auf der anderen Seite, die Frage, was wir zulassen und was nicht, der Staat nicht als böser, übergriffiger Leviathan, der uns unsere Religiosität nehmen soll, sondern als der Staat, der unsere Religiosität als Teil der Freiheit dieser Gesellschaft schützen soll.

Deswegen gibt es zwei Dinge, die wir nicht tun dürfen: Das sind Anmaßung und Pauschalierung.

Zur Anmaßung. Ich möchte nicht, dass man meine Religion bewertet. Ich möchte nicht, dass mir Leute erklären, was für mich religiös ist und was nicht. Das ist mir überlassen als Christ, und so haben auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen den Anspruch, dass sie geschützt werden in ihrer Religiosität.

Das Zweite sind Pauschalierungen. Das Kopftuch kann – – Aber ist es immer so? Ich will zitieren aus Ihrem Antrag: Das Kopftuch ist ein politisches Symbol und auf das Engste mit dem Islamismus verbunden, der seinerseits mit der verfassungsmäßigen Ordnung unseres Landes unvereinbar ist. – Da steht nichts von „kann“; da steht etwas von „ist“.

(Mariana Iris Harder-Kühnel [AfD]: Dann müssen Sie das ordentlich zitieren!)

Auf Deutsch gesagt: Diejenige, die ein Kopftuch trägt, steht nicht zu dieser Verfassung.

(Mariana Iris Harder-Kühnel [AfD]: Er hat es nicht mal richtig gelesen!)

Das ist anmaßend und pauschalierend. Das ist nicht unsere politische Kultur des Umgangs mit diesem wichtigen Thema.

Insoweit der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Situation: Das Grundgesetz sieht keinen Gesetzesvorbehalt vor. Das heißt, die Religionsfreiheit, und zwar sowohl die innere Religionsfreiheit als auch die Religionsausübung, ist besonders geschützt, und zwar aus guten Gründen unserer Geschichte und unserer verfassungsrechtlichen Herleitung. Das heißt: Grundrechte Dritter oder andere Rechtsgüter von Verfassungsrang müssten verletzt werden. Und dann gilt – das wurde gesagt – das Neutralitätsgebot.

Das Kopftuch ist ein Symbol einer besonderen Religion, einer bestimmten Religion. Ja, ich komme gleich noch zu den Missbräuchen, und ich komme gleich auch dazu, dass dieses Missbräuchliche tatsächlich stärker zugenommen hat. Aber es darf nicht sein, dass wir einzelne Bekleidungsvorschriften von Religionen als nicht zulässig erklären. Wenn doch, dann muss es so sein – das war das französische Beispiel –, dass wir grundsätzlich in der Neutralität des Staates religiöse und weltanschauliche Neutralität weiterhin gewähren müssen. Andere religiöse Zeichen stünden dann auch zur Disposition.

Ein letzter Punkt aus dem Verfassungsrecht ist das Elternrecht. Sie sind ja immer sehr stark für das Elternrecht, Artikel 6 des Grundgesetzes: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern. – Ja, und auch hier muss der Staat sehr sorgsam sein, wenn er eingreift und dies beeinflusst.

Als Fazit kann man sagen: Ja, das Kopftuch kann tatsächlich Zwang bedeuten, und das ist nicht zulässig, weil es das Kindeswohl gefährdet. Der Staat kann aber übrigens bereits eingreifen. Schulen können eingreifen und Schulbezirke auch, und sie können das Tragen des Kopftuchs auch verbieten. Es kann aber auch Ausdruck sein von Gläubigkeit und von Entscheidungsfreiheit.

Reden wir mit den Betroffenen! Setzen wir uns ein für Toleranz und Religionsfreiheit in Kitas und in Schulen! Denn deren originäre Aufgabe ist es, Kinder zu toleranten, verantwortungsbewussten und selbstständigen Menschen zu erziehen, die Respekt haben vor den anderen und auch vor der Religion der anderen. Das ist unsere Aufgabe, und deswegen führen wir diese Diskussion sachlich in einer emanzipatorisch weltoffenen Gesellschaft, aber nicht mit Verboten, –

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Weinberg!

 

Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):

– sondern mit Überzeugungen eines Staates, der genau dieses auslebt: die Religionsfreiheit und den Schutz der Freiheit des Einzelnen. Das kann auch bedeuten, dass man ein Kopftuch trägt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)