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Marco Wanderwitz: Wir alle sind aufgefordert, fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu stehen

Rede zum Vertrag vom 6. Juli 2018 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 27. Januar 2003, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, stellte die Bundesrepublik die Förderung jüdischen Lebens in Deutschland auf eine neue Grundlage. Seither erhält der Zentralrat der Juden in Deutschland eine finanzielle Förderung in Form einer jährlichen Staatsleistung, die durch einen Vertrag rechtlich verbindlich festgelegt ist. Damit unterstützt die Bundesrepublik den Zentralrat der Juden in Deutschland bei seinen überregionalen Aufgaben und trägt zur Erhaltung und Pflege unseres deutsch-jüdischen Kulturerbes sowie zum weiteren Aufbau der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland bei. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist seinem Selbstverständnis nach für alle Richtungen des Judentums offen. So kommt diese Förderung der gesamten vielfältigen jüdischen Gemeinschaft in unserem Land zugute.

Der Vertrag sieht unter anderem vor, dass sich die Vertragspartner nach Ablauf von jeweils fünf Jahren über eine Anpassung der Staatsleistung verständigen. Das ist bisher zweimal geschehen, 2008 und 2012. Am 6. Juli 2018 haben Bundesminister Horst Seehofer und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, sowie die Vizepräsidenten, Abraham Lehrer und Mark Dainow, einen weiteren Änderungsvertrag unterzeichnet. Damit soll die Staatsleistung ab dem Haushaltsjahr 2018 auf 13 Millionen Euro erhöht werden. Über die gesetzliche Anpassung des Vertrages haben wir heute hier im Deutschen Bundestag zu entscheiden.

Sehr verehrte Damen und Herren, der Zentralrat der Juden in Deutschland hat die Erhöhung der Staatsleistung vor allem deshalb erbeten, um seine Bildungsangebote erweitern zu können, die Erinnerungsarbeit neu auszurichten und sein Engagement gegen Antisemitismus insgesamt verstärken zu können. Die Bundesregierung hält es für unerlässlich, den Zentralrat dabei zu unterstützen. Es ist beschämend, dass Antisemitismus in unserem Land noch immer präsent ist, dass er sogar in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in unserer Gesellschaft weiter zunimmt. Der Antisemitismus war zentraler Bestandteil der nationalsozialistischen Propaganda und hat sich tief in die persönliche Denkweise vieler Menschen in Deutschland eingeprägt.

Nicht nur die Anzahl antisemitischer Straftaten führt uns vor Augen, dass diese Denkweise noch immer in unserer Gesellschaft vorhanden ist; vielmehr nehmen leider auch antisemitische Übergriffe, Beleidigungen und Pöbeleien ebenso wie die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsfantasien zu. Vor allem das Internet bietet dafür leider einen fruchtbaren Nährboden und dient Gleichgesinnten dazu, ihr krudes Gedankengut auszutauschen und sich gegenseitig darin zu bestärken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere jüdischen Bürger fühlen sich leider zunehmend unsicher in Deutschland. Auch mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit dem Ende der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten müssen jüdische Einrichtungen noch immer besonders geschützt werden. Synagogen stehen unter Polizeischutz, jüdische Schulklassen werden von Wachpersonal begleitet, Juden werden auf offener Straße angefeindet, weil sie als Juden erkennbar sind. Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle sind aufgefordert, fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu stehen. Und die Erhöhung der Staatsleistungen an den Zentralrat der Juden ist ein wichtiges, ein sichtbares Zeichen für diesen Schulterschluss.

Wir alle sind, glaube ich, sehr dankbar dafür, dass sich nach den furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten wieder jüdisches Leben in Deutschland angesiedelt hat, dass es wieder eine lebendige jüdische Gemeinschaft in unserem Land gibt. Die Erhöhung der Staatsleistungen ist eine konkrete Unterstützung für die Festigung und den weiteren Aufbau dieser Gemeinschaft. Deshalb bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, damit der Vertrag in Rechtskraft erwachsen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)